„Na, wie war's?“, platzte sie ohne Begrüßung heraus.
„Also … die Veraktung ging glatt über die Bühne. Schneiders sind echt nett aber...“
„Quatsch. Du weißt genau, was ich meine. Was hast du empfunden, als du IHN wiedergesehen hast?“, fiel sie mir ins Wort.
„Du meinst Klaus?“
„Nein, den heiligen Sankt Nikolaus! Natürlich meine ich Klaus.“
„Ich … also … ich...“ Ich stammelte wie ein Stotterer vor seiner ersten Sitzung beim Logopäden. Was sollte ich antworten? Die Wahrheit? Es tat weh. Sehr weh sogar. Ich konnte ihn kaum ansehen. Was unter anderem auch daran lag, dass Schneiders zwischen uns saßen. Mein sonst nahe der Ohnmacht liegende Blutdruck stieg auf Normalwerte während der Notar unser Haus übereignete. Ich war nahe daran, zu hyperventilieren und komplett die Nerven zu verlieren. Und ich war stinksauer auf Klaus. Am liebsten hätte ich ihm den Hals umgedreht, ihn einmal kräftig durchgeschüttelt oder gleich umgebracht.
„Oh, Susi, dieses Scheusal! Aber er sah einfach umwerfend aus! Wie macht dieser Dreckskerl das?“
Susi unterbrach mich.
„Koch schon mal einen Tee, ich bin gleich bei dir.“
Ich wusste: nach einem langen Gespräch mit Susi würde es mir viel besser gehen. Sie war immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit für mich da.
Wir beide unterschieden uns wie Feuer und Wasser. Vielleicht waren wir genau deshalb die besten Freundinnen. Susi war Single. Und zwar der überzeugteste Single nördlich der Alpen. Sie hatte keinen Mann länger als zwei Monate; Überhaupt, was sich in Monaten ausdrücken ließ, war bei Susi schon rekordverdächtig. Sie sah umwerfend aus: lange, schlanke Beine, lange blonde Haare, irrsinnig lange pechschwarze Wimpern. Kurz, Heidi Klum hätte Susi unter die drei Topfavoriten ihrer Modelshow gewählt. Susi hätte mit der Bilderkollektion aus der Sendung locker ihren Flur tapezieren können.
Nun zu mir: Ich war das krasse Gegenteil von Susi: bodenständig, treu, solide, Mutter und Nur-Hausfrau. Meine Beine waren eher ein wenig kräftig geraten, meine Haare hatten wirklich gar keine klar zu definierende Farbe – irgendwo zwischen Nuss und Wal aber nicht Walnuss. Glatt und seidig waren Begriffe, die nie, niemals für meine Haare galten. Sie waren immer struppig, kraus und kein Haarschnitt dieser Welt konnte das ändern. Brauchte es auch nicht, ich trug eh immer nur einen Pferdeschwanz. Kurz: Ich war langweiliger Standard.
Eine halbe Stunde später (Laune noch immer auf dem Nullpunkt)
Es klingelte an der Haustür.
„Hallo Robert, hallo Süße!“ Susi kraulte Robert die Ohren und drückte mir ein Küsschen auf die Wange.
„So tief bin ich schon gesunken, du begrüßt zuerst den Hund.“
„Oha, da geht es jemandem aber schlecht!“ diagnostizierte Susi richtig.
Sie ließ sich mit einem grazilen Schwung auf die Couch fallen und schaute mich erwartungsvoll an.
„Also“, setzte ich vorsichtig an.
„Jetzt rück' schon raus mit der Sprache. Du findest ihn immer noch toll, stimmt's?“
„Ja.“
Sie schwieg.
„Weißt du, einerseits bin ich echt sauer auf ihn. Dass er uns so hängen lässt und so. Aber...“
„Aber?“
„Diese Augen. Wenn er mich anschaut, werden meine Beine zu Pudding. Ich habe keine Ahnung, wieso. Eigentlich sollte ich ihn hassen, aber das tu ich nicht.“
„Na, das kann ja heiter werden! Hast du schon Tee gekocht? Ich brauche auf diesen Schock einen richtig starken Earl Grey. Und du?“
„Ich koche dir einen.“
Bei einer Tasse Tee ließ es sich herrlich entspannen und reden. Ich war mir sicher, dass ich nach einem langen, ausführlichen Gespräch mit Susi die Welt wieder mit anderen Augen sehen konnte. Und hoffentlich die blauen Augen von Klaus bald vergessen würde.
09:00 Uhr (noch ohne Frühstück und mit ungekämmten Haaren)
Am nächsten Morgen lag ein amtlich aussehender Brief in meinem Briefkasten: Absender Dr. May, Rechtsanwalt. Mir zitterten schon die Finger beim Öffnen – irgendwie war ich wahnsinnig sensibel geworden.
Nein!
Ich konnte kaum glauben, was ich da las. Klaus ließ mir mitteilen – hätte er es mir selbst gesagt, wäre ich ihm ins Gesicht gesprungen – dass er nicht länger bereit war, die, ich gebe zu, nur mündlich vereinbarte Summe, weiterhin an mich zu zahlen. Außerdem bestand er darauf, dass ich ihm die Kreditkarte von unserem Gemeinschaftskonto zurückgab.
So eine Unverschämtheit! Was fiel diesem knauserigen Typen überhaupt ein? Ich war wütend. Ich war empört. Ich kochte vor Wut.
Und es fiel mir wie Schuppen von den Augen: ich war pleite!
Ohne dieses Geld konnte ich mir mit den einfachsten mathematischen Grundkenntnissen ausrechnen, wann mein Erspartes aufgebraucht war und ich im wahrsten Sinne bei den fünfzehn Prozent von Armut betroffenen Deutschen mitgezählt würde. Soviel zur Statistik.
Ich rief, wie immer, wenn es mir mies ging, Susi an. Ihr Wortschatz an Schimpfwörtern übertraf meinen um Welten. Kurz: sie war ebenso empört wie ich.
„Dieser knauserige Dreckskerl! Lässt dich sitzen und weigert sich dann auch noch zu zahlen. Wahrscheinlich bekommt er sogar noch Recht! Hast du eigentlich einen Anwalt? Sonst bist du hoffnungslos verloren!“
Ja, das klang richtig aufbauend.
„Constanze, denk' positiv!“, mischte sich Klein-Ego, mein kleiner, vorlauter Schweinehund, der es sich in meinem Kopf gemütlich gemacht hatte, ein.
Positiv? Bitte, was soll daran positiv sein, wenn dir dein Ex-Traummann zum Albtraum wird, den Geldhahn abdreht, du gezwungen wirst, aus deinem Traumhaus auszuziehen und du nur von seinen blauen Augen träumst? Scheiße!
„Oh, tun wir uns heute aber wieder leid!“ faselte er mir schon wieder in meine Gedanken rein.
„Halts Maul, kleiner Mistkerl!“
„Wie bitte?“ Susi war immer noch am anderen Ende der Leitung.
Oh, ich hatte laut gesprochen. So weit war es schon. Waren das schon erste Anzeichen für Alzheimer? Oh mein Gott.
„Ich meine, ich könnte mir einen Job suchen“, sagte ich zu Susi. „Ich muss ja sowieso in spätestens vier Wochen hier ausziehen, vielleicht mache ich dann einfach einen ganzen Schritt und verändere mich. Neuer Job, neue Wohnung, neue Gegend.“ Hatte ich wirklich „einfach“ gesagt?
Ich hörte Susi grinsen.
„Was ist?“ fragte ich „meinst du, ich könnte das schaffen?“
„Verdammt, Constanze, hat der Kerl dir eigentlich deine ganze Selbstachtung gestohlen? Sieh dich an: du hast schon viel mehr geschafft: dein Studium, deine Kinder und diesen – das Wort betonte sie ganz besonders – Mann. Dich kann wirklich nichts mehr umhauen, glaub mir.“
Susi schaffte es, mein Selbstbewusstsein auf das Niveau einer Hundehütte zu heben.
„Nun, dann packen wir es mal an!“ Ich fühlte mich so tapfer, wie das kleine Schneiderlein.
Zum Nachdenken und Grübeln blieb zum Glück nur wenig Zeit. Ich gewöhnte mir an, jeden Montag die Stellenanzeigen zu studieren, jeden Mittwoch und jeden Freitag die Immobilienangebote mit Textmarker zu versehen und dazwischen mit den Zeitungen aus der Vorwoche das ganze Geschirr einzupacken. Swenja konnte ich in der Ganztagsgruppe des Kindergartens