Istanbul. ZEIT ONLINE. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: ZEIT ONLINE
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844262544
Скачать книгу
Land, um sich mit den heimischen Küchen vertraut zu machen. Im Frühjahr 2010 eröffnete sie ihr eigenes Lokal und wurde von einem Magazin prompt zum besten Koch der Stadt ausgerufen.

      Was also, Frau Şenol, ist der Geschmack von Istanbul an einem Novembertag?

      Die Frage beantwortet sich schon fast von selbst, wenn man über die Galata-Brücke von der Altstadt zu ihrem Restaurant spaziert. An die hundert Angler stehen da Spalier, unbeeindruckt vom kalten Wind. In Eimern zu ihren Füßen zappeln Fischchen. Die Köder, denkt man, bis man einen der Männer ein solches fingergroßes Exemplar aus dem Wasser ziehen sieht. Das war eine Sardine, die sind gerade viel unterwegs.

      Am Nordufer des Goldenen Horns lag einmal der Hafen von Konstantinopel. Geblieben sind Fähren und Fischverkäufer. Was für Kreuzberg der Döner ist, das ist hier baık ekmek, Fischbrötchen vom tragbaren Grill. Auf dem kleinen Wochenmarkt kauft auch Didem Şenol manchmal ein, Räucherware oder Fischrogenpaste. Nur um die Grillstände macht sie einen Bogen. »Die verarbeiten heutzutage meistens Makrelen.« Und Makrelen haben gerade keine Saison? Oh doch, die haben immer Saison. »Sie kommen nämlich aus Norwegen – tiefgefroren.«

      In ihrem Restaurant gibt es gerade hamsi, Sardellen. So ziemlich die kleinsten Speisefische, aber auch die würzigsten. Poetische Seelen nennen sie wegen ihrer Schuppen auch »das Silber des Schwarzes Meeres«. Aus ihren Laichgebieten im Norden erreichen sie jeden Winter die türkische Küste. Da endet dann meist die Reise. Hamsi, so schmeckt Istanbul, wenn die Tage kälter werden.

      Hinter der Galata-Brücke beginnt das Viertel Karaköy. Fast jeder Besucher der Stadt war schon mal hier – beim Spaziergang vom Topkapi-Palast zum Taksim-Platz oder auf dem Weg zur Fähre in den asiatischen Teil. Und wahrscheinlich blieb er nicht lang, abgeschreckt von maroden Häusern in düsteren Gassen. Vom Galata-Turm ein paar Straßen weiter rollt die Gentrifizierungswelle heran; da boutiquet und designt es schon an jeder Ecke. Hier unten aber versperren noch Zäune und Werksanlagen den Blick aufs Goldene Horn. Früher war die Gegend für ihr Rotlichtmilieu berüchtigt, heute etabliert sich eine andere Spezialität vieler Hafenviertel überall auf der Welt: gutes Essen. Didem Şenol zog zwischen ein überlaufenes Delikatessgeschäft, einen berühmten Baklava-Konditor und eine beliebte Taverne.

      Ihre Lokanta Maya ist sparsam, aber liebevoll eingerichtet: ein paar Holztische, Bistrostühle, gestapelte Walnüsse als Wandschmuck. Auch die Karte kommt einem für Istanbuler Verhältnisse spartanisch kurz vor – jedenfalls so lange, bis man die winzige Küche gesehen hat. Wenig Platz, meint Didem Şenol, erhöhe die Aufmerksamkeit. Dabei kommen erstaunliche, mutige Sachen heraus. Wolfsbarsch mit Karamell und gebratener Quitte! Harz-Pudding vom Pistazienbaum! Aber wir suchen ja ein Istanbuler Stammgericht und finden es auf Posten 6 von 20 der täglich wechselnden Karte: gefüllte Sardellen.

      Wie es sich im Gourmetlokal gehört, ist auch das nicht eins zu eins klassische Küche. Eher drei zu eins, ein Konzentrat der vertrauten Techniken und Geschmäcker. Wenn Istanbuler ihre hamsi nicht pur vom Grill essen, dann oft auf Pilaw, dem türkischen Risotto. Şenol würzt es ganz traditionell: mit Minze, Dill, Petersilie, Zwiebeln, Pinienkernen, Korinthen und etwas Zimt. Dann aber löffelt sie den Reis, so gut das geht, in die ausgenommenen Fischchen. Das ist eine Hommage an die türkische Hausfrauenküche, in der alles Füllbare gefüllt wird, von Weinblättern über Muscheln bis zu Auberginen. Auch Pilaw selbst bekommen Istanbuler öfter zu Hause als im Restaurant serviert; womöglich scheuen die Profis den Vergleich. »Kein leichtes Gericht«, sagt Didem Şenol. Damit die Reisfüllung nicht matschig wird, kommt sie halb roh in den Ofen. Die restliche Flüssigkeit liefern die Fische.

      Eine Prise Nostalgie gibt es schon länger in der türkischen Gastronomie. Neu ist, dass sie sich nicht mehr nur auf das große osmanische Erbe richtet, sondern auf die eigene Erinnerung an die Mütter- und Großmütterküche. Und oft sind es junge Frauen, die als Köchinnen und Kochbuchautorinnen unterschätzten Alltagsgerichten ihren verdienten Platz geben. Şenol sagt: »Ich spiele gern mit den alten Rezepten.«

      Wer nicht von hier stammt und Sardellen nur als Salztorpedos aus dem Glas kennt, den erinnert diese Speise natürlich an nichts. Genießen kann er sie trotzdem. Zuerst der geballte Meergeschmack, fast ein wenig zu intensiv. Aber die Füllung hält dagegen mit tausendundeinem Aroma. Der Gewürzschatz eines Weltreichs, versteckt in einem kleinen Fisch.

      Selbstbeschränkung, Bescheidenheit – das sind keine verbreiteten Tugenden in einem Gourmetrestaurant. Aber gerade damit beweist die Lokanta Maya, was in der türkischen Küche steckt. »Meine Großmutter lebt noch«, erzählt Şenol. »Manchmal darf ich für sie kochen, und dann sagt sie, dass es ihr schmeckt.«

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAgAAAQABAAD/2wBDAAgGBgcGBQgHBwcJCQgKDBQNDAsLDBkSEw8UHRofHh0a HBwgJC4nICIsIxwcKDcpLDAxNDQ0Hyc5PTgyPC4zNDL/2wBDAQkJCQwLDBgNDRgyIRwhMjIyMjIy MjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjIyMjL/wAARCA+fC7gDASIA AhEBAxEB/8QAHwAAAQUBAQEBAQEAAAAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtRAAAgEDAwIEAwUFBAQA AAF9AQIDAAQRBRIhMUEGE1FhByJxFDKBkaEII0KxwRVS0fAkM2JyggkKFhcYGRolJicoKSo0NTY3 ODk6Q0RFRkdISUpTVFVWV1hZWmNkZWZnaGlqc3R1dnd4eXqDhIWGh4iJipKTlJWWl5iZmqKjpKWm p6ipqrKztLW