Seltene Mädchen. Raya Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Raya Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748519669
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Doktorspiele?“, fragte er, sah dabei aber Jakob und Mirjam an. Doch die beiden grinsten nur. Renate runzelte die Stirn. Auch wir, Rahel und ich, fixierten Jakob und Mirjam. Die zwei waren die Verdächtigen, nicht Rahel und ich. Also hatte noch niemand den übermächtigen Geist bemerkt, der uns zusammenhielt. Sie konnten ihn nicht bemerkt haben, denn schon seit einem halben Jahr schwiegen Rahel und ich uns an, wenn Dritte dabei waren. Unser Geist bewirkte auch, dass wir die Sache mit dem Spekulum nicht zu besprechen brauchten. Es war selbstverständlich, dass Rahel zu Esther gehen würde. „Darf ich mir das Ding einmal ansehen?“, würde sie fragen und sich einprägen, wo Esther das Spekulum herausholte und wo sie es wieder verstaute. Esther würde verstehen, dass Rahel neugierig darauf war.

      Wir hatten uns gut vorbereitet. Rahel brachte Esthers Spiegel und das Spekulum, während ich die Leuchte holte. Gemeinsam bauten wir aus unserem Bettzeug die Rückenstütze für Rahel. Unser Spiel konnte beginnen. Sie zog sich vollständig aus, auch den Pullover und das Hemd und die Strümpfe. Sie tat es für mich – und weil es ihr gefiel, ein seltenes Mädchen zu sein, dachte ich. Sie nahm ihre Position ein und saß jetzt nackt vor mir, die Beine gespreizt, so weit sie konnte.

      „Bitte, zieh dich auch aus, Jona.“ Es klang unendlich zärtlich. Ich verstand augenblicklich. Ich beugte mich über sie und küsste sie auf den Mund. Sie erwiderte den Kuss.

      „Du hast recht, Rahel“, flüsterte ich und begann, aus den Kleidern zu schlüpfen. Als ich nackt war und mich aufrichtete, sah ich, dass sie sich die Lippen leckte. In diesem Moment spürte ich den Kuss, den ich ihr gegeben hatte, als eine Art Echo auf meinem Mund. Rahel sah mich aus aufgerissenen Augen an. Mein Herz begann wild zu hämmern und meine Gedanken liefen Sturm. Ich hatte sie zwar zum ersten Mal geküsst, aber es war doch nur ein Küsschen gewesen, ein Hauch von Mund zu Mund, eine Sekunde, höchstens drei. Oder nicht? So, wie Rahel vor mir saß und mir ihr Geschlecht darbot, bedeutete dieser Kuss etwas anderes. Aber was? Ich wollte etwas sagen, doch meine Stimme hatte mich verlassen.

      Rahel hielt die Lippen geschlossen und nickte so schwach mit dem Kopf, dass ich es kaum erkennen konnte. Sie legte die Hände auf ihre Knie und zog ihre Schenkel noch weiter auseinander. Ich kauerte mich neben dem Spiegel nieder und begann mit unserem Spiel, das jetzt aufgehört hatte, ein Spiel zu sein.

      Am Anfang ließ sie mich machen. Sie sprach nur, wenn ich ihr die Sicht auf den Spiegel verdeckte. Ich zog ihre Schamlippen auseinander und strich sie glatt, damit der Eingang zur Scheide frei lag. Ich sah mir alles genau an. Ab und zu bewegte Rahel das Becken, damit sie eine bestimmte Stelle besser sehen konnte. Weil sie so knochig war, wölbte sich der Venusberg hoch empor, als wolle er alle Blicke auf sich ziehen. Die Haut, die sich darüber spannte, war ganz glatt und weich. Auch Rahel schien davon angetan, denn sie begann, ihr Schambein zu streicheln. Das sah schön aus. Dann befingerte sie ihre Muschi überall. Ich schaute zu, wie sie sie in die Länge und Breite zog. Es sah aus, als wolle sie sie schließen und öffnen. Schließlich reichte sie mir das Spekulum.

      „Sei vorsichtig“, sagte sie leise. Ihre Stimme war belegt.

      Wir hätten wissen müssen, dass wir mit dem Spekulum nicht weit kommen würden. Wir hatten beide nicht daran gedacht, nicht daran denken wollen. Schon nach wenigen Zentimetern stieß ich gegen das Hymen. Das war die Bezeichnung, die in meinem Anatomiebuch dafür verwendet wurde. Das Wort hatte mit einem Gott der alten Griechen zu tun. Rahel stieß einen Seufzer aus. Vorsichtig öffnete ich das Spekulum millimeterweise, bis ich hineinspähen konnte. Unwillkürlich holte ich tief Atem. Das Häutchen! Es gab kein unpassenderes Wort als dieses. Das musste Rahel auch sehen. Ich half ihr, das Becken anzuheben und sich gleichzeitig nach vorn zu beugen, während sie das Spekulum selbst in die Hand nahm und ausrichtete. Sie erstarrte und rührte sich sekundenlang nicht. Gebannt starrte sie in den Spiegel. Ich wusste, was sie sah. Das Hymen schien aus Leder zu sein, aus zähem, hellem Leder. Es verschloss Rahels Scheide vollständig, bis auf zwei kleine ovale Schlitze in der Mitte. Einen jungfräulicheren Schoß konnte man sich nicht vorstellen.

      Rahel zog das Spekulum heraus, ließ sich zurückfallen und streckte sich auf dem Rücken aus. Sie streckte mir ihre Arme entgegen.

      „Komm, Jona, komm!“

      Wir waren nackt. Das war nicht mehr unser Ritual. Als ich auf ihr lag, schloss ich sie in meine Arme, sehr zärtlich und sehr bestimmt. Auch Rahel schlang ihre Arme um mich und hielt mich fest. Nach ein paar Minuten wurde der Schlag unserer Herzen wieder langsamer. Dann begann die Kirchenglocke, das Vaterunser zu läuten. Wir schwiegen und lauschten. Als sie wieder verstummt war, flüsterte mir Rahel ins Ohr: „Vater unser, vergib uns unsere Schuld!“

      Sie kicherte und fügte hinzu: „Bleib auf mir liegen, bis zum Ende.“ Sie meinte das Ende des Gottesdienstes.

      Es war Mitternacht. Noch den ganzen Tag hatte ich Rahels Haut auf meiner gespürt. Es war höchste Zeit, um nach ihr zu sehen. Das ganze Pfarrhaus lag in schlafender Stille. Ich huschte zu ihrem Zimmer und lauschte. Kein Geräusch. Lautlos drückte ich die Klinke hinunter und stieß die Tür auf. Jetzt konnte ich ihre Atemzüge hören und ihr Geruch stieg mir in die Nase.

      „Rahel!“, flüsterte ich, „Rahel!“

      Keine Antwort. Ich schlich zu ihrem Bett und kniete mich am Kopfende hin. Gleichmäßige, friedliche Atemzüge. Es war stockdunkel. Ich schloss die Augen und stellte mir die Umrisse ihres Körpers unter dem Federbett vor. Ich hätte sie gerne berührt, ihr Gesicht gestreichelt, ihre Hand genommen. Aber ich wollte sie nicht aufwecken. Ich ging in mein Zimmer zurück, legte mich ins Bett und hing meinen Gedanken nach.

      In den nächsten Tagen würde Rahel zu Oma Beck aufs Land fahren und so lange dortbleiben, bis sie genug von den Äckern, Obstbäumen und Beerensträuchern hatte. Indem Rahel den Bauern in den Obstgärten half, konnte sie sich ein gutes Taschengeld verdienen. Die Erntezeit hatte schon begonnen. Die Kirschen waren reif und vor allem die Beeren. Rahel liebte Beeren und würde beim Pflücken so viele davon naschen, dass sie Bauchschmerzen bekäme. Ich wusste nicht, wann sie wieder zurückkommen würde. Sie wusste es ja selbst nicht. Letztes Jahr war sie bei Oma Beck geblieben, bis die Schule wieder losging. War Rahel nicht bei mir, das wusste ich aus Erfahrung, dann vermisste ich sie nicht. Ich dachte zwar dauernd an sie, aber ich hatte nicht dieses Gefühl, ich wolle lieber sterben, als auf unser Wiedersehen zu warten. Es war vielleicht das Richtige, dass Rahel für eine Weile verreiste, nach dem, was wir heute getan hatten. Jedoch nicht nur heute, sondern die ganze Zeit, all die Monate seit Heiligabend. Bestimmt würde ihr ein wenig Abstand guttun. Ich für meinen Teil brauchte eine Denkpause. Jedenfalls redete ich mir das ein und kam mir dabei sehr vernünftig vor.

      Wir waren eine neunköpfige Familie und konnten es uns nicht jedes Jahr leisten, in Urlaub zu fahren. Mir war das recht, denn ich fand Ferien mit der ganzen Bande ziemlich anstrengend. Auch Rahel fuhr lieber allein zu Oma Beck. Ich hatte nichts Konkretes geplant. Aber Ansgar und Astrid hatten seit Pfingsten eigene Reitpferde und wir konnten uns bei der Pflege und beim Training ein wenig abwechseln. Mit diesen Gedanken schlief ich ein.

      Jemand rüttelte an meiner Schulter. Rahels Stimme gellte in meinen Ohren. „Aufstehen! Schnell! Du kommst zu spät zur Schule! Jona, wach endlich auf!“

      Völlig verwirrt versuchte ich, mich aufzurappeln.

      „Was für ein Tag ist heute?“, stieß ich hervor.

      „Heute ist Montag. Heute ist der erste Ferientag“, rief Rahel und begann, schallend zu lachen. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, ihren Scherz komisch zu finden. Mit saurer Miene wartete ich darauf, dass sie sich wieder beruhigte. Doch je griesgrämiger ich dreinschaute, desto mehr musste sie lachen. Nach einer Weile versuchte ich ein Lächeln.

      „Okay, du hast mich reingelegt. Guter Trick.“

      Rahel legte einen Zeigfinger an ihren Mund.

      „Hör zu, Jona. Wir gehen zusammen weg. Du begleitest mich zu Oma Beck. Sie hat vorhin angerufen und sich erkundigt, wann ich komme. Sie hat gefragt, ob ich alleine käme oder ob noch jemand von uns mitkommen möchte.“

      Ich begriff nichts. Gewiss hatte ich mich verhört. Rahel schaute mich an und brach wieder in Gelächter aus.

      „Raus