»Natürlich darfst du mit uns gehen«, sagte Terach. »Wir brauchen junge Leute wie dich.«
Lot strahlte über das ganze Gesicht wie ein kleines Kind, das ein Geschenk bekommt.
Nahor meinte jedoch:
»Ich weiß nicht, ob es nicht besser wäre, wenn Lot hier bliebe. Er ist ein schwächlicher Junge. Das Nomadenleben ist doch zu anstrengend für ihn.«
Doch Lot wehrte sich. Er wollte keineswegs zurückbleiben und in Nahors dunkler Werkstatt das Tischlerhandwerk, das er bei Terach erlernte, das ganze Leben lang ausüben und seinem Oheim dienen müssen.
Abraham und Großvater Terach meinten, er werde es schon schaffen. Er sei halt noch im Wachstum. Wenn er einmal ausgewachsen sei, und das dauere ja nicht mehr lange, werde er schon stark genug sein, um alle Strapazen zu überstehen.
Am nächsten Tag ging Terach wieder hinaus zu dem alten Nomaden und nahm Abram mit.
Der Kranke sah noch blasser und müder aus als am Tag zuvor.
Seine Stimme war noch schwächer geworden, und der Husten in seiner Kehle machte ihm beim Reden zu schaffen.
»Nehmt die Esel mit in die Stadt«, sagte er zu Terach, »und ladet ihnen alles auf, was ihr mitnehmen wollt. Ich spür es, wenn ihr wieder kommt, werde ich gestorben sein.«
Auch Abram dankte dem Mann und ließ ihn wissen, dass er sich ebenso wie sein Vater darüber freue, die enge Stadt verlassen und als freier Mann durch das Land ziehen zu können.
»Du bist wie dein Vater«, sagte der Alte. »In dir ist die gleiche Inbrunst. Jetzt kann ich ruhig sterben.«
Als Terach und Abram mit den drei Eseln nach Hause kamen, staunten die Nachbarn.
Was hatten die beiden vor?
In dem engen Hof vor dem Haus konnten sie die Esel nicht stehen lassen. Sie stießen sie durch die Tür in die Werkstatt. Sie hatten genug Futter für drei oder vier Tage mitgenommen.
Als die Esel versorgt waren, gingen Terach und Abram in die Stadt. Sie nahmen Lot mit, der vor lauter Aufregung sonst nichts anderes mehr zu tun wusste. Auf dem Markt wollten sie Felle, Tücher, Lederriemen und Schnüre kaufen und Holzpflöcke, denn sie brauchten neue Zelte. Mit dem Silber, das Terach durch seine Arbeit erworben hatte, würde er seine Herde vergrößern und weitere Knechte dingen. Das Zelt, das den alten Nomaden dem Aussehen nach sein Leben lang begleitet hatte, könnte dann noch einem Knecht dienen oder für die Unterbringung von Vorräten oder sonst etwas gebraucht werden. Sarai und Abram sollten ein eigenes neues Zelt haben, und Lot könnte bei Terach schlafen.
Terach, Abram und Lot dachten nicht mehr ans Arbeiten in der Werkstatt. Sie hätten auch keinen Platz mehr gehabt. Nur Nahor saß noch über die Arbeit gebeugt und ärgerte sich über die Esel, die ihm überall im Weg standen, wenn er aufstehen und in einer Ecke neues Holz oder ein anderes Werkzeug holen musste. Ihm schien, als hätte er noch nie so oft von der Arbeit aufstehen müssen wie gerade jetzt, wo ihn die Tiere störten und ihn mit ihrem Gestank belästigten. Zum Glück sträubte sich Lot nicht dagegen, den Mist auf einer Schaufel vor das Haus zu bringen. Dass er aber den Urin der Tiere mit dem kostbaren Sand vermischte, um ihn dann auch mit der Schaufel wegzubringen, rief seinen Zorn hervor.
»Wer bringt mir nun neuen Sand? Muss ich ihn gar selber vom Euphrat holen?«, schrie er Lot an.
Doch der freute sich so sehr auf das Nomadenleben, dass er seinem Oheim versprach, gleich nach getaner Arbeit zum Fluss zu gehen und so viel feinen Sand zu holen, dass er ihm reiche, bis er einmal seinen eigenen Sohn schicken könne.
»Dann nimm doch gleich die zwei größten Krüge mit«, rief ihm Nahor zu.
»Wenn sie nur bald aufbrechen würden«, dachte er. »Die können ja an nichts anderes mehr denken. Nicht einmal Kinder, die sich auf ein Fest auf dem Marktplatz freuen, sind so ungestüm.«
Doch er musste sich nicht mehr lange aufregen.
Schon am nächsten Tag, als Terach und Abram wieder zu dem Alten hinauszogen, fanden sie ihn nicht mehr lebend vor. Die zwei Knechte und die Magd waren bei ihm geblieben und erklärten nun, sie wollten den neuen Herren dienen.
Die Knechte halfen Terach und seinem Sohn, eine Grube zu graben. Den Leichnam hüllten sie in ein Tuch und legten ihn in die Grube. Terach zog aus seiner Tasche eine kleine Götterstatue und gab sie zu dem Alten ins Grab. Dann deckten sie ihn mit Erde und Steinen zu.
Auf dem Heimweg sagte Abram zu seinem Vater:
»Warum hast du ihm eine Götterfigur ins Grab gelegt?«
»Was fragst du?«, antwortete Terach. »Du weißt doch, dass man dem Toten einen Gott mitgibt, damit er ihn auf den Weg ins Totenreich geleiten kann.«
»Einen Gott hast du mit dem Toten begraben?«, lachte Abram. »Ein schöner Gott, der sich begraben lässt! Du hättest dem Alten ebenso gut ein unbearbeitetes Stück Holz mitgeben können oder besser deinen Stecken. Der würde ihm mehr nützen auf seiner Wanderschaft in die Unterwelt als ein Gott aus Holz.«
»Ja, spotte nur«, sagte Terach und dachte: »Warum nur haben die Jungen heute keinen Respekt mehr vor den Göttern?«
Und laut sagte er zu Abram: »Warte nur, bis du einmal alt bist und es mit dir zu Ende geht, dann wirst du froh sein, wenn du zu einem Gott um Gnade für deine Gotteslästerungen flehen kannst.«
»Ja, Vater, ich werde zu einem Gott beten«, antwortete Abram, »aber nicht zu irgendeinem Gott, sondern zu dem einen und einzigen Gott, der die Erde erschaffen hat und dem ich mein Leben verdanke. Aber dieser Gott ist ein lebendiger Gott, nicht einer aus Holz, den wir in unserer Werkstatt geschaffen haben.«
»Diesen Gott kenne ich nicht«, sagte Terach, »zeige ihn mir, wenn es ihn gibt!«
»Es gibt ihn, auch wenn ich ihn nicht sehen kann«, antwortete Abram. »Vielleicht können wir ihn sehen, wenn wir gestorben sind.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Terach. »Von Sin-Ta wohl nicht.«
»Ich weiß es nicht, niemand hat es mir gesagt«, erwiderte Abram. »Aber ich glaube, dass es so ist.«
Sie redeten noch eine Weile hin und her. Aber kaum waren sie wieder daheim, ging es ans Packen.
Kissen und Decken und Kleider wurden in große Tücher gepackt. Auch allerlei Hausrat aus der Küche, Geschirr und Krüge mit Bier und Schläuche mit Wasser. Aus der Werkstatt nahm Terach einige Götterstatuetten, die er selber auf Vorrat hergestellt hatte. Die andern und das Werkzeug ließ er Nahor zurück.
Er hatte heimlich die Statuen in ein Tuch gehüllt, damit es Abram nicht sehe. Nach dem, was er heute von ihm gehört hatte, würde ihm dies wohl nicht gefallen.
Abram dachte wirklich keinen Augenblick daran, auch nur eine einzige von seinen Figuren mitzunehmen. Nur Sarai steckte, heimlich wie ihr Vater, die Statuette der Liebesgöttin Inanna, von der sie doch immer noch Hilfe gegen ihre Kinderlosigkeit erhoffte, in die Tasche.
An diesem Abend nahm Terach seinen Sohn Abram noch einmal zur Seite und ging mit ihm in die Werkstatt. Wollte er nicht gehen, ohne von allem noch Abschied zu nehmen?, dachte sich Abram. Doch Terach dachte an etwas anderes.
»Morgen beginnt für uns ein neues Leben«, begann Terach. »Wir wissen nicht, was es uns bringt.«
»Vater, bereust du es, alles hier aufzugeben?«, fragte Abram und zeigte auf die Götzen und die Werkzeuge und all die Materialien, die herumstanden und darauf warteten, bearbeitet zu werden. »Löse dich davon! Denk daran, was ich dir auf dem Heimweg gesagt habe! Es ist gut und ich bin froh, dass wir dies alles zurücklassen.«
Terach hatte kaum hingehört und sagte: »Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich damals, als sich mein Traum zerschlagen hat, hätte aufbrechen können. Damals war ich noch jünger. Heute mache ich mir Gedanken.