Kristine Truhel
Die Querxe auf Reisen
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Inhaltsverzeichnis
Die Entscheidung
Der Wind zupft erste Blättchen von den Bäumen. Es ist kälter geworden. Bald wird sich das Laub gelb und rot färben. Die Querxe haben sich in ihre Höhle zurückgezogen, in der es warm und gemütlich ist. Nur im Hochsommer schlafen sie auf ihren Moosbettchen unter den Farnen. An den Wänden stecken Fackeln, die ein gedämpftes Licht auf die bunten Bilder werfen, die die ganze Höhle schmücken. Alles was die Querxe von draußen her kennen: Bäume, Sträucher, Blumen, Schmetterlinge, Käfer, Hummeln und Bienen malten sie an die Wände. Von der Decke herab strahlt ein hellblauer Himmel mit kleinen weißen Schäfchenwolken. Weiter im Inneren gibt es einen Speisesaal. An seine Wände haben die Querxe feinste Speisen gepinselt: Brathühnchen, Äpfel, alle Sorten Beeren, Kuchen und Torten, Töpfe und Tiegel voller dampfender Suppen und leckerem Gemüse. Alles Dinge also, die die Querxe von Zeit zu Zeit aus dem Dorf holen, selbst zubereiten oder ernten. In der Mitte des Raumes steht ein großer runder Tisch, den der Sport-Querx Ben gemeinsam mit Lehrer Max aus einem Baumstumpf gesägt hat. Darum herum stehen kleinere Stümpfe, auf denen die Querxe bequem sitzen können.
Heute aber versammeln sie sich draußen auf der großen Lichtung. Nicht zuletzt deshalb, weil sie Gäste haben: die Hamster sind gekommen, der Waldbriefträger Schneck, der grasgrüne Frosch mit seiner ganzen Familie und auch die wunderschöne, aber auch sehr, sehr eingebildete Schmetterlingsfrau. Es gibt ein ernsthaftes Thema zu besprechen. Ganz in der Nähe ihres Dorfes wird schon im nächsten Jahr eine riesige Baustelle entstehen. Die Menschen planen den Bau eines Einkaufszentrums, neuer Straßen und Wohnhäuser. Das heißt weniger Platz und Ruhe für die Waldbewohner. Die Querxe sind also wohl oder übel gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Davor gibt es natürlich viel zu bedenken. Sie treffen sich heute, um zu beraten, wohin sie ziehen wollen. Die Querxe haben sowohl im gebirgigen Oybin als auch im tschechischen Varnsdorf Verwandte, bei denen sie leben könnten.
„Zuerst einmal“, schlägt der Lehrer Max vor. „Sollten wir uns in aller Ruhe beide Orte ansehen, mit den Bewohnern sprechen und uns dann entscheiden."
„Wir wissen schon, wohin wir gehen“, meldet sich da der Frosch zu Wort. „Gar nicht weit vom Breiteberg gibt es einen grünen Tümpel. Dort lebt der Bruder meiner Frau mit seinen sechs Kindern. Als sie hörten, dass wir unsere Heimat verlassen müssen, haben sie uns herzlich eingeladen bei ihnen zu wohnen. Vielleicht wollt ihr mitkommen. Dort gibt es jede Menge Schilf und Schlamm, wunderschönen kühlen Schlamm!“, schwärmt er.
Die Schmetterlingsfrau schüttelt sich. Allein schon bei dem Gedanken an Schlamm wird ihr ganz schlecht. Außerdem hat sie, nach den Erfahrungen, die sie neulich mit nur einen einzigen Frosch gemacht hat, so gar keine Lust, die Bekanntschaft einer ganzen Froschfamilie zu machen.
„Ach wisst ihr“, sagt sie deshalb.
„Ich werde einfach in unserer alten Heimat bleiben. Wie ihr ja wisst“, setzt sie schon wieder ein kleines bisschen hochmütig hinzu, „kann ich ja fliegen. Das heißt mir passiert nichts, wenn ein Einkaufszentrum gebaut wird. Im Gegenteil, stellt euch nur all die schönen Sachen vor, die es dort dann gibt: Stoffe, Ketten, Ringe.“
„Ist ja gut“, unterbricht sie Meister Schneck unwirsch. „Für mich kommt weder ein Tümpel noch ein Einkaufszentrum in Frage. Zum einen möchte ich nicht ertrinken, zum anderen nicht tot getreten werden. Also habe ich mir gedacht, ich lasse mich in einen der Gärten nieder, die es rund um den Breiteberg gibt. Da habe ich genug zu essen und eine Baustelle ist auch nicht zu erwarten. Vielleicht kommt ihr einfach mit?“, wendet er sich an die Querxe.
„Ich denke, wir sind zu viele“, antwortet Lehrer Max. „Außerdem nehmen die Menschen ihre Hunde mit in diese Gärten. Ich glaube, das ist schlicht zu gefährlich für uns.“
„Wir könnten ein Stück nach Norden gehen", meldet sich Mama Liese zu Wort.
„Da gibt es einen Berg, der mindestens doppelt so groß und doppelt so hoch ist, wie dieser hier. Und das Beste daran: er hat eine Quelle, aus der frisches, glasklares Wasser sprudelt. Dort entspringt nämlich der Fluss, den die Menschen Spree nennen. Vor vielen Jahren, als ich noch ein kleines Querxenmädchen war, wanderten wir mit unserem Lehrer da hin. Es gab Wasser in Hülle und Fülle, große stabförmige Steine, die Basalt genannt werden und was mir damals besonders gefiel: Heidelbeeren! Riesige Flächen voller Heidelbeeren!"
Ben wiegt den Kopf.
„Kottmar", sagt er nachdenklich. „Das ist zweifelsohne ein sehr schöner Berg. Aber du sagst ja selbst, du warst vor vielen Jahren dort. Ein Sportfreund hat mir von dieser Gegend erzählt. Auch hier bauen die Menschen. Stellt euch nur mal vor, wir ziehen da wirklich hin und in ein, zwei Jahren, müssen wir wieder weg."
„Ich glaube auch, der Kottmar ist kein guter Platz für uns", stimmt nun auch Lehrer Max zu. „Auch ich habe gehört, dass dort ganz in der Nähe eine breite Straße gebaut werden soll. Aber was haltet ihr vom Oybin? Dieser Oybin ist ein riesengroßer Felsen aus Sandstein mit Höhlen, Felsschründen und einer Burgruine. Dort bauen die Menschen ganz bestimmt nicht!“
Die Querxe sitzen an jenem Abend noch lange zusammen und träumen von ihrer neuen Heimat.
„Bevor wir schlafen gehen", sagt Lehrer Max, als es schon sehr spät geworden ist, „schlage ich vor, wir stellen ein Team zusammen, das nach Oybin wandert, sich dort genau umsieht und mit den Einheimischen bespricht, ob es eine Möglichkeit gibt, zu ihnen zu ziehen und vor allen Dingen dauerhaft dort zu wohnen.“
„Ich würde gern mitgehen", meldet sich Ben der Sportquerx als Erster. „Ich liebe Ausflüge und dass ich gut zu Fuß bin, wisst ihr ja alle." Lehrer Max nickt und schlägt dann noch Fritz den Arzt der Querxe und Sonja vor, die sich besonders gut mit Pflanzen, Beeren und Pilzen auskennt, so dass sie einschätzen kann, ob die Querxe im Oybin genug Nahrung finden, falls sie nichts von den Menschen holen können.