Panoptikum des Grauens. Thomas Riedel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Riedel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750274297
Скачать книгу
während die Hündin immer wieder kläffend an der verschlossenen Pforte emporsprang. »Komm‘, Joyce«, flüsterte er. »Uns beiden glaubt ja eh niemand.« Aber damit ließ sich die ›English Pointer‹-Dame nicht beruhigen, und er kniete nieder, um sie zu besänftigen. Und plötzlich stutzte er.

      Im Gras lag ein dünnes Goldkettchen mit einem Anhänger, eine etwas kitschige türkische Arbeit, die aber mit einem wertvollen Rubinherz verziert war. Auf einer winzigen Goldplatte jedoch waren die Worte eingraviert: ›Kayleen. In Liebe – Roger‹.

      »Da ist der Beweis!«, rief er erregt, während er mit seinem Fund zu seiner Lordschaft gerannt war.

      Der greise Mann lächelte überheblich. »Da steht aber nichts davon, dass diese geheimnisvolle Kayleen meine Urenkelin ist«, stellte er klar.

      Whitemoore warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wenn es nicht gerade Mittag wäre, genügte ein Anruf beim Standesamt«, knirschte er. »Das würde Sie doch überzeugen, nicht wahr?«

      »Nur davon, dass auch britischen Behörden Fehler unterlaufen«, parierte Sir Winston ironisch, worauf seine Tochter lauthals auflachte.

      Es war offensichtlich, dass die beiden Alten langsam des seltsamen Spieles überdrüssig wurden.

      »Ich weiß, dass da irgendetwas nicht stimmt«, überlegte Whitemoore halblaut. »Ich ahne, dass Kayleen in Not ist.«

      »Sie haben doch einen Onkel beim Yard, Roger«, schlug seine Lordschaft im Scherz vor. »Vielleicht können Sie den für Ihre Jagd nach dieser mysteriösen Kayleen einspannen.«

      »Er hat gerade eine neue Abteilung ins Leben gerufen«, nickte Whitemoore. »Das ›B.O.O.R.‹, ›Bureau of Occultism Research‹, und befasst sich mit allen Kriminalfällen, die den Rahmen des Üblichen sprengen. Zwei seiner Leute, ein gewisser Chief Inspector Issac Blake und dessen Partner Inspector Cyril McGinnis, haben gerade einen erstaunlichen Fall gelöst, der in Durness, an der Nordküste Schottlands spielte, wie Sie den Zeitungen sicher entnommen haben werden, Sir.[1]«

      »Ich erinnere mich an die Artikel«, stimmte Sir Winston zu.

      »Kann ich von hier aus telefonieren«, fragte Whitemoore erschöpft. Er war mit seinem Latein am Ende.

      Seine Lordschaft nickte. »Geheimnisvoll am lichten Tag, lässt sich Natur des Schleiers nicht berauben. Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben«, brummte er leise vor sich hin.

Kapitel Ende.jpg Unbenannt - 2.jpg

      Kapitel 4

      M

      it wachsender Unruhe beobachtete Kianoush Shabistari die Arbeit der britischen Polizei, die, von Roger Whitemoore alarmiert, mit zwei Fahrzeugen vor dem Nachbarhaus vorgefahren war.

      Es waren mehrere Beamte in Uniform und Zivil vom New Scotland Yard, die offenbar einen Arzt mitgebracht hatten.

      Der Orientale lächelte grausam in sich hinein, während er, hinter der Gardine verborgen, in seinem Arbeitszimmer stand und das Geschehen verfolgte, soweit es ihm von dort aus möglich war. Er wusste, dass sich der Mediziner an der harten Nuss die Zähne ausbeißen würde und niemals die hypnotische Sperre brechen würde, mit der er Lord Colemans Bewusstsein blockiert hatte. Und auch bei dessen Tochter und dem Personal würde es ihm nicht anders ergehen.

      Er hatte sie alle langsam, aber sicher unter den erstickenden Einfluss seines dämonischen Willens gezwungen. Sie handelten und antworteten, dachten und redeten nicht mehr wie freidenkende Menschen. Die Gedanken der von ihm Hypnotisierten kreisten in harmlosen Bahnen ungehindert dort, wo sie ihm nicht schaden konnten. Er hatte sie in Bezug auf Kayleen Colemans Person ausgeschaltet und alle Begleitumstände ihres rätselhaften Verschwindens. Selbst, wenn man sie mit einem einwandfreien Geburtsschein der Vermissten konfrontiert hätte, diese Marionetten wären nie bereit gewesen, die Existenz des unglücklichen Mädchens anzuerkennen. Alle Erinnerungen waren gelöscht. Wäre dieser Roger Whitemoore nicht aufgetaucht, niemals wäre eine Anzeige erfolgt.

      So aber musste er sich eingestehen, dass sein System Lücken aufwies, und es galt, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

      Er klingelte nach seinem Getreuen.

      Der Tibetaner erschien lautlos und prompt wie der Geist aus Aladins Flasche. Stumm verbeugte er sich mit ehrerbietigem Gruß, ging in gebührendem Abstand auf die Knie und erwartete die Befehle seines Herrn – unterwürfig wie ein Hund.

      »Wir werden verschwinden müssen«, entschied Kianoush Shabistari. »Du wirst vorausgehen. Du weißt, wohin! Nimm alle meine Lieblinge mit und vergiss das Mädchen nicht. Ich werde hier die Stellung halten, bis ich merke, dass es aussichtslos ist. Dann tauche ich auch unter.«

      Wieder machte der Tibetaner mit unbewegtem Gesicht seinen ›Kotau‹, berührte mehrmals mit der Stirn den Boden und bedeutete seinem Herrn gegenüber seine untergeordnete Stellung. Er blieb noch kurz in kniender Körperhaltung, bevor er es wagte sich zu erheben und den Raum zu verlassen.

      Shabistari wandte sich wieder dem Fenster zu.

      Die ganze Gesellschaft hielt sich jetzt im Salon auf, mit Ausnahme des Arztes und Lord Coleman.

      Besonders aber ein mittelgroßer, schlanker Mann mit dunkelbraunen, kurz geschnittenen Haaren und kühlen, grauen Augen unter auffallend buschigen Brauen, schnüffelte herum wie ein Jagdhund. Gerade unterhielt er sich mit Roger Whitemoore. Ihnen folgte ein großer, schwergewichtiger Mann mit kugeligem Kopf.

      Einmal verließen die drei das Gebäude, kamen durch den Garten näher, und Whitemoore zeigte den beiden in Zivil die Stelle, an der er Kayleens Anhänger gefunden hatte.

      Der schlanke Polizist in Zivil bückte sich, untersuchte die Pforte zwischen den beiden Grundstücken genau und spähte kurz über die Mauer.

      Der Beamte mit dem auffallend energischen Kinn und dem gepflegten Äußeren schien eine sehr empfindliche Antenne für Hirnströme zu haben. Mehrfach schaute er zum Nachbarhaus hinauf, gerade so, als spüre er den fremden Blick.

      Sofort sendete der Orientale mit höchster Intensität einen mentalen Impuls und in seinen Augen glühte es auf. Doch er musste feststellen, dass der Mann nicht im Geringsten auf ihn reagierte. So sehr er sich auch bemühte, er endete vor einer Mauer eisenharten Willens und wachen Instinktes. Er ist ein schlechtes Medium, ging es ihm durch den Kopf und er versuchte es darauf bei dessen Kollegen. Aber auch bei ihm wollte sich der gewünschte Erfolg nicht einstellen. Gegen die beiden muss ich ein anderes Kaliber ins Feld führen, dachte er wütend, während die drei in das Haus zurückkehrten und wenig später im Salon auftauchten.

      Noch immer bemühte sich der Polizeiarzt um seine Lordschaft, doch offenbar mit mäßigem Erfolg.

      Später tauchte ein uniformierter Beamter mit einem Motorrad auf und brachte einen medizinischen Behälter mit Ampullen.

      Jetzt versuchen sie es mit Chemie, dachte der stumme Beobachter amüsiert. Als ob die Naturwissenschaften jenen Kräften überlegen wären, die einer geheimen Quelle im Innersten des Menschen entspringen. Wohl dem, der seine verborgene Macht bewusstwerden lässt und ausnutzt. Er schlägt alle Konkurrenz.

divider.png

      Die Stunden vergingen, und die Ermittlungen der Polizei schienen sich im Kreis zu drehen.

      Längst brannte das Licht in der Nachbarvilla, aber noch immer hielt der Orientale auf seinem Posten aus.

      Mit Vergnügen bemerkte er, dass für die drei Beamten und den Polizeiarzt Gästezimmer hergerichtet wurden. Das gab ihm die Möglichkeit, etwas gegen die Leute zu unternehmen, die versuchten, seine Rachepläne zu durchkreuzen.

      Ein diabolisches Lächeln