Ferdinand Baum & Die Reise des Herrn Kleinmann. Martin E. Greil. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin E. Greil
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742763594
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mehrfache meines normalen Honorars? Verzeihen Sie mir bitte, das kommt selten vor. Und wenn es vorkommt, bedeutet das meistens nichts Gutes. Zwanzigtausend haben Sie gesagt? Gut. Ich muss ein Telefonat führen. Sollte mein Partner damit einverstanden sein, melde ich mich heute noch bei ihnen.« Ferdinand nimmt das Kuvert, versteckt es in seiner Manteltasche. Er nickt Michaela Schneider zu, quert die Wiesenfläche hinter der Trauerweide über den Damm zu einer Sackgasse, die hinter den Parkplätzen für die Liegewiese in den Riedflächen und Weiden endet.

      Ferdinand Baum steigt in sein bevorzugtes Auto, einen 1979 Mercedes Benz 280C in English-Red. Der Fuhrpark ist dank Misses Alma Maria Stevens, seiner Vermieterin und ebenso der Besitzerin der Villa von Zobel, in Ferdinands Zuständigkeitsbereich. Es befinden sich mehrere Fahrzeuge in Misses Stevens Tiefgarage. Luxus nur bis zu einem bestimmten Grad. Jedes Auto hat seine Bestimmung und erfüllt praktische sowie soziale Zwecke. Ein Fiat Panda Allrad, klein und wendig für die Stadt. Ein weißer Land Rover Defender für die Berge und den Winter. Den Mercedes Benz 280 in der oberen Mittelklasse für gesellschaftliche Anlässe. Ein Toyota RAV4 für die Gartenarbeiten. Ein Fahrzeug allerdings befindet sich als Dauerleihgabe im Auto Museum AML in Liechtenstein und wird nur für die Besuche von Misses Alma Maria Stevens auf die Straße gestellt. Ein Mercedes-Benz 540K Spezial Roadster von 1937. Zu Ferdinands Bedauern durfte er den 1937er Benz noch nie auf eine Ausfahrt begleiten. Leider ist der 1937er auch kein Auto, das für Ferdinands Aufträge geeignet ist. So schön das Auto auch ist, verletzt es Regel Nummer 2: »Immer unter dem Radar bleiben.« Jeder Grenzbeamte hält den 1937er auf, um nur einige Momente das Auto genauer zu begutachten.

      Er sollte jetzt nach Hause fahren, dennoch bleibt er bei einer Scheune im Ried zwischen Lustenau und Dornbirn stehen und versinkt in Gedanken an Frau Schneider. Der Auftrag scheint fast schon zu einfach für seinen Geschmack. Und die hohe Bezahlung! Damit könnte er einige seiner Schuldner für einige Zeit ruhig stellen. Die sechs Jungen von Marxgut oder den alten Giuliano, den Vater von Francesco.

      117

      Ferdinand sucht den Namen 117. Gespeichert in seinem Handy verbirgt sich hinter der Zahl die Nummer von Francesco Giuliano, seinem Partner auf der Schweizer und Liechtensteiner Seite. Tunlichst vermeidet er, Namen in sein Telefon einzutragen. Jeder Kontakt besitzt eine Nummer. Zu jeder Nummer gibt es ein Codewort. Sollte jemand in Besitz seines Handys kommen und eine der Nummern wählen ohne das Codewort zu sagen, weiß der Angerufenen, dass das Telefon nicht mehr in Ferdinands Besitz ist. Umgekehrt gilt dies für Ferdinands nähere Kontakte auch. Je nach Vertraulichkeitsstufe wird die Nummer gespeichert oder nicht. Wem er nicht hundert prozentig vertraut, übergibt er die Büronummer der Galerie El-Mar. Für die normale tägliche Korrespondenz behält sich Ferdinand das Festnetztelefon mit der Privatnummer seiner Vermieterin Alma Maria Stevens vor. Mit einem kurzen »Si« meldet sich eine Männerstimme am anderen Ende. »Fisch« antwortet Ferdinand.

      »Etwas nicht in Ordnung?« fragt Francesco Giuliano.

      »Alles gut. Neue Anfrage wegen eines Gigs, morgen schon. Gleicher Kunde. Machbar?«

      »Bezahlung?«

      »Das Übliche« sagt Ferdinand, wobei er nach dem Satz kurz die Luft anhält. Fast so, als wollte er nicht durch seinen Atem verraten, dass er Francesco bei diesem Folgeauftrag keineswegs die Hälfte abgeben will. Bei Francesco Giuliano war es ein Versuch wert. Sollte er in den nächsten Sekunden schweigen, weiss Ferdinand, dass Francesco ihm hier nicht vertraut. Dann könnte er das mit einem kurzen - Spaß beiseite, sicher gibt es mehr Geld - aus der Welt schaffen. Bei Francesco Vater allerdings muss sich Ferdinand schon besser anstellen. Der alte Giuliano, Vorname Alberto, war mit allen Wassern gewaschen und länger im Business tätig als viele andere zusammen. Diese verflixte Schlauheit ist das Überlebenskapital von Alberto Giuliano. Ferdinand versucht, dem persönlichen Kontakt zu dem alten Giuliano so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Obwohl er davon überzeugt ist, dass er durch sein Yogatraining in der Lage ist, seine Gedanken komplett auszublenden, um keine verräterischen Gesichtszüge zu erhalten, traut er sich das bei Alberto Giuliano nicht zu. Der alte Giuliano besitzt die perfektionierte Fertigkeit, lügende Menschen zu entlarven. Ferdinands Atem setzt ruhig ein, als Francescos Stimme einige Sekunden nach Ferdinands Antwort wieder ertönt.

      »Ich frag die Band, sonst spielen wir zu zweit.«

      »Das ist gut so. Die Notenblätter hinterlege ich dir wie üblich. Ein neuer Song.«

      »Das Publikum wird sich freuen.«

      »Gut so. Servus.«

      »Ciao. A presto«

      Die Band

      Francesco Giuliano und Ferdinand gingen zwar in der Schule in dieselbe Klasse, richtig kennen lernten sie sich aber im Jazz Haus in Lustenau, direkt an der Schweiz-Österreichischen Grenze. Ferdinand und Francesco waren begeisterte E-Gitarristen. Die Lustenauer Jazz- und Blues-Szene war in den Achtzigern berühmt für ihre Musiker, die sich in Österreich einen gewissen Namen erspielten. Beeinflusst wurden sie durch einen amerikanischen Jazz Musiker, Less Rose, der von Los Angeles aus nach Europa geschickt wurde, um eine Zweigstelle des »Guitar Institute of Technology« zu errichten. Durch die Nähe der Geldgeber in der Schweiz und Liechtenstein kam er über Mittelsmänner zu den Musikern des Jazz Haus in der Schmugglergemeinde Lustenau, welche direkt an der Schweizer Grenze liegt. Less Rose eröffnete in den Achtzigern mit Hilfe eines renommierten Lustenauer Musikers das American Institute of Music, kurz AIM in Wien. Dabei wurde ein Teil der Finanzierung über die »Lustenau Connection« abgewickelt. Die ersten Workshops sowie Schulungen fanden im Jazz Haus Lustenau statt. Ferdinand stand am Anfang seiner musikalischen Laufbahn mit der E-Gitarre, welche er liebevoll »alte Lady« nannte. Die alte Lady erwarb er während einer London Reise in einem kleinen Guitar Store für vierhundert Pfund. Obwohl Ferdinand profunde Vorkenntnisse diverser Blasinstrumente hatte, welche er sich über die lokale Blasmusik in seiner Kindheit aneignete, spielte er auf der E-Gitarre nur die Basics. Einfache Skalen der Blues Pentatonik sowie die gängigen Griffe wie A, E, G. Der Clou an den ersten Workshops im Jazz Haus mit den amerikanischen Lehrern lag darin, jeden einzelnen der Besucher in den Himmel zu loben. Wenn Ferdinand zurück denkt, wurde ihnen nahezu etwas vorgegaukelt, um ihnen ein Gefühl zu geben, am Anfang einer großen musikalischen Karriere zu stehen. Less Rose erhoffte sich dadurch sein AIM mit Studenten zu füllen, egal ob sie talentiert waren oder nicht. Es war mehr wie logisch für Ferdinand und Francesco, die Liebschaft zu der Gitarre und den Künstlern weiter zu fördern, sowie eine professionelle Laufbahn einzuschlagen. Francesco saß im Jazz Haus neben Ferdinand. Beide waren gleich nervös, was den Ablauf des ersten Workshops mit Less Rose betraf. Sie nickten sich am Anfang kurz zu, ohne nur ein Wort zu reden. Als Less Rose schließlich alle aufforderte, ein kurzes Solo über einen Blues in der Tonart A zu spielen, um das Level der Gruppe besser einschätzen zu können, lagen die Nerven der beiden blank am Boden. Jedoch war es das Talent des immer gut gelaunten Less Rose, jedem das Gefühl zu geben, der beste Musiker der Welt zu sein. Was sich im Laufe des Workshops zu einem Phänomen entwickelte. Die anfangs steife Situation und die seicht oberflächliche Konversation entwickelte sich zu einer lebendigen, freudigen Aufbruchsstimmung, bei der sämtlich Hemmschwellen über das nicht vorhandene Können der Provinzmusikers vollkommen ausgeblendet wurde. Ferdinand und Francesco wurden Freunde, die gemeinsam noch unzählige Workshops miteinander besuchten, bis sie den Entschluss fassten, eine eigene Band zu gründen. Seit der Gründung ihrer Band »The Sinep« welche einige Konzerte in diversen Jugendhäusern gaben, entwickelte sich ein umgangssprachlicher Code, den sie heute benutzen, um ihre Geschäfte am Telefon zu besprechen. Es sind zwei Musiker, die über ihre Proben und Auftritte reden. Verpackt darin sind alle Informationen, die Francesco und Ferdinand brauchen, um kurz und ohne Umschweife ein Telefonat zu führen. Jemand, der mithört, würde meinen, es geht um einen Auftritt oder eine Probe.

      Zwei Croissants

      Ferdinand setzt seinen Heimweg fort. Er macht noch einen kurzen Abstecher im Café & Bäckerei Ulmer in der an Lustenau grenzenden Stadt Dornbirn. Von dort aus über die Landstraße und die Dörfer weiter bis zur Villa von Zobel nach Bregenz. Im Café Ulmer gibt es, seiner Meinung nach, die besten Croissants der