Panoptikum des Grauens. Thomas Riedel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Riedel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750274297
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Falltür.

      Das Rauschen schwerer Flügel drang an sein Ohr.

      Sorgfältig schloss Shabistari die Klappe hinter sich und trat an einen Drahtverschlag in der hintersten Ecke des dunklen Speichers.

      Eine bläuliche Lampe verbreitete ein ungewisses Licht. Die Luft war feucht und stickig wie in einem Grab. Von den Dachsparren hingen riesige Fledermäuse. Sie baumelten mit dem Kopf nach unten, krallten sich in das Holz. Die Störung ließ sie unruhig werden. Winzige Knopfaugen starrten auf den Eindringling. Haarige Schnauzen mit nadelscharfen Zähnen pendelten hin und her. Flughäute von einem Meter Spannweite und mehr fächelten die Luft.

      »Es gibt Arbeit, meine Lieblinge«, kicherte der Orientale. Er entfernte ein starkes Vorhängeschloss und betrat den massiven Stall. Aus einem Kasten holte er ein starkes Sendegerät und stellte es auf einen Tisch, der von den Exkrementen der abstoßenden Tiere bedeckt war.

      Shabistari streifte ein Paar Lederhandschuhe über, die ihn vor den schmerzhaften Bissen seiner haarigen Geschöpfe schützen sollten, und ergriff ein besonders starkes Exemplar. Dabei tastete er mit seinem rechten Zeigefinger über den Schädel des Tieres. Schließlich fand er den winzigen elektronischen Apparat, der unter der Haut des Vampirs eingepflanzt war und dessen kompliziertes Radarsystem beherrschte. Durch die Impulse des Gerätes wurde dem ekligen Blutsauger die Richtung vorgeschrieben, während er Hindernisse auf dem Flug wie stets ortete und umging. Er trat an die Dachluke.

      Der Himmel war samtig blau und sternenklar.

      In der Nachbarvilla war man längst zur Nachtruhe übergegangen, und wegen der milden Witterung standen die meisten Fenster offen.

      Er hatte sich genau gemerkt, wo die Gäste untergebracht waren. Ihnen galt sein Anschlag. Denn er war keineswegs gewillt, das Feld kampflos zu räumen. Und jetzt, wo er in den Beamten von Scotland Yard gleichwertige Gegner gefunden hatte, begann ihm die Sache richtig Spaß zu machen.

      Mit der Linken öffnete er behutsam die Luke und schickte seinen Todesboten auf die Reise.

      Lautlos wie ein Schemen segelte der mächtige Vampir durch die Nacht. Nur seine unhörbaren Schreie stieß er aus, um sich am Widerhall seiner Stimme zu orientieren.

      Shabistari packte sein bereits eingeschaltetes Sendegerät und hetzte den unheimlichen Verbündeten gegen den Feind. Er steuerte den pelzigen Blutsauger auf ein Fenster im ersten Stock, hinter dem jener dunkelhaarige Mann mit den buschigen Augenbrauen ahnungslos schlief, der sich, wie sein Kollege, seinen stummen Befehlen erfolgreicher widersetzt hatte als seine unglücklichen Vorgänger.

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      Kapitel 5

      S

      ir Christopher Franklin, Chief Superintendent von Scotland Yard und Leiter des neugegründeten ›Bureau of Occultism Research‹, unterbrach seinen Rundgang durch den Salon in der Coleman-Villa und schaute seinen Chief Inspector durchdringend an.

      »Es gibt also keinen Zweifel daran, dass Miss Coleman entführt wurde«, fasste Isaac Blake das Ergebnis seiner Ermittlungen zusammen. »Sie wird das Haus nicht aus freien Stücken verlassen haben. Nicht zu dieser nächtlichen Stunde und schon gar nicht in einem mehr als dürftigen Aufzug.«

      Franklin behielt die Hände auf dem Rücken. Sein rundes Gesicht unter dem schütteren weißen Haar drückte Zustimmung aus. »Glauben Sie, dass es um Lösegeld geht?«

      »Nicht bei diesem Aufwand«, schüttelte Blake entschieden den Kopf. »Ich vermute stark, dass uns allein seine Lordschaft, Sir Winston, das Motiv der Tat nennen kann.«

      »Wenn ihn unser Doc doch nur schon in die Wirklichkeit zurückgeholt hätte«, seufzte Cyril McGinnis, Blakes Assistent und Freund, wobei er sich durch seine wenigen Haare auf seinem kugelförmigen Kopf fuhr. »Ich verstehe zwar nicht das Geringste von Hypnose, und um nichts Anderes kann es sich handeln, aber es muss doch eine Möglichkeit geben, sie aufzuheben.«

      »Gordon tut, was er kann«, erwiderte Isaac. »Er weiß selbst, wie entscheidend die ersten achtundvierzig Stunden sind.«

      »Du bist aber auch der Meinung, dass dieser Orientale seine Hand im Spiel hat?«, hakte McGinnis nach, genau wissend, woran sein Kollege gerade dachte.

      Blake nickte. »Ja, … dafür hat sich der Kerl viel zu offensichtlich für seine Nachbarn interessiert.«

      »Aber solange wir keine stichhaltigen Beweise oder zumindest glaubhafte Zeugenaussagen besitzen, können wir nicht gegen ihn vorgehen.« Ein bitteres Lächeln umspielte McGinnis‘ Mundwinkel. »Kein Richter würde uns auf reinen Verdacht hin einen Haussuchungsbefehl ausstellen.«

      »Das musst du mir nicht sagen«, kam es brummend zurück.

      »Wenn ich mir vorstelle, Kayleen könnte in der Gewalt dieses Burschen sein, werde ich verrückt«, stöhnte Roger Whitemoore. »Man weiß doch, was sich Orientalien ausdenken können. Die drehen durch, wenn sie blonde Haare sehen ... Aber man muss sich ja auch nicht mehr wundern, wenn wir jedes Dreckspack ins Land lassen …«

      »Na, nun bleib mal auf dem Teppich, mein Junge«, mahnte der Chief Superintendent. »Wenn ich richtig informiert bin, lasst ihr jungen Leute heutzutage auch nichts mehr anbrennen. Ganz abgesehen davon bist du ungerecht. Du solltest nicht verallgemeinern und schon gar nicht all den Populisten nacheifern!«

      »Nun, ich bin ein wenig durcheinander. Ich mach‘ mir halt Sorgen«, murmelte Whitemoore.

      »Das tun wir wohl alle«, machte McGinnis deutlich. »Ausgenommen Sir Winston und seine Tochter. Das ist schon recht absurd, wie ich finde. Und …«

      Er wurde unterbrochen, denn Dr. Gordon Lestrade stürzte in den Salon. »Schnell, die Droge wirkt!«, rief ihnen der spindeldürre Mittfünfziger im weißen Kittel zu, nur um gleich darauf wieder zu seinem Patienten zurückzukehren, gefolgt von Blake, McGinnis, Sir Franklin und Roger Whitemoore.

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      Seine Lordschaft wälzte sich unruhig auf seinem Lager, geschüttelt von der starken Amobarbital-Injektion, die ihm der Chef-Pathologe des Yards verabreicht hatte. Die schriftliche Einwilligung zur Behandlung mit dem Wahrheitsserum, ohne die Lestrade keinen Eingriff vorgenommen hätte, lag auf dem Tisch. Mehrfach hatte er Sir Winston auf das Risiko, insbesondere in Hinblick auf dessen hohen Alters, hingewiesen. Doch der hatte ihn nur kaltlächelnd angesehen, und auch den Hinweis darauf, dass die Substanz zu unerwünschten Nebenwirkungen bis hin zum Tod führen kann, mit einer lässigen Handbewegung vom Tisch gewischt.

      »Ihr könnt ihm jetzt eure Fragen stellen«, flüsterte Lestrade. »Ihr dürft aber nicht vergessen, dass die Wirkungsweise eher darin besteht, das Urteilsvermögen und die Konzentrationsfähigkeit einer Person zu beeinträchtigen, beziehungsweise kommunikativer zu machen.«

      »Er kann also auch lügen«, knurrte McGinnis.

      »Das stimmt«, nickte Lestrade. »Daher solltet ihr eure Fragen sehr genau bedenken, denn die Droge hat ihn auch anfällig für Suggestion gemacht. Außerdem kann es zu einer Vermischung von Realität und Fiktion kommen.«

      »Da wir keinen Verhörspezialisten haben … Nun, dann wollen wir mal unser Bestes geben«, meinte Blake, der sich einen Stuhl heranzog, und das Verhör eröffnete, während McGinnis mit gezücktem Notizblock darauf wartete, das Wesentliche mitzustenographieren.

      »Sie haben eine Urenkelin, Sir Winston?«, forschte Blake, direkt auf das Ziel zumarschierend.

      Seine Lordschaft antwortete nicht. Er wandte den Kopf und blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an und sein Gesicht zuckte in namenloser Qual. Seine Lippen bebten und Schweiß brach ihm aus allen Poren.

      »Ihre Urenkelin heißt Kayleen?«, änderte Blake geschickt seine Fragestellung, um den alten