Es gab aber auch Menschen, die sich nicht erweichen ließen, da half es besser ihnen einen Schrecken einzujagen, in etwa: „Ich möchte sie nicht beunruhigen, aber ich kannte das Mädchen, das auf dieser Flöte spielte. Sie war sehr krank und kein anderes Kind durfte in ihre Nähe, weil es so ansteckend war.“
Nein, das war vielleicht doch nicht so gut. Misha grübelte lange, kam aber zu keinem Entschluss. Schließlich wurde ihm die Entscheidung abgenommen, als der Lastwagen plötzlich stoppte, die Plane zur Seite gezogen wurde und ehe Misha etwas sagen konnte, ein sichtbar überraschter, aber überaus wütender Fahrer ihn anschnauzte: „Was willst du hier? Scher dich sofort von meinem Lastwagen herunter!“
Der Mann war etwas rundlich, sah aber dennoch recht stark und kräftig aus. Sein Gesicht war vor Wut rot angelaufen und an der Seite seiner Stirn, die nur noch spärlich mit Haaren bedeckt war, konnte man eine Ader pochen sehen. Er hob drohend die Faust und lies ein paar Schimpfworte auf ihn niederprasseln, so dass Misha es vorzog zu flüchten, denn in diesem Augenblick hatte er keine Chance seine Flöte wiederzubekommen. Geschickt tauchte er unter den Armen des Mannes hindurch und verschwand blitzschnell um die nächste Häuserecke. Er konnte sich nicht vorstellen, dass so ein wütender Mann eine kleine Tochter zuhause hatte, der er eine silberne Flöte von seinen Reisen mitbrachte. Vorsichtig spähte Misha um die Ecke, denn er wollte den Mann und den Lastwagen auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Der Mann schimpfte noch immer vor sich hin und zerrte wütend an der Plane herum, um sie mit einigen Gummischnüren an der Seite zu befestigen, wobei sie ihm immer wieder aus der Hand rutschte, weil er mehr Zeit damit verbrachte sich aufzuregen, anstatt sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Schließlich schaffte er es und verschwand in dem Gebäude, vor dem er geparkt hatte. Misha las, dass es ein Restaurant war, welches auch Zimmer vermietete, war sich aber unschlüssig, ob der Fahrer nur essen oder tatsächlich dort übernachten wollte. Es musste schon Spätnachmittag sein, denn die Sonne, die sich gerade eben erst ihren Weg durch die Wolken erkämpft hatte, stand schon tief am Himmel. Misha verspürte ein Hungergefühl im Magen, denn er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Zwei Häuser weiter entdeckte er einen kleinen Laden und entschloss sich, den Lastwagen kurze Zeit aus den Augen zu lassen, um sich etwas zu kaufen. Der Laden war klein, besaß aber alles, was das Herz begehrte, so kaufte sich Misha zwei Brötchen, ein Stückchen Käse und leistete sich sogar den Luxus eines Schokoladenriegels, denn er hatte ja genügend Geld dabei. Dazu kaufte er sich eine große Flasche Wasser, um seinen Durst zu stillen. Er schlang alles sehr schnell hinunter, nur die Flasche behielt er in seiner Hand, dann kehrte er auf seinen Platz zurück und spähte um die Ecke. Der Laster stand noch immer am selben Fleck, von dem Fahrer war nichts zu sehen. Misha beobachtete die Sonne, die langsam hinter dem Horizont verschwand, der Fahrer blieb noch immer verschwunden und Misha begann zu frieren, denn mit dem Abend kam auch die Kälte. Misha fing gerade an sich ein wenig zu langweilen, natürlich ohne den Laster dabei aus den Augen zu verlieren, da wurde er plötzlich derb in die Seite gestoßen und war von einer Sekunde auf die andere von drei Jungen umringt. Der, der ihn gestoßen hatte, war fast einen Kopf größer als er, aber ziemlich dünn, der, der direkt vor ihm stand war nur ein wenig größer, aber breit und kräftig und der, der rechts stand war ungefähr so groß wie er und ebenfalls sehr dünn.
„Na, du bist wohl neu hier“, stellte der, der vor ihm stand fest und fixierte ihn mit seinen großen dunklen Augen.
Misha war überrumpelt und brachte keinen Ton heraus, aber er kam auch gar nicht dazu etwas zu sagen, denn sein Gegenüber packte ihn an seiner Jacke und drückte ihn gegen die Häuserwand. Er war sehr kräftig, so hatte Misha keine Chance sich gegen ihn zu wehren.
„Pass auf“, riet ihm der Kräftige, der versuchte seine Stimme gefährlich klingen zu lassen, was reichlich albern klang, die Situation für Misha aber keineswegs ungefährlicher machte.
„Das hier ist unser Revier, wir wollen keine Fremden und wenn sich doch jemand hier aufhält, gehört sein ganzes Geld uns.“
Misha versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, doch sobald er sich bewegte, drückte ihn sein Peiniger noch kräftiger gegen die Wand. Seine beiden Begleiter grinsten schadenfroh, aber der Kräftige, der zweifelsohne ihr Anführer war, schnauzte sie sofort an: „Grinst nicht so dämlich, los durchsucht ihn!“
Ihre Gesichter erloschen und der Große riss Misha die Wasserflasche aus der Hand und warf sie achtlos zur Seite, dann begannen die beiden seine Taschen zu durchwühlen und fanden natürlich das ganze Geld. Misha ergab sich in sein Schicksal, auch wenn es in ihm brodelte, er wusste, dass er gegen diese drei nicht ankam, doch plötzlich fiel ihm ein, dass er den Lastwagen im Auge behalten musste. Er versuchte aus den Augenwinkeln hinüber zu spähen, doch aus seiner Position war es unmöglich, um die Ecke zu sehen. Da er kräftemäßig gegen diese Jungen keine Chance hatte, musste er sie anders loswerden, deshalb sagte er schnell: „Das ist alles was ich habe!“
Seine Stimme klang ängstlicher als ihm lieb war und das schien den Drei auch nicht entgangen zu sein.
„Bist aber ganz schön reich“, bemerkte der Kräftige, „bist wohl ein verwöhntes Muttersöhnchen.“
Nicht so sehr diese Beleidigung, sondern vielmehr die Verzweiflung darüber, dass er den Lastwagen nicht mehr sehen konnte, verlieh Misha neue Kräfte, er schaffte es sich mit einem kräftigen Ruck zu befreien und mit einem energischen Stoß seinen Gegner von sich zu weisen, aber sofort waren die zwei anderen bei ihm und rissen ihn zurück. Ehe Misha sich versah wurde er wieder gegen die Hauswand gedrückt, er spürte hart den Beton in seinem Rücken. Vor Wut und Verzweiflung schossen ihm Tränen in die Augen, so sehr er auch dagegen ankämpfte.
„Schaut mal, das Muttersöhnchen weint gleich“, spottete der Kräftige, versetzte ihm noch einen letzten Stoß, der ihn an der Wand entlangschrammen lies, dann war es vorbei, genauso schnell, wie es begonnen hatte. Misha blieb jedoch keine Zeit sich aufzuregen oder zu entspannen, er sprang sofort auf, hastete zur Ecke und sah hinüber zum Restaurant. Die Straße war leer. Misha schloss die Augen, als wollte er es nicht wahrhaben, aber auch als er ein zweites Mal hinsah war kein Lastwagen zu sehen. Misha sank an der Häuserwand hinunter und hielt sich seinen Arm, den er vorher aufgeschürft hatte. Auf einmal spürte er den brennenden Schmerz doppelt so intensiv wie vorher und auch die Tränen konnte er nicht mehr zurückhalten. Er hatte alles verloren: Sein Geld, seine Flöte und er wusste nicht einmal wo er war.
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