Afghanistan Horsegirl. Norbert F. Schaaf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert F. Schaaf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844207361
Скачать книгу
eine alte Frau, die eine mittelgroße Kupferplatte mit Qabeli herantrug und vor den beiden Männern auf dem Tuch abstellte. Aus ihrer Schürzentasche holte sie drei Gläser hervor und stellte sie auf das Speisetuch. Vom Feuer nahm sie einen Drahtkorb mit Fladenbrot.

      „Schau mal, wer den Tee bringt“, sagte Haschem.

      Der junge Mensch, der alten Frau auf dem Fuße gefolgt, kam mit einem Samowar in der Hand herzu. „Sei gegrüßt, Aliz“, sagte Haschem zu dem jungen Menschen, der in die Hocke ging zwischen die beiden Männer, um den Samowar abzustellen, und sogleich anfing, die Teegläser zu füllen. „Seid gegrüßt“, sagte er dabei. Die Männer sahen ihm zu und sein Gesicht jeweils von der Seite, und Hermann meinte etwas darin zu sehen, was er nicht definieren oder beschreiben konnte, wohl aber fühlen, da sein Herz höher schlug. Er war sehr bemüht, Aliz nicht anzustarren, aber auch nicht wegzusehen. Er sah das Gesicht nun nicht zum ersten Mal, doch das Seltsame darin kam in dem flackerigen Schummerlicht doppelt stark zum Ausdruck und auch doppelt geheimnisvoll. Der junge Mensch stellte das Glas mit dem heißen Tee vor ihn hin, und Hermann bemerkte wieder seine auffallend sehnige Hand mit schmalen, kräftigen Fingern. Die rötlichen Striemen und verkrusteten Kratzer auf dem Handrücken bezeugten unverkennbar die Peitschenschläge aus dem Buskashi-Spiel. Der junge Mensch setzte sich anstandslos dazu, und die Männer begannen eifrig zu essen, die ersten Reiskugeln, die sie sich in den Mund schoben, waren unrund und locker. Die Männer wischten sich das Fett mit den Handrücken vom Mund, nur Aliz, der kleine Reiskugeln formte, behielt den Mund sauber und aß weniger gierig. Er sah Hermann voll ins Gesicht mit fragendem Blick, ob ihm das Essen munde. Hermann erwiderte den Blick lächelnd mit bejahendem Ausdruck. Der junge Mensch ist wirklich ein hübscher Kerl, dachte er unwillkürlich, seine Zähne strahlend weiß und hübsch unregelmäßig hinter den vollen, schön geschwungenen Lippen. Gegen das Flackerlicht war der sehr feine Bartflaum in seinem braunen Gesicht deutlich zu sehen, Hermann empfand es spontan als sehr apart wie auch die hohen Wangenknochen, die ein wenig kantig aus dem hübschen Gesicht hervorragten. Er hat wirklich ein hübsches Gesicht, dachte Hermann, ohne den dunklen Flaum würde es ein bildschönes Frauengesicht für ein Cover abgeben. Hermann schlug unwillkürlich die Augen nieder, wegen der Art seiner Gedanken und der langen Dauer seines Blicks.

      In diesem Moment erwiderte der junge Mensch Hermanns Blick, betrachtete das Gesicht mit den rötlichen Barthaaren und den herabfallenden rotblonden Haarlocken, der langen weißen Nase, den schmalen Lippen, dem Grübchenkinn, den Charakterfurchen und den heiteren hellblauen Augen. Kein übler Mann, dachte der junge Mensch, aber ein Westler und ein Ungläubiger. Der Gedanke mit dem Ungläubigen war nicht besonders ernst gemeint, Aliz war eigentlich überhaupt nicht gläubig, es war mehr gemeint als Synonym für „Fremder“ beziehungsweise „Ausländer“. Wenn ich bei ihm wäre in seinem Land, wäre ich fremd, schoss ihm durch den Kopf, und er schlug die Augen nieder, weil er das gedacht hatte, dass er sich bei ihm vorstellen konnte in dem fernen, seltsamen Land, das seine Soldaten herschickte, um einen Aufbau zu sichern, der kaum stattfand, weil alles sogleich wieder zerstört wurde, kaum dass es errichtet war. Aliz und Hermann blickten gleichzeitig wieder auf und einander in die Augen, und das Atmen fiel ihnen ein wenig schwerer und das Herzklopfen wurde spürbar stärker, sobald sie einander ansahen. Und beide ließen die Augen zwischen den Augenwinkeln hin und her wandern, ob sie nicht irgendjemand auffielen.

      Man aß schweigend weiter, eine Reiskugel nach der anderen formend und in den Mund werfend jetzt. Das Reisgericht war delikat zubereitet, nach der Landessitte ein wenig fettig, aber sehr wohlschmeckend. Sie schlürften ihren Tee dabei, stießen dezent, wenn auch nicht völlig geräuschlos auf, und die Männer rieben sich zufrieden die Bäuche. Hermann wischte sich das Fett von den Lippen, während Aliz ihn unentwegt betrachtete und Haschem sich einzig um sein Essen kümmerte. Mit Stückchen von dem Fladenbrot wischten die Männer die Essensreste zusammen, und Hermann tupfte das würzige Fett auf, bevor er sich das Brot genüsslich in den Mund schob. Er beugte sich zur Seite, um Tee aus dem Samowar in sein Glas fließen zu lassen, derweil Aliz seine beobachtenden Augen nicht von ihm ließ.

      Hermann schlürfte den dunkelbraunen, starksüßen Tee zur Hälfte aus, und sein Atem stockte unwillkürlich und verstörend, sowie er den jungen Menschen anblickte.

      „Wie alt bist du, Aliz?“ fragte Hermann mit trockener Kehle, sodass er sich räuspern musste.

      Haschem sah ihn kurz von der Seite an, mit angehobenen Augenbrauen auf den Tonfall von Hermanns Stimme lauschend, erhob sich mit einer lässig grüßenden Handbewegung an den Kopf und gesellte sich der Männergruppe nebenan zu, wo ein Platz frei geworden war.

      „Alt genug“, gab Aliz Hermann zurück mit eindringlichem Blick.

      „Du kommst aus der Steppe im Norden. Bist du ständig im Gebirge?“

      „Nein. Eigentlich nur den Sommer über. Den Winter kann man nicht in den Bergen verbringen.“

      „Aliz ist ein schöner Name.“

      „German ist auch nicht schlecht.“

      „Richtig heiße ich Hermann. Wo leben deine Eltern.“

      „Im Paradies – wenn es nach ihrem Glauben geht.“

      „Oh, das tut mir leid. Ist es denn nicht dein Glaube?“

      „Mein Vater ist gestorben, als ich ganz jung war, er war schon alt und von Krankheit entstellt mit amputierten Gliedmaßen, und meine Mutter ist bei einem Bombenangriff deiner Fremdenbrüder umgekommen. Man hat ihre Leichenteile, oder was noch davon übrig war, einzeln aufgeklaubt und zusammen bestattet. Wie sollten sie so im Paradies sein?“

      „Hast du Geschwister?“

      Aliz schüttelte heftig den Kopf. „Nach meinem Vater hätte ich ein ... einen großen Bruder haben sollen.“ Er stockte kurz, bevor er fortfuhr: „Mich hat er nie geliebt. Ich war ihm zu klein und zu schmächtig für meinen Jahrgang. Meine Gelenkigkeit und Wendigkeit hat er nie bemerkt, geschweige denn gelobt.“

      „Das ist jetzt Vergangenheit“, sagte Hermann.

      „Es ging nie gut weiter für mich. Bis heute. Vor einiger Zeit haben mich die von Allah verfluchten Taliban geschnappt. Ich war schon in dem Bus, der uns in ihr Gefängnis bringen sollte. Er ist in eine automatische Sprengfalle bei einer Brücke gefahren und in die Luft geflogen, der vordere Teil voraus. Nur von den hinten Sitzenden haben welche überlebt. Die meisten der Gefangenen hat man wieder gefasst. Mich nicht. Nie mehr lasse ich mich erwischen und ins Gefängnis sperren. Eher sterbe ich.“

      „Bist du verletzt worden?“

      „Und ob! Doch an Stellen, die man nicht zeigen kann.“

      „Tief im Innern, kann ich mir denken“, sagte Hermann. „Im tiefsten Innern des Gemüts.“

      „Ja, so kann man sagen. Da bin ich in die Berge geflohen und habe mich diesen Leuten hier angeschlossen.“

      Der Nomade schlenderte vorbei und verhielt bei dem, was er hörte. „Aliz ist mir über den Weg gelaufen, als er auf der Flucht herumirrte wie Falschgeld.“

      „Unsinn“, sagte Aliz ärgerlich, „ich war auf der Suche nach Essen und Schutz. Das war nicht schön.“

      „Deiner schönen Augen wegen habe ich dich aufgelesen. Wir haben ihn mitgenommen, obwohl viele glaubten, ihn zurücklassen zu müssen. Er war wirklich nicht gut drauf.“

      Aliz schwieg verbissen. Hermann wurde mit einem Mal bewusst, dass er mit dem jungen Menschen nicht allein war und auch, dass er es vermied, ihm in die Augen zu sehen, da sich dann ein anderer, seltsamer Ton in seine sonore Stimme mischte.

      „Du bist ein gutaussehender junger Mann“, sagte Hermann zu Aliz. „Deine Verlobte kann sich glücklich schätzen.“

      „Ihm ist keine versprochen“, sagte Mukhi voreilig. „Und das ist auch gut so. Du hättest mal sehen müssen, wie er drauf war, als wir ihn mitschleppten. Und er ist noch lange nicht wieder auf dem Posten. Hat Rückfälle. Erst neulich ist er für eine ganze Woche verschwunden, und als er wieder auftauchte, war er schlechter drauf als zuvor.“

      Aliz senkte missmutig