Der Richter war einer Ohnmacht nahe. Er war unter Zeitdruck. Er musste etwas unternehmen. Aber was sollte er tun? Er konnte Kowalski nicht angreifen. Er hätte ihm die Flasche auf den Kopf schlagen können. Dann wäre aber seine Tochter eventuell erstickt, wenn es doch stimmen sollte und sie in einem Sarg liegen würde. Er wusste nicht, was er tun sollte. In seinem Kopf leisteten seine Gedanken Schwerstarbeit. Er wollte nicht sterben. Aber dann starb womöglich seine Tochter, die er über alles liebte.
Es war sicher nur ein Bluff mit dem Gift. Nun nahm Kowalski die Flasche in die Hand.
Als er sie an seinen Mund ansetzen wollte, war dies ein Zeichen, dass er recht hatte und das Gift gar kein Gift war. Niemand würde freiwillig Gift trinken.
Da ergriff der Richter Kowalskis Arm und nahm ihm die Flasche aus der Hand.
Jetzt war er sich sicher. Das war nur ein großer Bluff.
»Bitte tun Sie meiner Tochter nichts.«
Er setzte die Flasche an den Mund und trank die blaue
Flüssigkeit. Sie war bitter und irgendwie kam ihm der Gedanke, einen fatalen Fehler gemacht zu haben.
War es am Ende doch Gift?
Kowalski sah es mit Genugtuung, jedoch ohne Freude.
»Sie lieben Ihre Tochter wirklich, Richter. Das muss man Ihnen lassen.«
»Bitte rufen Sie an. Lassen Sie mein Kind nicht ersticken!«
»Ihr Kind ist in Sicherheit. Sie schläft nur. Wenn sie aufwacht, wird sie zu ihrer Mutter gehen können. Sie aber werden das nicht mehr erleben.«
Nun hatte der Richter zum ersten Mal richtige Angst um sein Leben. War es doch kein Bluff?
Woher kam das plötzliche Stechen in seinem Bauch?
War es die Aufregung oder war es wirklich Gift? Langsam wurde ihm bewusst, dass Kowalski nicht geblufft hatte.
Das Gift begann schon zu wirken und verursachte wahnsinnige Magenschmerzen. Es kam ihm vor, als würde jemand von innen gegen seine Magenwände schlagen. Kolikartige Schmerzattacken breiteten sich aus. Er steckte sich den Finger in den Hals, konnte aber nicht erbrechen. Es kamen zwar starke Würgegeräusche aus seinem Mund, das Gift jedoch blieb im Magen.
»Bitte, helfen Sie mir. Rufen Sie einen Notarzt. Ich flehe Sie an! Ich will nicht sterben!«
»Das wollte meine Tochter auch nicht. Ihnen kann kein Arzt mehr helfen. Es wird nicht lange dauern. Bleiben Sie einfach sitzen.«
Der Rat war nicht notwendig, denn der Richter konnte sich nicht mehr erheben. Sein Magen wurde von innen verätzt, was ihm höllische Schmerzen bereitete. Er krampfte sich zusammen und hatte extreme Zuckungen. Nach und nach setzten alle Körperfunktionen aus. Während sein Gesicht zu einer angstverzerrten Fratze wurde, setzte sein Herz, das vorher wie wild sehr schnell schlug, plötzlich aus.
Ein Mediziner würde es dem Laien so erklären: »Vom Gehirn kam vor dem Tod die Information an das Herz, schnell und kräftig Blut durch den Körper zu senden, um die Lunge weiter bedienen zu können. Somit wurde die Atmung hektisch und intensiv. Dann aber sah das Gehirn, dass es ein aussichtsloser Kampf sein würde, wohl weil es nun auch schon nicht mehr richtig versorgt wurde, und gab dem Herz den Befehl aufzuhören zu schlagen, was das Herz befolgte.«
Martin Werbusch war tot. Gestorben durch eigene Kraft.
Nun musste Kowalski seine Leiche wegschaffen. Er wollte nicht, dass es wie Selbstmord aussah und seine
Frau sich später unberechtigte Vorwürfe machen würde. Außerdem sollte ihn seine Tochter, die bald aufwachen würde, nicht finden.
Er fuhr den Wagen rückwärts in die Einfahrt ganz nach hinten, trug den Leichnam über die Terrasse und legte ihn im Kofferraum ab. Dann fuhr er mit seiner Fracht aufs Land hinaus. Auf einem Waldweg hielt er den Wagen an und stellte den Motor ab.
Er dachte über das Geschehene nach. Es war alles nach Plan und zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Menschen, die Schuld an solchen Zuständen sind, wie sie zum Tod seiner Tochter geführt hatten, sollten ebenfalls keine Daseinsberechtigung haben. Der Richter hatte die Schuldigen freigesprochen, also war auch er schuldig.
Kowalski sagte sich, dass er richtig gehandelt hatte. Er hatte einen Teil seines Planes erledigt.
Ab jetzt musste er sich um die anderen Schuldigen kümmern. Zumindest ein Hauptschuldiger war ihm bekannt. Ihm sollte nun seine ganze Aufmerksamkeit gelten.
Zunächst musste Kowalski aber erst einmal die Leiche des Richters loswerden.
Er hätte sie einfach hier im Wald ablegen können, was er ursprünglich auch vorhatte. Aber alle Welt sollte wissen, warum sich der Richter das Leben genommen hatte. Er wollte, dass die Zeitungen darüber berichteten. Er musste den Richter an einen markanten, ungewöhnlichen Ort bringen. Er musste ihn dorthin bringen, wo er die schönsten Zeiten mit seiner Tochter verbracht hatte.
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