Ich bin dein Hirte. Marc Rosenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marc Rosenberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847643500
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nehmen, wird es ihm schon außerehelich besorgen. Oder er es ihr. Dreckschweine, verfickte. Ficken ist Macht. Ist das schön. Ich lächle.

      Und er fühlt sich aufgefordert, ebenfalls zu lächeln. Ob er doch mit rein muss?

      Seit Mutter weg ist, habe ich wenigstens im Haus meine Ruhe. Aber die Leute sind neugierig, oder doch schon misstrauisch? Was bilden die sich eigentlich ein? Haben die kein eigenes Leben?

      „Ein Paket für Herrn Larsen“, fügt der Mann von der Post überflüssigerweise auch noch hinzu.

      „Tatsächlich?!“ Als wüsste ich nicht, wer ich bin, und dass das Paket für mich ist. Ich bekomme viele Pakete.

      Er schaut irritiert auf das Paket. „Ja“, sagt er sehr freundlich und lächelt mich schon wieder an. „Langstraße 3.“ Er schaut an mir vorbei und findet seine Annahme, dass es sich bei der genannten Adresse um das Haus handelt, vor dem er sich befindet, bestätigt. Er nickt zufrieden und geht davon aus, dass er Herrn Larsen vor sich hat. Das bin ich.

      „Ich kenne Sie nicht“, sage ich. Er kotzt mich nicht nur an, ich hasse ihn jetzt schon und vermerke ihn auf meiner internen Liste all derer, die mich richtig am Arsch lecken können. Sie wird Tag für Tag länger. Ich bin schon nicht mehr entsetzt darüber, wie leicht es den Menschen fällt, hassenswert zu sein und auf meine Liste zu kommen. Das ist keine Ehre. Früher einmal hat es mich noch entsetzt, heute nicht mehr. Da bin ich tolerant. Wir alle müssen uns verändert können. Flexibel sein.

      „Mein Kollege ist krank“, antwortet er und reicht mir das Paket. „Sie sind Herr Larsen?!“

      „Ihr Kollege wusste das.“

      „Nächste Woche wieder.“

      „Wenigstens sind Sie pünktlich.“

      Er schaut mich an, als wollte er sagen, was er denkt, überlegt es sich dann aber anders. Ich habe damit keine Probleme. Zu sagen, was ich denke, meine ich. Er aber meint noch immer freundlich bleiben zu müssen. Ich habe nur noch Mitleid für ihn übrig. Ich wünsche ihm nicht einmal, dass ihm seine Frau am Abend schön einen bläst, nicht einmal das.

      „Auf Wiedersehen“, sagt er und wünscht mir sogar noch einen „schönen Tag“, dann dreht er sich um und geht.

      „Wichser“, zische ich hinter ihm her. Und ich sehe, dass er mich gehört hat, aber wahrscheinlich meint er, nicht richtig verstanden zu haben. Oder er meint, dass er nicht richtig verstanden haben kann, weil es eigentlich absolut keinen Grund dafür gibt, dass ich ihn beleidige. Seinen Körper durchzuckt ein kurzes Zögern, dann geht er weiter. Ich meine, dass er den Kopf schüttelt, ja ich sehe es, ich sehe, wie er mit dem Kopf schüttelt. Das kommt nicht vom Gehen. Er schüttelt den Kopf über mich, auch wenn er mir eigentlich Sachen sagen will, die er mir nicht sagen darf, solange er seine Uniform an hat. Er könnte mir aber abends mal irgendwo auflauern. Ja, das ist alles möglich.

      „Ignorant.“

      Ich drehe mich um und will schon zurück zum Haus gehen, da sehe ich eine der Nachbarinnen. Sie winkt, als sie sieht, dass ich sie gesehen habe. Ich hebe den Arm und winke mit gestrecktem Mittelfinger zurück.

      „Miststück!“

      Sie lächelt. Sie meint mich zu kennen. Schön. Schönen Tag, wünsche ich. Hoffentlich nerven die heute nicht wieder. Seit Mutter weg ist, klingeln die ständig und fragen nach ihr. Lästig. Erst wenn man weg ist, wird man interessant, oder was? Oder denken die doch schon, dass ich ein Hinterbliebener bin? Vielleicht muss ich später mal wieder Kasperletheater spielen. Wird vielleicht doch mal wieder Zeit. Damit sie was zu sehen und zu reden haben. Und die Fresse halten. Das müssen sie noch lernen: die Fresse halten.

      „Alte, kleine Hexen, alle zusammen.“

      Kaum bin ich wieder im Haus und habe hinter mir abgeschlossen und den Vorhang zurechtgezogen, und gehe mit dem Paket ins Arbeitszimmer, klingelt es an der Tür. An der Haustür. Die Klingel am Gartentür klingt anders. Das ging aber schnell, denke ich noch, doch ein anderer Gedanke verdrängt den Ärger über das unvermeidbar folgende Gespräch. Normalerweise klingelt niemand an der Tür. Es kann niemand an der Tür klingeln. Deswegen ist sofort klar: Ich habe vergessen, das Gartentor abzuschließen. So was passiert mir normalerweise nicht. Eben stand ich noch davor und habe es nicht gemerkt. Ich muss gestern vergessen haben, das Gartentor abzuschließen. Was war gestern? Warum habe ..., wie konnte ich das vergessen? Ich war unterwegs, ja, aber das ist kein Grund, nicht abzuschließen. Auch wenn es schon spät war, später als sonst. Ich musste mit dem Taxi vom Bahnhof nach Hause fahren. Aber es hat sich gelohnt. Es war gut. Habe mich ja auch lange gedulden müssen. Aber jetzt ist es vorbei. Hab noch gar nicht nachgesehen, ob sie schon was in den Nachrichten gebracht haben. Michaela. Sie kannte Miller und Nin. Und „Geschichte der O“. Dann braucht man nicht mehr um den heißen Brei herum zu reden. Wer darauf reagiert, muss damit rechnen. Muss mit allem rechnen. Vor allem mit mir. Denn ich bin der Herr. Ich bin der Hirte.

      „Ich warte, Mama. Ich warte, bis es soweit ist. Eines Tages.“

       Ich höre ihre Stimmen. Sie reden miteinander. Worüber sie wohl reden? Holen sie mich jetzt? Worüber reden sie? Ich kann es hören, aber nicht richtig verstehen. Es ist so still

      Es klingelt noch einmal, länger. Sie wird nicht gehen. Gott, wie die mich nerven. Als ob sie tatsächlich kein eigenes Leben haben.

      „Jetzt fängt das wieder an.“ Ich muss mich zwingen, aber es gehört wohl dazu.

      Ich gehe zur Tür und schließe auf. Ich öffne die Tür nur einen Spalt. Der Vorhang verhindert den Blick in den Flur. Ich lasse die Kette eingerastet.

      „Was?“, frage ich.

      „Hallo Klaus-Peter. Ist deine Mutter da?“

      Das dürfen sie eigentlich nicht, mich so nennen, so nennt mich nur Mutter. Mutter darf das, die nicht, dies alten vertrockneten Schachtel, verblödeten. Sie stehen heute zu zweit vor der Tür. Sie kann es nicht lassen, mich so zu nennen. Sogenannte Freundinnen meiner Mutter. Die sind auch immer so freundlich. Immer wollen sie hilfreich und nett sein. Zum Kotzen.

      „Sie schläft. Sie will ihre Ruhe haben“, sage ich und denke: Und ich auch.

      Leckt mich. Ihr werdet hoffentlich auch bald eure Ruhe haben. Ihr Habt nichts gemerkt. Auch ihr habt nichts gemerkt. Sie wollten nichts merken.

      Ich will die Tür schon wieder schließen, doch da muss ich tatsächlich zur Kenntnis nehmen, dass beide eine Hand heben und die Tür wohl offen halten wollen. Das ist neu, das haben sie noch nie gewagt, sich Gehör zu erzwingen. Sie werden sich heute nicht mehr einfach so abspeisen lassen. Das heißt Kasperletheater. Später. Ich brauche noch Zeit. Sonst geht es schneller als ich dachte.

      „Ist sie krank?“

      „Geht’s ihr net gut?“

      Wenn ich diese Sprache schon höre. Warum wollen die das wissen, das geht sie doch gar nichts an. Lebt euer eigenes Leben, wenn ihr eines habt, möchte ich ihnen am liebsten sagen.

      „Nein“, sage ich und seufze laut. „Sie ist nicht krank.“ Meine Freundlichkeit und Höflichkeit kotzt mich an. Das gibt später Ärger. Mutter wird mich aufziehen damit. Oder schimpfen.

      „Ja, sicher wird sie schimpfen. Mit mir. Sie wird mich schimpfen und wieder einsperren.“

      „Nein, bitte, nicht.“

       Das will sie doch hören. Ich werde wieder allein sein. Allein mit mir in der Finsternis.

      „Schachteln“, füge ich noch hinzu. „Alte.“

      „Bitte?“

      „Nichts.“ Ich lächle. Das hat nichts mit Freundlichkeit zu tun.

      Die beiden schauen sich an, lassen aber ihre Hände an der Tür. Ich weiß, dass ich stärker bin, aber ich warte, obwohl meine Geduld am Ende ist. Es ist eine schwere Prüfung für mich, ihnen die Tür nicht einfach vor den Nase zuzuschlagen. Das dauert hier schon viel zu lange. Kostbare