Tod auf den Gleisen. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737564281
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der Vorfall ist dokumentiert“, riet die Echterding. „Eines Tages legt noch jemand die Mendel um, wenn sie so weiter macht. Das ist jetzt die dritte Spinnerin in ebenso vielen Jahren – Zöllner, Merz, Mendel. Ich hätte die Mendel aber, wie gesagt, für stabiler gehalten.“

      „Vielleicht hat sie schlimme Klassen?“, schlug Doro vor.

      Sie traten an den Generalplan.

      „ 7a, 9 d, 10 a, 10 c, 10 d“, las die Echterding vor. „Bis auf die 9 d ganz okay.“

      „Also ich finde die 9 d auch ganz brauchbar. Bis jetzt sind sie jedenfalls ziemlich brav und eifrig. Deswegen würde ich bestimmt nicht austicken“, protestierte Doro. „Und warum sollte jemand diese arme Irre umbringen? Wenn natürlich jemand anders die Leiche wäre, könnte ich mir vorstellen, dass sie´s war, in einem Wutanfall…“

      „Sie meinen, diese Ausbrüche sind doch eher erheiternd?“ Pütz kräuselte den Mundwinkel. „Nein“, fuhr Doro ihn ärgerlich an, „so lustig finde ich es auch nicht, wenn jemand ein Rad ab hat. Aber warum sollte das in jemandem die Mordlust wecken?“

      „In mir schon“, sagte Hilde, die sich von hinten genähert hatte. „Jede Schulaufgabenaufsicht, jede Vertretung in diesem Jahr: stundenlange sinnlose Debatten. Ich würde sie am liebsten gar nicht mehr einsetzen, aber ich glaube, genau das will sie ja. Und warum sollten die anderen mehr arbeiten, nur weil sie sich überlastet fühlt? Objektiv ist das doch Blödsinn!“

      Dagegen war nichts zu sagen, auch wenn Doro noch etwas mehr Mitleid aufbringen konnte – aber sie musste ja auch nicht um die Mendel herum organisieren!

      Sie sah auf die Uhr und sammelte ihren Kram ein – auf zur 9 d! Und danach den Geschichtskurs – das deutsch-französische Verhältnis. Warum dieser dämliche Arminius seit neuestem in Geschichte so breitgetreten wurde, hatte sie auch noch nicht verstanden – aber bitte! Sie unterrichtete, was gewünscht wurde.

      Danach zwei Freistunden und dann die Doppelstunde W-Seminar: Verkehrssysteme weltweit. Nächste Woche hätten sie da eine Exkursion nach München, um das U-und S-Bahn-System zu studieren. Der Kurs hatte schon gemault, warum nicht zu London Transport oder zur Pariser Métro, ein ganz Kesser hatte die Moskauer U-Bahn vorgeschlagen.

      „Jaja“, hatte Doro gespottet, „so schaut ihr aus. Moskauer U-Bahn, aber wehe, es kostet was und wir sind nicht spätestens um drei wieder hier, weil ihr da Handballtraining habt. Als Thema für die Seminararbeit könnt ihr das alles gerne nehmen, recherchiert halt im Internet.“

      „Auf Russisch?“, hatte der Frechdachs gestöhnt. „Aber nach Moskau fahren wollen!“, hatte sich Doro nicht verkneifen können, und alles hatte gelacht.

      Auch heute machte das Seminar viel Spaß und die Teilnehmer/innen zuckten nicht einmal besonders zusammen, als sie sie an die Kurzarbeit in zwei Wochen erinnerte.

      Gegen fünf kam sie nach Hause, schwer bepackt mit ihrer Schultasche und einer vollen Supermarkttüte (neue Äpfel, Salat, Joghurts, tiefgefrorenes Obst, Sojaflocken, Eier, fettarmer Käse, Waschpulver, mehrere Gemüsemischungen). Sie verräumte alles in Gefrierfach und Kühlschrank und sah sich dann unzufrieden um.

      So schlecht war die Wohnung nicht, aber bis jetzt hatte sie es noch nicht geschafft, sich vernünftig einzurichten. In den Herbstferien sollte sich mal einen Kleiderschrank und ein paar Regale kaufen. Und einen rückenfreundlicheren Schreibtischstuhl. Nur mit ihrem alten Bettsofa, dem wackligen Tisch und den beiden Klappstühlen – und vielen Kisten als Schrankersatz – war das wirklich kein Leben, gerade dass sie schlafen, duschen und korrigieren konnte!

      Und wenn sie sich hier zu Schuljahrsanfang nicht nur notdürftigst eingerichtet hätte, wüsste sie auch, wo sich der IKEA-Katalog herumtrieb.

      Na, zur Not gab´s immer noch das Internet. Aber erst musste sie die Stunden von morgen vorbereiten. Und den Salat anmachen. Und endlich mal was waschen. Das am besten zuerst!

      Sie kippte ihren Wäschekorb um, sortierte eine Maschine voll blauen Kram aus, Jeans, Hemden, ein besseres Sweatshirt, Socken, Handtücher, Unterwäsche (ganz brav im Wäschesäckchen), fischte zwei Euro aus dem Geldbeutel und klemmte sich den Waschpulverkarton unter den Arm. So gerüstet trabte sie nach unten in die Waschküche, wo die Maschine glücklicherweise frei war. Hastig trug sie sich in die Liste an der Wand ein, stopfte alles samt Pulver in die Maschine, knallte die Fronttür zu, warf die zwei Euro ein und startete.

      Wieder was erledigt!

      Wie das wohl diese schicken Mädels machten? Ließen die waschen? Aber auch wenn sie geringfügig wichtiger waren als Doro, die Anfängerin – für eine Zofe reichte das garantiert nicht.

      Zofe, so´n Quatsch. Die waren wohl einfach gut organisiert. Andererseits gab es total souveräne Leute, und bei denen zu Hause sah es aus wie bei Hempels unterm Sofa. Na, die Behausungen von Wintrich, Suttner, Herzberger würde sie ja doch nie zu sehen kriegen, also war es schiere Zeitverschwendung, darüber nachzudenken, beschloss sie, während sie die Treppen wieder hinaufstieg.

      Sie hatte eine eigene Wohnung, die es bitter nötig hatte.

      Und wie!

      Wie immer, wenn sie die Tür aufschloss, überfiel sie tiefes Missbehagen. Schlecht geschnitten war das Appartement nicht, fast quadratisch, Bad und Miniküche Platz sparend untergebracht – aber ohne richtige Möbel? Und überall halb ausgepackte Kisten, in denen sie im Allgemeinen nichts fand.

      Wo sollte sie langfristig ihren Tisch und die Regale hinstellen? Die Wand zwischen Küche und Fenster bot sich an, überlegte sie. Besser als die andere Wand, die zwischen Bad und Balkon. Da stand ja auch schon das olle Bettsofa. Ein neues Bett wäre auch nicht übel… bevor sie sich ein Rückenleiden holte?

      Und Schränke… der Durchgang zwischen Bad und Küche, der Quasiflur, war immerhin zwei Meter breit. Eins vierzig reichte doch auch, oder? Dann konnte man an die Küchenwand, die ja glatt war, auch einen zwei Meter breiten Schrank stellen.

      Ganz schön teuer würde das werden. Und sie hatte noch kein Gehalt bekommen – Kunststück, nach knapp sechs Wochen war das auch nicht zu erwarten. Na, musste das Sparbuch herhalten. Spätestens Weihnachten, hatten erfahrenere Kollegen ihr versprochen, würde der Rubel wohl rollen.

      Wollte sie auf Dauer hier bleiben? Ein bisschen schäbig war das Haus. War die ganze Gegend. Aber auf eine doch undefinierbar sympathische Art…

      Außerdem waren 550 Euro für 36 qm wirklich nicht teuer, und die Lage war günstig, wenn man nicht gerade auf „gute Gegend“ Wert legte. An der Ecke hielt ein Bus, der in zehn Minuten zum Markt fuhr; von dort waren es kaum fünf Minuten zur Schule. An der gleichen Ecke gab es einen Supermarkt, einen Drogeriemarkt (einen anständigen!), einen Schreibwarenladen mit günstigen Angeboten und einer kleinen Buchabteilung und eine Apotheke; eine Ecke weiter fand man einen Jeansladen (naja, zum Schaufenstergucken reichte es), einen Pizzaservice und einen Obst- und Gemüseladen. Und rundherum eigentlich immer einen Parkplatz für ihre ziemlich schrottreife Kiste. Was wollte man mehr?

      Eigentlich konnte man es hier ganz gut aushalten, also konnte sie die Wohnung auch mal fertig möblieren.

      Was hatte sie denn jetzt morgen? 9 d in Deutsch und Geschichte, den Deutschkurs der Q 11, eine Doppelstunde Deutsch in der Achten und den Geschichtskurs der Zwölften. Ganz schön viel wieder. Aber nach Mittwoch ließ der Stress immer etwas nach. In der Neunten sollte sie mal ein Geschichtsex schreiben, gleich in der ersten Stunde. Schreck in der Morgenstunde!

      Sie bastelte eine Angabe, dachte dann erst daran, nachzusehen, ob die nicht zufällig morgen eine Schulaufgabe schrieben (nein, alles erst nach Allerheiligen), holte die Wäsche nach oben und hängte sie auf, aß ihren Salat und machte sich an die Vorbereitung der übrigen Stunden. Als sie fertig war und alles in ihrer Tasche verstaut hatte, war es Viertel nach neun.

      Verflixt, unter der Woche kam man wirklich zu gar nichts!

      Wie machten das die anderen? Oder hatten die einfach mehr Übung und mussten nicht mehr so viel vorbereiten? Hatten vielleicht auch nicht drei Deutschklassen und demzufolge nicht dauernd irgendwelche Übungsaufsätze am Bein?