Alte Seelen I: Die Macht der Erinnerung. Eva Eichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Eichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658207
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verwirrt den Kopf. „Was habt ihr mit der Bruderschaft zu tun?“

      Der Fremde erstarrte in seiner Bewegung, bevor er von einem Augenblick auf den anderen verschwand. „Einfach alles!“, flüsterte er ihm von hinten ins Ohr.

      Kilian sprang auf und wich einige Schritte vor dem Unbekannten zurück. „Wer seid ihr?“, fragte er, lauernd, auf jede Bewegung seines Gegenübers achtend.

      „Du kannst mich nennen wie du willst“, murrte dieser und ließ sich nun seinerseits auf dem Fell nieder. „Meinesgleichen pflegt sich nicht vorzustellen. Wahre Namen können ziemlich lästig werden, wenn sie in die falschen Hände geraten. Womit wir endlich beim eigentlichen Thema wären.“

      „Und das wäre?“

      „Ich finde, du hast dich lange genug mit meinem Vasallen amüsiert.“

      Kilian schüttelte verständnislos den Kopf.

      „Ich bin hier, um das einzufordern, was mir gehört.“

      Der Hexer verfiel in schallendes Gelächter. „Ihr wollt einen Exorzismus?!“

      Der Fremde verzog angewidert das Gesicht. „Ein abstruser Gedanke.“

      „Was wollt ihr dann?“

      „Dass du endlich das tust, wozu ich dich erschaffen habe!“, brüllte der Unbekannte verzweifelt.

      „Ich diene niemandem.“

      „Das mag bisher so gewesen sein“, sagte der Fremde.

      „Und wird auch so bleiben.“

      „Die Sturheit der Stedinger hat offensichtlich stärker auf dich abgefärbt, als ich befürchtet hatte.“

      „Das ist lange her.“

      „Offensichtlich nicht lange genug. Du fragst noch nicht mal, ob für dich etwas dabei herausspringt.“

      „Ihr verwechselt mich mit einer Hure.“

      „Jeder hat seinen Preis.“

      „Da irrt ihr euch aber gewaltig.“

      „Das denke ich nicht. Auch wenn es nur eine einzige Sache gibt, die dir wichtiger wäre, als deine Freiheit.“

      „Die da wäre?“

      „Josua.“

      Kilian starrte ihn einen Augenblick erzürnt an. „Josua ist tot“, flüsterte er mit knirschenden Zähnen.

      „Alles stirbt“, lächelte der Fremde, „Dennoch verfüge ich über die Macht, dir deine Rache zu verschaffen.“

      „Selbst ich kann keine Toten zurückholen“, lachte Kilian verbittert.

      Sein Gegenüber verzog das Gesicht. „Du bist ganz schön von dir überzeugt, dass du glaubst, es gäbe auf dieser Welt keine Macht, welche die deine übersteigen könnte. Ich habe sechs Generationen auf dich gewartet, von den fast hundert Jahren, die du dahin gesiecht bist, will ich gar nicht erst anfangen …“, er stand auf. „Deine Antwort!“

      „Nein!“

      „Wie du …“ Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Kilians Hand zuckte vor. Eine flammende Kugel schoss auf den Fremden zu, traf ihn an der Brust und schleuderte ihn mehrere Schritt weit nach hinten. Der Körper brannte lichterloh, dennoch wartete Kilian noch einige Augenblicke ab, bis er davon überzeugt war, dass er sich nicht mehr rührte.

      „Scharlatan.“ Es war nicht der erste, der geglaubt hatte, ihn und seine Macht missbrauchen zu können, und es würde bestimmt nicht der Letzte gewesen sein. Kilian spie verächtlich aus, als ein leises Lachen die Luft erfüllte. „Du kannst nicht töten, was keinen Körper hat, Lakai!“

      Er wurde von einer unsichtbaren Macht emporgehoben und mit unglaublicher Wucht gegen den nächsten Baum geschleudert. Das Krachen seiner Rippen dröhnte durch seine Ohren. Wie ein Blatt, das vom Sturm mitgerissen wurde, löste er sich von dem Stamm und prallte gegen den nächsten. Das Holz ächzte unter der unerwarteten Belastung. „Du gehörst miiiir!“ Wieder schlug Kilians Körper gegen einen Baum, bevor er wie ein nasser Sack zu Boden fiel. In seinem Inneren knackte es, während sich seine Knochen wieder in die richtige Position bewegten. „Deine Antwort!“

      Kilian biss die Zähne zusammen und stand langsam auf. „Nein!“, brüllte er zurück. Erneut wurde er von dem Sturm erfasst und schlug rücklings gegen den nächsten Stamm. Er hörte das Brechen seines Rückgrates, als sich Oberkörper und Beine um den Stamm wickelten. „Deine Antwort!“

      Kilian fiel zu Boden. Er hatte jegliches Gefühl zu seinem Körper verloren. „Nein…“ Er wollte es entschlossen hinaus brüllen, doch es war nur noch ein lallendes Flüstern, das seine Lippen verließ. Erneut wurde er in die Luft gehoben. Er spürte, wie sich sein Körper wieder in eine natürliche Haltung zurückbog. Kilian konzentrierte sich, zentrierte all seiner Macht in seinem Inneren bis der Druck groß genug wurde und ließ sie frei. Die Energien breiteten sich explosionsartig aus und setzten die umstehenden Bäume in Brand. Stöhnend fiel er zu Boden und wartete mit einem Anflug von Resignation auf die Stimme, die ihn erneut verhöhnen würde, doch sie kam nicht. Erschöpft lauschte er den Geräuschen um sich herum. Doch da war nichts, was darauf hinwies, dass sein Widersacher noch da war. Nur ausruhen … nicht schlafen. Auf gar keinen Fall einschlafen!

      Erst am nächsten Morgen hatte er sich soweit erholt, dass er wieder gehen konnte. Dennoch verbrachte er eine weitere Nacht auf der Lichtung, genoss das, was von dem Priester noch übrig war und suchte sich seinen Weg aus dem Wald. Als er nach einigen Stunden den salzigen Geruch des Meeres wahrnahm, fiel es ihm nicht mehr besonders schwer eine menschliche Siedlung zu finden. Er folgte dem würzigen Lockruf des Meeres und kam bereits am frühen Abend in einem kleinen Fischerdorf an. Es war nur eine winzige Siedlung mit gerade mal einer Handvoll Gebäuden. Kopfschüttelnd bemerkte er die Salzablagerungen und Muscheln an den hölzernen Wänden der Häuser. Vor über hundert Jahren hatten sein Vater und sein Großvater an Deichen mit gebaut, um ein Sumpfgebiet vor den Fluten des Meeres zu schützen, und diese Leute waren noch nicht einmal klug genug, ihre Häuser am erhöhten Waldrand zu errichten. Einige Männer waren dabei, ihre Netze zum Trocknen aufzuhängen und blickten ihm unwillig entgegen. Es kam wohl nicht häufig vor, dass sich ein Fremder hierher verirrte und so wie es schien, war dies den Einwohnern auch nur recht. Kilian war sich des Eindrucks, welchen er auf den ersten Blick vermittelte, wohl bewusst: Ein Landstreicher, der versuchte, sich bei anderen Leuten durchzufüttern, ohne dafür zu zahlen. Nachdem Kilian vor drei Tagen den Gastwirt in einem Wutanfall getötet hatte, war er von den Männern der Kirche in seinem Zimmer überrascht worden, als er gerade dabei war, sich schlafen zu legen, und so trug er nichts als seine Leinenwäsche am Leib. Mittlerweile glich diese nur noch dreckigen Lumpen. Sie hatten ihm noch nicht einmal die Zeit gelassen, seine Stiefel anzuziehen. Er sah sich nach einer Straße um, konnte jedoch keine entdecken. Offensichtlich lebten die Menschen hier in zufriedener Abgeschiedenheit und hatten aufgrund ihrer spärlichen Habe wohl auch keine Überfälle zu befürchten. Kurz, sie waren so uninteressant, dass dies wohl der sicherste Ort der Welt sein dürfte. Jedenfalls für jene, die bereits seit Generationen hier lebten.

      „Du hast hier nichts verloren!“, brüllte ihm einer der Männer feindselig entgegen.

      Kilian zwang sich zu einem Lächeln und streckte die Hände etwas zur Seite, um ihnen zu signalisieren, dass er keinerlei bösartige Absichten hatte. „Verzeiht“, rief er zurück. „Ich suche nur Obdach für die Nacht. Noch nicht einmal ein Mahl. Ich bin bereits gesättigt.“

      Die Männer warfen sich gegenseitig misstrauische Blicke zu, bevor einer von ihnen vortrat und in Richtung Osten zeigte. „Hinter den Dünen findet ihr einen alten Schuppen. Dort könnt ihr für eine Nacht bleiben. Aber morgen früh seid ihr verschwunden.“

      Kilian bedankte sich und folgte der Beschreibung des Fischers. Es war ihm nur recht, nicht in einem der stinkenden Häuser nächtigen zu müssen und sich eventuellen neugierigen Fragen auszusetzen. Er kannte diesen Schlag von Menschen. Fremdenfeindlich, argwöhnisch, und doch