Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen. Friedrich Gottschalck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Gottschalck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750214132
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weder Menschen noch Vieh Schaden zufügen

       können, so machen die Bewohner der Oerter um den

       Brocken vor der einbrechenden Walpurgisnacht an

       die Thüren der Häuser und Ställe drei Kreuze, und

       sind dann des festen Glaubens, daß sie und das Ihrige

       nun von den durchziehenden Geistern und bösen

       Wesen nicht behext werden können.

      Kapitel 2

      Der Schlüssel zu diesem Mährchen ist wohl ziemlich

       klar in der Geschichte Karls des Großen zu finden. Als

       Karl mit eben so viel Bekehrungs- als Eroberungsgeiste

       die kriegerische Schaubühne in Deutschland zuerst betrat,

       waren die Deutschen, namentlich die Sachsen, noch

       freie Völker voll Kraft und Muth, die sich durchaus nicht

       einer fremden Herrschaft sklavisch unterwerfen wollten.

       Als eifrige Götzendiener lag ihnen aber die Religion ihrer

       Väter nicht weniger, als ihre Freiheit am Herzen. Karl bot

       alle seine Kräfte auf, sie zu überwinden. Indessen wollte

       er nicht bloß dieß, er wollte sie auch zum Christenthum

       bekehren. Dadurch wurde er aber in einen Krieg mit den

       Sachsen verwickelt, der über drei und dreißig Jahre dauerte.

       Oft wurden die letztern geschlagen, aber nach jedem

       Siege Karls, und nach jedem Friedensschlusse, griffen sie

       immer wieder zu den Waffen, und nach jeder scheinbaren

       Annahme des Christenthums kehrten sie zum Götzendienste

       zurück. Dieß erbitterte Karln zuletzt so sehr,

       daß er, nach damaligen schrecklichen Toleranzbegriffen,

       Gewalt brauchte, viele, die sich nicht wollten taufen lassen,

       niederhauen ließ, und gebot, daß diejenigen, welche

       nach der Annahme des Christenthums fortfahren würden,

       als Heiden zu leben, und den Götzen zu dienen, mit

       dem Tode bestraft werden sollten.

       Die heidnischen Sachsen mußten zwar endlich der Gewalt

       weichen, und öffentlich die Taufe annehmen; allein

       in ihren Herzen blieben sie dennoch Heiden, und wenn

       sich Karl mit seinem Kriegsheere zurückgezogen hatte,

       so opferten sie in den Wäldern von neuem den alten Götzen.

       Karl ließ darauf ihre Altäre und Götzenbilder zerstö-

       ren. Da sie hierdurch gehindert wurden, ihre Opferfeste

       in der Ebene zu feiern, so flüchteten sie in die Wälder

       und Gebirge des Harzes, und namentlich auf den Brokken,

       der damals noch wenig zugänglich seyn mochte.

       Karl gewahrte dieß nicht so bald, als er an den vorzüglichsten

       Opferfesttagen die Zugänge zu den Gebirgen mit

       Wache besetzen ließ. Allein die Sachsen sannen auf List,

       dennoch an den Freuden ihrer Opferfeste Theil nehmen

       zu können. Sie verkleideten sich in scheußliche Larven,

       bewaffneten sich mit Heuforken und Ofengabeln, und erschreckten

       dadurch des Nachts die Wachen so, daß diese

       die Flucht ergriffen. Im Nothfall bedienten sie sich ihrer

       Instrumente auch zum Schutze gegen wilde Thiere. Vielleicht

       bedurften sie ihrer auch beim Opferfeuer selbst,

       theils zum Nachlegen des Holzes, theils zum Herausziehen

       der Feuerbrände, mit welchen in der Hand sie in

       Schmaus und Fröhlichkeit um das Opferfeuer herum

       tanzten. Da auf den Höhen des Harzes, wenigstens auf

       dem Brocken, am Feste des ersten Maies gewöhnlich

       noch Schnee lag, so bedurfte man der Besen, auf deren

       Stielen die Fabel die Damen der Walpurgisnacht reiten

       läßt, zum Fegen und Reinigen des Opferplatzes.

       Die damaligen Christen hielten allgemein den Götzendienst

       für Teufelsdienst, und glaubten nichts gewisser, als

       daß der Teufel selbst, trotz der mit christlichen Wachen

       besetzten Wege zu den Opferplätzen, seine treuen Anhänger

       zu unterstützen wisse, und durch die Luft zum

       Brocken hinjage. Ein Wahnglaube, welchen die abergläubische

       Wache durch ihr Geschwätz von den gesehenen

       Teufelsmasken und Hexengestalten zur Bemäntelung

       ihrer Flucht entweder veranlaßte, oder doch nährte, in

       dem sie ihm nicht widersprechen durfte.

       Auf diese historisch wahren Umstände gründet sich die

       Fabel von der Hexenfahrt auf dem Brocken.

       Warum sie der Nacht vor dem ersten Mai angedichtet

       worden ist, läßt sich zwar nicht mit Gewißheit beantworten,

       aber doch mit Wahrscheinlichkeit. Da nämlich die

       heidnischen Deutschen eins ihrer größten und fröhlichen

       Feste – das Fest der wiederkehrenden schönen Jahreszeit

       – am ersten Mai, also um die Zeit feierten, wo unsere

       Ostern und Pfingsten fallen; – da sie in dieser Absicht

       ihre Wohnungen und Opferplätze mit Maien oder jungen

       Birken auszuschmücken und um das mächtige Opferfeuer

       herum frohlockend zu tanzen pflegten, und da endlich

       dieß Fest vorzüglich der in den Harzgegenden so sehr

       verehrten Göttin Ostera geheiligt gewesen zu seyn

       scheint: so ist es in der That mehr als bloß wahrscheinlich,

       daß die große Anhänglichkeit der Sachsen an dieß

       besonders fröhliche Fest des ersten Maies jenes unaufhaltsam

       nächtliche Zuströmen der Unholde zum Opferplatze

       veranlaßte; – daß der in mehreren Gegenden

       Deutschlands noch bis auf diesen Tag herrschende Gebrauch,

       am Pfingstfeste die Häuser und Kirchen mit

       Maien zu schmücken, noch ein Rest von jener heidnischen

       Feierlichkeit ist; – daß die ebenfalls noch übliche

       Gewohnheit der jungen Bursche in und am Harz, am ersten

       Osterabend auf den Bergen ein großes Freudenfeuer

       anzuzünden, und da herum zu tanzen, von den heidnischen

       Tänzen der ersten Mainacht herstammet, – und

       daß endlich vielleicht unser deutsches Wort selbst aus

       dem Götzenthum in die Kirchensprache der Christen hinübergetragen

       ist.

       B ü s c h i n g in seinen Volkssagen, Leipzig 1812, 2te

       Abtheil. S. 339, theilt ein altes Lied von dem