Fehlstart. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737560665
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was, Billigmarkt – ich brauchte einen Job. Arbeitsamt stand auf dem Programm. Danach durfte ich eventuell eine Tüte Chips...

       Nr. 6: Neuen Job finden!

      Joggen sollte ich, das wäre gesund. Aber öde und anstrengend. Gab es keine bessere Sportart? Kostenlos, stressfrei, amüsant und ungemein fettverbrennend? Wieso erfand das keiner? Das Leben war schon hart.

      Immerhin schaffte ich es jetzt endlich, vom Klo hochzukommen, bevor ich doch noch zum hundertsten Mal diese ältliche Zeitschrift durchblätterte. Ich könnte mir etwas Sinnvolleres neben das Klo legen, ein Buch vom Kaliber So kriegen Sie Ihr versautes Leben wieder in den Griff. Rathausbuchhandlung, überlegte ich. Aber Geld ausgeben? Ich hatte nicht mehr viel und eben auch keinen Job.

      Wie machten andere Leute das? Die waren beruflich erfolgreich, hatten vorzeigbare Konten, gebügelte Klamotten und konnten abends Leute zu sich einladen, ohne sich in Grund und Boden zu schämen. Und außerdem waren sie mit ihrer großen Liebe zusammen und glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Denen erklärte der Traummann nicht begeistert, wie toll er eine andere fand!

       Nr. 7: Nicht so viel trödeln!

      Das war wahrscheinlich der Grund, beschloss ich und stieg mutig unter die Dusche. Wie viel Zeit ich damit vertat, herumzuliegen, nicht hochzukommen, keine Lust zu haben. Damit war jetzt Schluss, ein für alle Mal!

      Ich duschte, wusch mir die Haare und beschloss, mit dem harten, aber souveränen Leben auf der Stelle zu beginnen, zu diesem Zweck drehte ich den Hahn entschlossen auf kalt und jaulte empört auf. Wie Nadelstiche – da war der Gedanke an straffe Haut und dahinschmelzendes Fett auch kein besonderer Trost. Hastig drehte ich das Wasser ab und fischte nach dem Handtuch, das im Vergleich zu gestern noch ein bisschen muffiger war. Täglich eincremen war ja auch wichtig... in der Bodylotionflasche befand sich nur noch ein kläglicher Rest, und das Deo pfiff auch auf dem letzten Loch. Ich setzte im Geist den Drogeriemarkt auf die Liste.

      Wieder neue Ausgaben.

      Aber so würde ich mit der Zeit bestimmt schöner und gepflegter – und Tom würde mich ganz neuem Interesse betrachten... Haha, wann denn? Ich durfte ja das Areal von MediAdvert nicht mehr betreten! Tom wohnte an der Uni... vielleicht gezielte Spaziergänge... in den richtigen Läden einkaufen... wo wohnte er genau? In das feuchte Handtuch gewickelt, warf ich mich aufs Bett und wühlte mich durch mein Telefonbuch. Ah, da – Sophienstraße 5. War da nicht das Uni-Lädle in der Nähe? Was konnte ich dort kaufen?

      Leider brauchte ich überhaupt nichts von dort.

      Schaufenster gucken konnte ich aber wenigstens, vielleicht stolperte ich ja über ihn – oder noch besser er über mich... Ich versank in zauberhafte Tagträume: Tom, wie er sich freute, mich zu sehen, mir sein Leid klagte, wie mies Carla war und sehr sie ihn menschlich enttäuscht hatte... Er würde nach meiner Hand greifen... Du verstehst mich, Heike – du bist die Richtige für mich... Schön!! Was, schon halb zehn? Mist, verdammter!

      Ich rappelte mich unlustig hoch und tauchte in die Tiefen des Kleiderschranks. Neunzig Prozent meiner Klamotten lagen zerknüllt und ungewaschen auf dem Schrankboden oder überall auf dem schäbigen Teppichboden verteilt, die völlig untragbaren übrigen zehn Prozent hingen oder lagen tadellos im Schrank. Ich fand wenigstens ein Paar einigermaßen saubere und nur ganz wenig zerknitterte Jeans, wenn auch in einem Grünton, bei dem ich wirklich fragen musste, warum ich das mal schön gefunden hatte. Und dazu?

      Hm – das letzte Sweatshirt, in grau. Das mit dieser bescheuerten Stickerei auf dem Rücken, drei kleine Hasen im Gras – hatte ich damals irgendwie Ostergefühle gehabt? Außerdem klemmte der Reißverschluss am Kragen und das ganze Ding war ein bisschen zu kurz.

      Schön war ich nicht, als ich fertig war, aber zur Not präsentabel. Und der zerknüllte, muffig-feuchte Regenmantel hatte heute frei! Ich hängte ihn auf und hoffte, dass er sich bis zum Abend wieder erholt haben würde.

      Danach sah ich mich kritisch um – grauenhaft, ich musste wirklich mal aufräumen und putzen. Und endlich waschen, ich hatte praktisch die allerletzten Klamotten an, inklusive diesem schauerlichen BH, aus dem immerzu die Drahtbügel rausschauten und mich pieksten. Socken waren auch keine mehr da, und Unterhosen nur noch die ehemals weißen, die ich mal aus Versehen mit neuen schwarzen Jeans in die Maschine gesteckt hatte – jetzt waren sie graufleckig und dienten als Notfallausrüstung.

       Nr. 8: Regelmäßig waschen und bügeln!

      Das war auch leichter gesagt als getan – der Waschsalon war doch einige Minuten entfernt, da rebellierte regelmäßig mein innerer Schweinehund. Langweilig war es dort auch. Und bügeln... das Ödeste, was jemals erfunden worden war! Ich kickte die Berge von Schmutzwäsche in einer Ecke zusammen und spülte erst einmal mit spitzen Fingern und im Geiste zugehaltener Nase ab; danach war ich schon wieder erschöpft. Sollte ich nicht doch erst einmal aufs Arbeitsamt gehen? Vielleicht gab es ja etwas Neues, viel Besseres! Genau, das war das Vernünftigste. Außerdem brauchte ich ein neues Deo, und neben dem Arbeitsamt gab es einen Drogeriemarkt.

      Guter Plan.

      Der blöde Mantel fühlte sich immer noch klamm an, also nahm ich den Anorak, der sich mit den grünlichen Jeans biss. Egal, mich sah ja keiner, und wenn ich im Arbeitsamt recht bedürftig wirkte, war das vielleicht auch besser so.

      Ich trabte durch den Schneeregen zur Bushaltestelle, registrierte unterwegs das Gezeter der Meinerz´ aus dem offenen Fenster (es schien um die Frage zu gehen, wer den Fußabtreter eingesaut hatte), weiteren Müll im Vorgarten und auf dem Bürgersteig und drei verdammt finster aussehende Gestalten an der Ecke, die anscheinend gar nichts zu tun hatten. Im Vorübergehen winkte ich ihnen zu. „Ey, Heike, wohin?“

      „Neuen Job suchen!“, rief ich zurück und lief weiter. Jochen, Berti und Silvio – total harmlos, aber sehr überzeugend als Straßenschreck aufgemacht. Unsere Kleinganoven, aber mehr als mal einen aufgebrochenen Zigarettenautomaten oder ein paar geklaute Radkappen kriegten sie auch nicht auf die Beine. Meine Radkappen ließen sie in Ruhe, die waren so alt, dass sich dafür kein Abnehmer mehr fand. Mist, ich hätte fragen sollen, ob sie irgendwo einen passenden Auspuff gesehen hatten! Und ob sie ihn mitgehen lassen könnten – aber das fragte ich nun lieber nicht, so etwas wollte ich nicht so genau wissen.

      Heute ergatterte ich wenigstens einen MorgenExpress für die Busfahrt, aber gute Jobangebote fanden sich dort auch nicht – Regale auffüllen im Kaufhaus am Markt, sieben Euro brutto, netto wohl die Hälfte, wenn man die Scheißsozialabgaben abzog Umfragen, Zeitschriftenwerbung, Gastronomie, Hauspersonal und jede Menge Putzjobs. Putzen war nichts für mich, ich kriegte ja nicht einmal meine eigene Wohnung auf die Reihe. Anfängerin für aufstrebende Werbeagentur gesucht, keinerlei Vorkenntnisse erforderlich – so was schrieben sie nie rein!

      Im Arbeitsamt zog ich eine Nummer und setzte mich. Zehn Leute vor mir, für drei Sachbearbeiter – ich kalkulierte eine Stunde ein und beschloss, den Morgenexpress gründlich zu lesen. Rätselhafter Tod in Rothenwald aufgeklärt... das war mir vorher auch nie aufgefallen. In Rothenwald wohnten ohnehin nur reiche Idioten, das war noch schlimmer als Leiching. Dann lieber noch im Spitzinger Slum oder am Kreuz West – besser ehrliche Unterschicht als diese Möchtegern-Schickis.

      In und out... Frühjahrsputz war in, Pelzmäntel und Winterstiefel waren out. Aber solange das niemand Petrus mitteilte? Kinokritiken, Theaterkritiken, Leserbriefe – wegen des Müllabfuhrstreiks in den letzten Wochen - , Klatsch und Tratsch aus dem Showbiz. Alles sehr fesselnd!

      Zwanzig nach elf... noch vier vor mir. Puh, war das langweilig!

      Um Viertel vor zwölf leuchtete endlich meine Nummer auf. Die Sachbearbeiterin war freundlich, nahm meine Daten auf, bedauerte mich und wollte dann die schriftliche Kündigung sehen. „Bitte? Ich war noch in der Probezeit, mein Vorgesetzter hat mir gesagt, ich soll verschwinden und wenn ich mich noch mal da blicken lasse, ruft er die Polizei.“

      „Himmel, was haben Sie denn angestellt?“

      „Eine Präsentation vermasselt.“

      „Tja... und jetzt wollen Sie Arbeitslosenunterstützung?