Er hatte gerade die Haustür hinter sich zugeworfen, als ihm noch etwas einfiel: Die Zeitung. Er öffnete sie wieder und sah, dass die Zeitung schon wieder auf dem Rasen lag. „Was ist bloß los mit dem Jungen? Er schafft es nie, sie weiter als bis auf den Rasen zu werfen. Er schritt über den Rasen. Unter seinen Schuhsohlen knirschten trockene Blätter. Sie stammten von der Hecke, die sein Nachbar gestern gestutzt hatte. Er klemmte sich die Zeitung unter den Arm, schlenderte wieder zurück zum Haus und betrat den Flur.
Überhaupt war das mit den Nachbarn in der Eifel so eine Sache. Im Allgemeinen ließen sie ihn in Ruhe, auch wenn sie für seinen Geschmack ein wenig zu häufig aus ihren Häusern krochen, um nachzusehen ob auch wirklich noch alles in Ordnung war. Das Haus in dem er wohnte besaß zwei Stockwerke. Neben seinem Schlafzimmer befanden sich oben noch ein Gästezimmer und das Bad. Den ersten Stock teilten sich Küche, ein Gäste-WC und das geräumige Wohnzimmer. Letzteres war ein Mittelding zwischen einem Salon und der Art von Bibliothek, die ein Liebhaber guter Bücher Stück für Stück zusammentrug, je nachdem wie sich die Gelegenheit dazu ergab. Die schwere Couchgarnitur aus Leder, der wuchtige Esstisch mit den acht passenden Stühlen, ebenfalls Leder, die antiken Holzregale -und Schränke, der Sekretär sowie die auffällige Standuhr, alles stammte aus der Gründerzeit und verbreitete zusammen mit dem gusseisernen Kaminofen eine gewisse Behaglichkeit. In der Ecke des Zimmers stand eine restaurierte, amerikanische Musikbox. Zwei Wände wurden durch Regale verdeckt, auf denen präkolumbische Keramiken unterschiedlicher Formen und Epochen standen. Die beiden anderen Wände schmückten eine Reihe historischer Bilder, die ebenfalls aus dem fernen Südamerika stammten und von antiken Lampen mit bunten Tiffanyglasschirmchen angestrahlt wurden. All das spiegelte seine persönliche Note wieder.
Die automatische Kaffeemaschine auf der Rückseite seiner Küchenbar hatte gerade ein einigermaßen trinkbares Gebräu fertiggestellt und Luna kaute eifrig auf einer klebrigen Masse aus ihrem Aluminium Napf herum, also konnte er sich getrost an den Küchentisch setzten und einen Blick in die Tageszeitung werfen. Innerlich brannte er darauf zu erfahren, was der Staatssekretär von ihm wollte. Und trotzdem dachte er nicht im Traum daran, sich gleich am Anfang von ihm einwickeln zu lassen. Am anderen Morgen klopfte er pünktlich um acht Uhr an jene Tür, die zum Büro des Staatssekretärs Von Sanden führte.
„Herein!“
Roger Peters öffnete und blickte sofort in Von Sandens strenger Miene.
„Ah der Herr Guerrero gibt sich die Ehre. Eigentlich habe ich Sie ja bereits gestern erwartet.“
Er deutete auf den Stuhl zu seiner linken. Claudio setzte sich.
„Nun, ich hatte ein wenig getrunken und da wollte ich nicht…“
„Sie wollten keinen schlechten Eindruck bei mir hinterlassen, nicht wahr Herr Guerrero?“
„Äh ja. Das stimmt ganz genau.“
Aber es war bei weitem nicht selbstverständlich, dass er pünktlich in Bonn eingetroffen war. Er fuhr einen alten englischen Sportwagen und der hatte seine Tücken.
„Nun gut, wir wollen es dabei belassen“, sagte Von Sanden beinahe gutmütig. „Herr Guerrero, ich habe einen Job für Sie!“
„Davon habe ich bereits gehört, aber Baumann wollte partout nicht herauslassen um was es dabei geht. Ich dachte mir nur, dass wenn Sie mir extra zwei von ihren Beamten vorbeischicken, es sich allerdings um eine ernste Sache handeln muss.“
Von Sanden sah ihn eine Zeitlang an, ohne etwas zu sagen. Auf einmal verließen die Worte sehr ernst sogar fast unhörbar seinem Mund. Unmittelbar danach hatte er sich wieder gefasst.
„Hören Sie zu. Ich weiß, dass sie viele Jahre in Südamerika gelebt haben. Erzählen Sie mir doch einmal was Sie über Peru wissen?“
Die Frage kam für Claudio völlig unerwartet. Er schluckte. Was sollte das jetzt?
„Staat in den Anden, alte Kulturen, die Inkas, Machu Pichu, Ceviche…“
Was sollte er noch darauf noch antworten? Von Sanden nickte zustimmend.
„Ich sehe wir verstehen uns. Sie kennen sich in der Hauptstadt Lima aus?“
„Wie in meiner Westentasche! Darf ich Sie fragen, warum Sie das so interessiert?“
„Eben, aus reine Interesse“, erwiderte Von Sanden mit einem Gesichtsausdruck der fast schon scheinheilig wirkte, während er auf Claudio blickte, der sich vorkam, wie das Opfer in einer Falle. Und der Staatssekretär fackelte nicht lange.
„Gut, dann reden wir über mein Angebot. Sind sie doch interessiert oder etwa nicht?“
Es gelang Claudio sich von dem intensiven Blick seines Gegenübers zu lösen. „Momentmal“, sagte er. „Wenn ich mich recht erinnern kann, so haben Sie mir bisher noch kein konkretes Angebot vorgelegt. Also woran soll ich da bitte schön interessiert sein?“
Auf einmal wirkte Von Sanden genervt. Dieser Claudio Guerrero war anscheinend nicht ganz so einfach zu überzeugen.
„In Ordnung“, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. Er zog an dem Filter, bis sich der erste Teil fast komplett in ein Ascheröllchen verwandelt hatte.
„Ganz wie Sie wünschen. Dann nehmen wir eben den komplizierten Weg, auch wenn ich eigentlich dafür keine Zeit habe. Ich sitze gerade hier mit ihnen zusammen und biete ihnen einen höchst interessanten und dazu noch lukrativen Job an, nur die Einzelheiten dazu gibt es später. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass Sie äußerst zufrieden sein werden…“
Claudio räusperte sich.
„Das ist mir allerdings dann doch ein bisschen wenig an Informationen, Herr Staatssekretär.“
Von Sanden stand auf, gestikulierte heftig mit beiden Händen, sagte etwas von Vertrauen, suchte nach einer neuen Zigarette und setzte sich wieder. Claudio genoss es sichtlich, dass er den vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Mann aus der Fassung gebracht hatte. Er legte sogar noch einen drauf.
„Sie können doch schlecht von mir verlangen, dass ich einzig und allein auf ihr Wort vertraue. Warum sollte ich das wohl tun?“
Von Sanden kochte vor Wut. Mit so viel Gegenwehr hatte er nicht gerechnet. Anderseits war es wirklich etwas dürftig, was er bisher an Informationen gegenüber Claudio herausgelassen hatte. Er zündete sich die neue Zigarette an, die er immer noch in der Hand hielt, inhalierte den Rauch und versuchte sich innerlich zu beruhigen.
„Sie sollen uns einen kleinen Dienst erweisen, mehr nicht.“
„Soll ich für Sie in Peru etwa nach dem El Dorado suchen?“ fragte Claudio ins Blaue hinein.
„Sicher nicht“, antwortete Von Sanden todernst.
„Das war nur ein Scherz Herr Staatsekretär!“
Von Sanden ignorierte die Antwort. Stattdessen fragte er: „Also, was ist nun? Kann ich auf Ihre Mitarbeit zählen?“
Claudio überlegte angestrengt, doch er kam zu keinem Ergebnis. Er wusste einfach nicht, was er von dem Staatssekretär und seinem Angebot halten sollte. Es klang alles ein bisschen zu verlockend.
„Warum gerade ich“, fragte er schließlich.
„Weil ich da draußen einen guten Mann brauche.“
„Mit da draußen meinen Sie die peruanische Hauptstadt Lima?“
Von Sanden nickte vorsichtig. „Genau so ist es mein lieber Herr Guerrero. Glauben Sie mir, wir haben sie ganz schön unter die Lupe genommen. Sie kennen Südamerika wie kaum ein Zweiter. Außerdem sprechen Sie die Landessprache