„Deine Tochter hat dich ja ganz gut zur Pünktlichkeit erzogen!“
Das traf voll zu. Die anderen meiner Gruppe mußten das noch lernen. Jedenfalls konnte ich mit kurzen Radlershorts und kurzärmeligem Trikot fahren, als wir endlich starteten. Die Sonne war uns sicher.
Unsere heutige Strecke war mal so richtig typisch Blue Ridge und ließ uns nicht aus der Übung kommen, steile, lange Berge zu erklimmen. Aber anschließend konnte ich mich dann mit Genuß in die Tiefe stürzen, während ich im schwersten Gang noch mehr Tempo zu machen versuchte.
Die Sonne kam durch und nicht nur das, sie fing an, mich fast zu versengen. So etwas erlebte ich noch nie. In meinen Oberschenkeln, auf die die Sonne brannte, fühlte ich einen so starken Schmerz, als würde ich zu dicht an einem heißen Feuer sitzen. Den anderen erging es aber nicht anders.
Die Fahrt durch Christiansburg zu unserem Übemachtungsziel der Methodisten Kirche leitete Engl.-Bob großartig. Wir anderen fuhren immer nur hinter ihm her. Sarah, Ohio-John und N.-Y.-Bob erwarteten uns schon dort. Wir durften alle gemeinsam in einem großen Saal schlafen.
Mein Zelt war nicht gekommen. Sarah telefonierte sich die Finger wund und mit Erfolg! Morgen früh wollte der Freund ihres Freundes aus Blackburg mein neues Zelt hierher bringen. Ob das nun endlich klappte? Ich glaubte fest daran.
Die Müdigkeit überfiel mich und hielt mich davon ab, noch mit den anderen auszugehen, oder Ohio-John Deutschunterricht zu erteilen.
Unter Polizeischutz
12. Tag: Christiansburg - Marion (136 km) 1.075 km
In dem großen Saal schlief es sich gut. Mein Sofa bot mir eine schöne weiche Auflagefläche. Davon konnte sich die Campingplatz-Erde mal eine Scheibe abschneiden!
Nach dem Frühstück radelten wir zur Methodisten-Grundschule, zu der der Saal gehörte, in dem wir schlafen durften. Am Haupteingang wurden wir begrüßt und zu zweit je einem Lehrer oder einer Lehrerin zugeordnet. Alex und ich folgten mit unseren bepackten Rädern einer jungen, netten Lehrerin in eine Schulklasse mit kleinen Jungen und Mädchen jeglicher Rassen.
„Hört mal alle zu. Hier habe ich euch zwei Fahrradfahrer mitgebracht, die mit ihrem hier mitgebrachten Rad mit den vielen Packtaschen quer durch unsere Vereinigten Staaten fahren wollen. Sie sind am Atlantik in Virginia gestartet und haben in Oregon den Pazifik als Ziel vor sich. Hört mal zu, was sie uns von sich erzählen, und weshalb sie das machen. Zuerst wollen wir die Frau fragen. Bitte erzählen sie den Kindern mal von sich, wer sie sind und wie sie darauf gekommen sind.“
„Ich heiße Hermine Stampa-Rabe und komme aus Kiel in Deutschland. Kiel liegt ganz hoch oben im Norden Deutschlands an der Ostseeküste ungefähr auf der Hälfte zwischen der Dänischen Grenze und der bekannten Hafenstadt Hamburg an der Elbe. Ich bin 60 Jahre alt und mußte bis zu diesem Alter warten, diese Tour zu beginnen, weil sie drei Monate dauert. Während meiner Arbeitszeit hätte ich nie so viele Wochen Urlaub bekommen. Deshalb mußte ich warten, bis ich in Rente gehe.
Außerdem war ich bis zum Winter 1990 nur eine ganz langsame Fahrradfahrerin. Seit der Zeit, als ich von der Möglichkeit erfuhr, durch Amerika mit dem Fahrrad zu fahren, begann ich mit dem Training. In Rente konnte ich erst 1998 gehen. So verblieb mir eine ganz lange Zeit, um genug Geld zu sparen und zu trainieren, was nicht so einfach war. Aber das habe ich nun alles hinter mir und bin glücklich, daß ich nun in eurem wunderschönen Amerika bin, wo alle Menschen so liebenswürdig zu mir sind.“
Wie drollig und vertraut sie mich anschauten.
„Und nun kommst du an die Reihe. Wie heißt du? Und kannst du uns auch alles von dir erzählen?“
„Ich heiße Alexander Gordon, bin 18 Jahre alt und studiere in Florida. Diesen Entschluß, durch unsere Vereinigten Staaten zu radeln, faßte ich erst acht Wochen vor Beginn der Tour. Ich möchte unser Land und unsere Leute kennenlemen und mich sportlich ordentlich fordern. Es gefällt mir alles sehr gut. An meinem Fahrrad hängen keine Packtaschen. Dafür befindet sich hinter meinem Hinterrad ein Fahrradanhänger, auf dem ich alles, was ich benötige, transportiere.“
„Habt ihr noch Fragen an die beiden Fahrradfahrer?“
Mit großen staunenden Augen waren sie unseren Ausführungen gefolgt. Für sie war es sichtlich ungeheuerlich, was wir vorhatten. Aber alle waren zufriedengestellt. Nun widmeten wir uns den Kindern persönlich. Ihre mich mit Bewunderung ansehenden Augen und ihr Stolz, mir ihre hübschen aus Papier selbstgebastelten IndianerGarderobenstücke zu zeigen, bezauberten mich. Alles lobte ich gebührend und bewunderte sie. Anschließend flocht ich zwei kleinen Mädchen mit ihren langen Haaren meine Zopffrisur. Das eine mit dem blonden langen Haar sah hinterher aus wie eine kleine Prinzessin. Beide wurden von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern bewundert. Ich glaube, ich hatte sie alle glücklich gemacht.
„Nun verabschiedet euch von unseren beiden Besuchern. Sie müssen weiter.“
Von allen Seiten drang ein fröhliches „Bye bye!“ zu uns.
Anschließend wurden wir Fahrradfahrer alle wieder nach draußen vor die große Eingangstür der Schule geleitet, wo wir von noch einer anderen Schulklasse samt Lehrer und Schulleiter bewundernd mit „Take care!“ verabschiedet wurden. Dieses Erlebnis hatte mich nachhaltig sehr beeindruckt.
Unsere Weiterfahrt bei strahlendem Sonnenschein und angenehmer Wärme setzten wir nach dem Motto: "Let's go west!" fort. Sarah war in dem Saal, in dem wir geschlafen hatten, zurückgeblieben, weil sie auf mein Zelt warten wollte, das gebracht werden sollte.
Auf unserer Fahrt durch diese Stadt kamen wir wieder an der Kirche vorbei, wo Sarah davor auf den Stufen auf mich wartete.
„Sarah, heute abend muß ich allein bis Marion Vorfahren, um am nächsten Morgen sehr früh zu starten. Morgen kommen wir nach Damascus, wo auf dem Postofficeviele Sachen auf mich warten. Dieses schließt nämlich schon um 11.00 Uhr.“
„Ich gebe dir sicherheitshalber mein Zelt mit. Für diese Nacht habe ich dann dein neues bei mir. Take care!“
So verabschiedeten wir uns.
„Können wir Hermine überhaupt allein fahren lassen?“ fragte ganz abschätzend Kal.-John.
Die anderen schauten auch ziemlich betreten. Alex sagte:
„Ich begleite sie. Dann ist sie nicht so allein. Und wenn ihr was passiert, kann ich ihr helfen.“
Ich lächelte dankbar.
„Kannst du denn überhaupt bei Plattfuß selbst flicken?“
„Ja, das kann ich allein.“
„Ja, ich weiß nicht, ob wir sie allein fahren lassen können. Aber Alex muß hierbleiben. Er behindert sie. Er fährt zu langsam.“
„Doch, ich glaube, wir können sie fahren lassen. Wenn sie Paris -Brest bei Tag und Nacht allein fahren konnte, dann schafft sie die Fahrt bis Marion auch allein.“
Kal.-John schaute mich abschätzend an.
„Ihr tut keiner etwas.“
Ich lächelte still in mich hinein. Wie nett, daß sie sich solche Sorgen um mich machten. Aber auch wenn sie gesagt hätten, daß ich nicht allein Vorfahren dürfte, wäre ich trotzdem gefahren. Sie kannten mich noch nicht gut genug.
„Du hast doch heute abend mit mir Küchendienst“, lenkte Kal.-John nochmal ein.
„Das übernehme ich für sie“, schaltete sich Engl.-Bob ein. Er war wie alle sehr kameradschaftlich.
Auf stark welligem - sprich: bergigem - Gelände radelten wir bei steigender Hitze nach Radford. Hier trennte ich mich von meiner liebenswürdigen Gruppe, die mich