Samui und zurück. Peter Peppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Peppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847631385
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die Leichen gefleddert. Die Rettungstrupps, die sich erst am folgenden Tag zu den Flugzeugtrümmern durchschlagen konnten, fanden weder Bargeld, noch Schmuck, Armbanduhren oder andere Wertgegenstände, selbst die weit verstreut liegenden Gepäckstücke waren durchsucht worden. Bei einigen Opfern waren Goldzähne herausgebrochen, aber keinem fehlte der Reisepass.

      Natürlich erzählte ich nichts davon Marie. Sie hatte mich wohl beobachtet, wie ich ein paar Sekunden lang schweigend meine Tasse anstarrte. “Peter, was ist denn?”. Aber da kam glücklicherweise Clark Kent, stellte zwei große Teller auf den Tisch und Marie bestellte noch ein Singha. “Na, dann guten Appetit“, sagte ich und griff nach Steakmesser und Gabel. “Ja, danke, dir auch“, kam es etwas abwesend zurück, sie versuchte hochkonzentriert, mit ihren Fingernägeln die Aluminiumfolie stückchenweise von der dampfenden Kartoffel abzuziehen, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen, während ich mit meiner keinerlei Probleme hatte. Ich sah ihr zu, bis sie fertig war, die nackte Kartoffel mit Salz und Pfeffer würzte und wir fingen gemeinsam mit dem Essen an. “Hmm, wirklich gut, das Steak”, lobte sie. Clark Kent brachte ihr zweites Singha und ein frisches, vereistes Glas.

      “Wir haben ein sehr gutes Steakhouse in Bad Homburg, ab und zu gehe ich mit Sani zum Abendessen hin, aber so ein leckeres Steak Hawaii habe ich da noch nicht bekommen. Magst du auch noch eine Kartoffel, ich bestelle mir noch eine, oder warte, die Dinger sind so groß, reicht dir eine halbe von mir?”. “Ja, natürlich, das ist mehr als genug”. Sie winkte Clark Kent, deutete auf die zerfetzte Folie und sagte: “One more, please, but a big one!” und er brachte sie umgehend auf einem kleinen Teller. Marie begann, die Folie zu öffnen und dieses Mal klappte es sichtlich besser. “Da fällt mir ein“, erzählte sie weiter und legte mir eine Kartoffelhälfte auf den Teller, “ich war auch einmal in Bad Nauheim zum Essen, in einem italienischen Restaurant, da wo diese breite Straße am Park entlang bergauf geht und oben auf dem Berg ist ein Ausflugscafé“. “Dann warst du bei Davide“, folgerte ich. “Genau, so hieß der Laden. Mit meinen Eltern und meiner Schwester. Meine Mutter hat gelegentlich solche plötzliche Eingebungen der dritten Art und lädt uns dann alle zu irgend etwas Besonderem ein“. Das Steak war in der Tat köstlich.

      Marie kramte weiter in ihren Erinnerungen. “Abgesehen von dem Familiendinner war ich auch mal in diesem Biergarten am Teich im Kurpark, echt schön dort“. “Siehst du, und wenn du am Teichhaus weitergehst, am Eisstadion vorbei, dann bist du in fünf Minuten bei mir in der Georgenstraße.” “Dann kann es ja gar nicht weit weg sein von der Autobahnabfahrt“, strahlte sie, sichtlich stolz auf ihr Erinnerungsvermögen. “Und wo würde ich dich finden, wenn du in Bad Nauheim unterwegs bist? Gehst du auch öfter mal mit Freunden aus, oder wenigstens mit einem netten Mädchen, wenn du schon, wie du sagst, keine Freundin hast?”.

      So gelassen wie möglich klärte ich sie auf. “Nirgends würdest du mich finden. Ich gehe überhaupt nie aus, war schon jahrelang in keiner Kneipe und keinem Restaurant mehr“. Marie sah ehrlich überrascht aus. “Wie, warum denn das? Du kannst doch nicht nur zu Hause herumhocken!”. “Tu’ ich ja auch nicht. Länger als ungefähr drei Stunden kann ich gar nicht vor meinen Rechnern sitzen, dann muss ich mich bewegen und laufe mal durch den Park, um den Golfplatz oder gehe im Wald spazieren, ist ja alles direkt vor meiner Haustür“, antwortete ich, “und das einzige nette Mädchen, mit dem ich mich gelegentlich treffe, ist meine Ex-Frau, wenn sie mich anruft und fragt, ob ich Zeit und Lust auf einen Spaziergang habe. Ich lebe wirklich sehr zurückgezogen“.

      “Das kann ich mir einfach nicht vorstellen, jeder Mensch hat sein Umfeld mit Freunden und Bekannten. Du kannst doch nicht ständig alleine sein, das ist doch total ungesund!”, entrüstete sie sich. “Aber so ist es nun mal“, versuchte ich ihr zu erklären, “seit drei Jahren lebe ich so und habe mich daran gewöhnt. Ich habe nicht die geringste Lust, alte Bekannte oder sogenannte Freunde zu treffen und dumme Fragen beantworten zu müssen”. Marie sah mir teils nachdenklich, teils ungläubig in die Augen. “Also bleibe ich lieber alleine“, schloss ich meine Überlegung, “mache mir über alles meine Gedanken und bin soweit zufrieden damit”. “Das glaube ich dir zwar nicht, aber wenn du meinst. Ich denke, du bist ein ausgesprochen ungewöhnlicher Mensch. Musst du auch sein, um so leben zu können“, sinnierte sie und schaute mich unentwegt an. “Du hast unheimlich blaue Augen”. Ich zuckte mit den Schultern, erwiderte gelassen “Besser als gar keine, oder?” und sie lachte wieder. Im Laufe der Unterhaltung hatten wir unser Dinner beendet, ich schob meinen Teller samt Serviette zur Seite, trank den Rest kalten Kaffee, bot Marie eine Saiphon an und gab ihr Feuer.

      Clark Kent ging an unserem Tisch vorbei und servierte einen Obstteller am Tisch hinter mir. Marie strahlte. “Hast du das gesehen? Darauf hätte ich jetzt auch Lust, und du?,” und stoppte den Thai auf seinem Rückweg mit einem Arm voller leerer Teller mit einem Wink. “Please, one fruit plate”, und an mich gewandt, “was nehmen wir, Ananas und Wassermelone? OK, with pineapple and watermelon, kop kun kah“, worauf er nickte und seine Teller weiter balancierte. Innerhalb von drei Minuten stand eine Riesenplatte mit eiskalten Früchten und zwei kleinen Gabeln auf unserem Tisch und wir begannen zu naschen. “Hmm, diese Wassermelonen sind lecker hier”.

      Unvermittelt kicherte sie und mit einer leichten Kopfbewegung nach rechts und einem Augenaufschlag deutete Marie an, ich solle mal dort hin schauen. Bedächtig drehte ich mich um. In der zweiten Tischreihe im Restaurant saßen zwei junge Frauen, wohl gerade erst hereingekommen, und unterhielten sich lautstark auf italienisch oder spanisch, genau konnte ich nichts verstehen, der gesamte Geräuschpegel war zu hoch. Aufgebrezelt bis zum geht-nicht-mehr. Die eine, wasserstoffblond mit giftgrünen Strähnen, trug violette Leggings und ein goldfarbenes Bikini-Oberteil, die andere, mit karottenfarbenen kurzen Haaren, einen langen, bunt bedruckten Rock und ein übergroßes weisses Hemd mit funkelnden Pailetten. Mir blieb nichts, als bewundernd zu nicken. Wieder zu Marie gewandt, meinte ich anerkennend: “Wow, wo gibt’s denn diese geilen Klamotten? Bei Roncalli?”. Sie hatte gerade ihr Glas an die Lippen gesetzt, prustete los und der Schaum des frisch eingeschenkten Singhas spritzte über den Tisch. “Sorry”, gluckste sie und wischte mit ihrer Serviette die Tropfen auf, “das kam so plötzlich!”.

      Marie blickte verträumt in den wolkenlosen Sternenhimmel. “Ist dir schon mal aufgefallen, wie tiefschwarz der Himmel hier ist?”. Prüfend schaute ich ebenfalls nach oben, runzelte kritisch die Stirn und antwortete: “Sooo beeindruckend ist das nicht. Das sind vielleicht gerade mal so 60 oder maximal 64 Dark“. Sie neigte den Kopf zur Seite und sah mich mit zusammen gekniffenen Augen fragend an. “Was?”. “Dark“, wiederholte ich. “Dunkelheit wird in Dark-Einheiten gemessen. Temperatur in Grad, Druck in bar, Licht in Lux und Dunkelheit in Dark“. Sie schien mir nicht so recht glauben zu wollen, ihr Gesichtsausdruck liess Zweifel erkennen. Durch und durch ernsthaft fuhr ich fort. “Ja, mal zum Vergleich: In einem unbeleuchteten U-Bahn Schacht in München werden um drei Uhr morgens durchschnittlich 84 bis 86 Dark gemessen. Die höchste in Deutschland dokumentierte natürliche Dunkelheit war im Dezember 2001 in einem Keller in Recklinghausen mit 91 Dark, ungewöhnlich”.

      Marie schaute mich kopfschüttelnd an, lauschte aber neugierig. “Im Juni 2003 hatten zwei Schweizer Darkforscher in einer stillgelegten Kupfermine in den peruanischen Anden eine natürliche Dunkelheit von sagenhaften 97 Dark entdeckt. Sie haben sie in drei ineinander verschachtelten Stahlbehältern vakuumisoliert gesichert und mitgenommen. Aber bei der Einreise in die Schweiz war den Genfer Zollbeamten die Sache zu suspekt, versiegelte Stahlbehälter aus Südamerika, und sie bestanden darauf, sie zu öffnen und die einmaligen Proben waren natürlich verloren. Dumm gelaufen“. Marie bewegte noch immer ungläubig ihren Kopf hin und her. Nach etwa fünf Sekunden kritischer Überlegung lachte sie laut los. “Willst du mich verarschen? Wie kannst da allen Ernstes so einen Schwachsinn erzählen, ohne auch nur ein einziges Mal lachen zu müssen“. Sie war so wunderschön, so ausgelassen, sie sah so glücklich aus. Ich versuchte vergeblich zu rekonstruieren, wie viele Singha sie im Laufe des Tages getrunken hatte, es waren einige und ich dachte besorgt an ihre Fahrt zurück ins Blue Lagoon.

      “Du solltest dir wirklich mal ernsthaft überlegen, ob du heute Nacht nicht besser hier in Bophut bleibst, anstatt nachher noch durch die Wildnis nach Chaweng zu fahren. Ich will dir damit nicht unterstellen, dass du nicht mehr fahren kannst. Aber möglicherweise, und die