Mein Mitbewohner und Beziehungsanteil Kai kam nach Hause, um sich „frisch zu machen und zu stärken“. Es dauerte genau eine halbe Stunde und mit vollem Mund verließ er die Wohnung wieder. Ein Begrüßungs- und Abschiedsküsschen gab es nicht. Das war halt bei uns nicht Sitte, entweder richtig oder gar nicht, aber für solche Kleckerzärtlichkeiten war keine Zeit. Nur waren tief in meinem Herzen andere Beziehungsrituale versteckt. Ich wäre schon über ein Wangentätscheln glücklich gewesen.
In diesen 30 Minuten stritten wir. Während seines Waschvorgangs redeten wir aneinander vorbei und machten uns gegenseitig Vorwürfe. Wer kann den anderen schlimmer verletzen, du oder ich? Der arme Mann wusste überhaupt nicht, was ich von ihm wollte, Beziehungsmüll warf ich ihm vor, er solle sich doch einmal mehr um mich kümmern. Nein, Schatz, mich nicht an der Jeansgürtelschnalle hinterher ziehen. Auch nicht minütlich sagen, wie sehr du mich liebst. Weiß ich doch! Meine Beschwerde: Ich verlangte Kleinigkeiten mit großer Wirkung. Einen aufmunternden Blick bei Traurigkeit. Ein Lächeln mit den Worten „meine Süße“. Eine Gemeinsamkeit. Einen Plan für die Zukunft. Eine Sicherheit für jetzt und heute. Eine Garantie auf Lebenszeit konnte auch ich nicht geben. Mir wurde klar, dass er trotz einer Beziehung immer seinen eigenen Weg gehen würde. Allein und doch nicht allein, so sollte unsere Partnerschaft wohl sein. Ich war für die Gemütlichkeit zu Hause und im Bett zuständig. Er ging seinen Geschäften und Hobbys nach und kam nur nach Hause, um zu duschen, zu essen, zu relaxen und seine Gelüste zu befriedigen. Ist es das, was eine Beziehung glücklich machen kann?
Tägliches Bemühen um den Partner gehört dazu, sich angiften zu können, ohne dass gleich ein Schlussstrich gezogen wird. Versöhnungen mit halbstündiger Umarmung und wunderbarem Sex sind mindestens genauso wichtig wie problematische Diskussionen auszubaden. Herrlich, was eine Beziehung so mit sich bringen kann: Sehr viel Abwechslung!
Kai sagte immer, ich mache mir zu viele Gedanken – wo er recht hat, hat er recht! Nur, warum kann ich meine Gefühle nicht so zügeln. In dem Moment eines Gefühlsausbruchs ist meine Wesensart einfach unschlagbar, da komme ich nicht gegen an. Man soll schließlich seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Unangenehme, in der Brust schmerzende oder stressige Situationen cool und sachlich zu betrachten, gehört zu den Tugenden außergewöhnlicher Menschen. Manchmal fällt man eben mit der Tür ins Haus, und erst wenn die Tür kaputt ist, denkt man darüber nach, wie man es besser machen könnte. Hoffentlich bin ich kein Einzelfall!
3. Kapitel
Ich war wieder einmal dabei, mich nur noch gedanklich um meine Beziehung zu kümmern. Wenn man unglücklich und unzufrieden ist, beherrschen einen die Gedanken und man ist zu keiner Handlung mehr fähig. Teuflisch kann die Liebe sein, denn loslassen konnte ich auch nicht von Kai. Was wollte ich also? Einerseits war ich unsagbar allein in unserer Partnerschaft, fühlte mich in meiner Liebe missverstanden. Wir hatten nicht die gleiche Lebensphilosophie, so konnte ich auf Dauer nicht glücklich werden. Das weiß ich! Andererseits wollte ich meine Freiheit, ein neues unbeschwertes Leben ohne Kopfzermartern, ohne mich und meine Liebe stets erklären zu müssen. Ich wollte nicht täglich Beziehungsprobleme erörtern und Angst vor dem unausgesprochenen Ende haben. Meine Sehnsucht war, in Harmonie leben und lieben.
Ich war an diesem Nachmittag allein und saß zusammengepfercht mit all meinen Gliedern und der Fernbedienung im Sessel. Der Fernseher war in Armweite entfernt. Bevor ich jedoch mit dem Grübeln anfing, klickte ich erst einmal die 30 Sender durch. Wieder am Anfang lief eine Talkshow – immer gut – „Kleine Mädchen werden Mütter“ – wahrlich interessant. Aber immer wieder schweiften meine Gedanken ab. Hmm, was könnte ich essen? Wen könnte ich besuchen (und mit meinen Problemen nerven)? – Nein, nichts davon. Erstens muss ich auf die Linie achten, zweitens wollte ich meine Freunde behalten. Gut – dann erst mal wieder mit wippenden Füßen auf dem Sessel und halbminütlich zur Uhr blickend die Fernsehsender durchklicken. Wieder Talkshow. Die Schwarzhaarige mit dem endlos langen Pony ist an der Reihe. Das dritte Mal schwanger und 17 Jahre. Aber ich starrte wie gebannt auf ihren Haarpony, der viel zu lang war. Fasziniert schaute ich auf ihr Gezippel, welches laufend an den Wimpern hängen blieb, und bekam ihre hände- und füßeringenden Sorgenausbrüche nicht mit.
Jetzt kommt Rebecca, auch 17 Jahre alt. Zwei Kinder schon. Sie erzählte ihren Lebenslauf und ich hörte gespannt zu, versuchte es zumindest, aber das einzige, was ich wahrnahm, war ihr langgezogenes „uuund“ nach jedem zweiten Wort. Warum fiel ihr das eigentlich nicht selber auf. Da bin ich schon ein bisschen pedantisch. Sie erzählte ihr bisher natürlich nicht verschuldetes problematisches Leben und ich ergötzte mich an ihrem Wortschatz.
Talkshow war vorbei, die nächste Diskussionsrunde folgte. „Nicht bindungsfähige Männer“ sind im Gespräch. Interessant, vielleicht ist ja meiner dabei.
4. Kapitel
Zwei Wochen dämmerte ich nun graumäusig vor mich hin. Ich war immer noch unglücklich mit Kai – also ich jedenfalls, Kai machte einen zufriedenen Eindruck. Es hatte sich an unserer Situation nichts geändert. Wie denn auch! Ich erwartete von Kai die große Wende und blieb selbst in Wartehaltung. Große Worte wurden daher gesagt, Versprechungen gemacht, und dabei blieb es auch. Heilige Beschwörungen wurden nicht in die Tat umgesetzt. Ich bemitleidete mich zurzeit, zum Handeln aber war ich nicht bereit.
Da riss mich ein Angebot von einem Sportstudio aus meiner Lethargie. Es fehlte dort noch eine Aerobic-Trainerin. Freilich war ich wie geschaffen für diesen Nebenjob. Mein Ego schnellte in diesem Augenblick nach oben. Ich war gefragt und gefordert. Gut gelaunt teilte ich es meinem Beziehungspart mit. Seine Begeisterung hielt sich dezent in Grenzen. Keine Gratulation, keine Bewunderung, nichts! Ein höhnisches Grinsen mit zurückgeworfener Kopfhaltung und anschließendem Kopfschütteln konnte ich feststellen. Der Angriff auf mein Selbstwertgefühl fand fruchtbaren Boden. Nicht entmutigen lassen, dachte ich mir, irgendeiner wird dich dafür schon anhimmeln. Mein Gott, musste ich denn die Bewunderung und Beachtung schon so nötig haben? Mein Mitbewohner erwiderte nur: „Du hast keine Zeit für solch albernes Rumgeturne. Mach lieber den Balkon sauber.“ Welch ein Verständnis hegte ich für seine Worte und augenblicklich bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich verdiente schließlich mein Gehalt auch nur fürs Bürorumsitzen auf weichgepolsterten Bürostühlen, ein Telefon vor sich für gemütliches Geplapper über Gott und die Welt und natürlich meine ganztägige Beschäftigung mit wunderbaren Kartenspielen am Computer. Ein himmlisch gemütlicher Job mit regelmäßigem, monatlichen Geldeingang. Als Superfrau hat man zu Hause nach solch einem schnulzigen Job den Rest des Tages Zeit, den Haushalt zu meistern. Mit leicht geröteten Wangen und gerade mal zwei Schweissperlchen auf der Stirn empfange ich meinen Schatz, um ihm seine gewünschte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, ihm das Badewasser zu bereiten und ihm sein Essen zu reichen. Wo bitte habe ich da Zeit für meine Aktivitäten???
5. Kapitel
Ein neuer Tag, frisch ans Werk. Ich hüpfte aus dem Bett mit dem festen Willen, meinem Mitbewohner eisig und kühl entgegenzutreten. Ich starrte in den Spiegel, um meine immer noch geschwollenen Augen vom nächtlichen Weinen zu betrachten. Oh nein, blass, die Haare zerzaust und ein Pickel im Gesicht – natürlich gut sichtbar. Nun gut, passte zum Outfit meines Erscheinungsbildes nach zwei gefühlsmäßig nervenaufreibenden und