Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen. Friedrich Gottschalck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Gottschalck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750214132
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liefern sie wenig oder gar nichts;

       als Quellen sind sie durchaus nicht zu gebrauchen,

       nicht einmal als Hülfsmittel; höchstens zu Belegen

       möchten sie dienen können. Und diejenigen, welche

       sie zu solchen Zwecken haben anpreisen wollen,

       scheinen nicht sowohl ihnen einen übertriebenen

       Werth beigelegt, als vielmehr ihren wirklichen Werth

       gänzlich verkannt zu haben.

       Ihr eigentlicher Nutzen nämlich, und welcher auch

       schon oben bei ihrer Beschreibung vorläufig angegeben

       und entwickelt worden, ist kein anderer, als den

       alle Poesie überhaupt hat und haben kann, welche

       nicht bloß unterhält, ergötzt, erfreuet, erheitert, sondern

       auch erhebt und stärkt, ja den Blick von den irdischen

       Dingen hinweg auf eine höhere Ordnung und

       zuletzt auf Gott selbst hin richtet.

       Eben so wohlthätig wirken nun auch die Volkssagen,

       oder vielmehr sie könnten es, wenn sie in angemessener,

       würdiger Gestalt dem Volke, oder besser,

       der Nation, in die Hände gegeben würden. Denn freilich

       ist es mit ihrem bloßen Inhalte, mit dem rohen

       Stoffe allein, nicht gethan; es soll nicht bloß eine müßige

       Neugier befriedigt oder eine augenblickliche

       Theilnahme erregt werden, sondern auch die Empfindung

       will geweckt und genährt und das Nachdenken

       selbst beschäftigt seyn. Erst wenn allen diesen Forderungen

       ein Genüge geschehen ist, wenn ein an und für

       sich Antheil erregender Gegenstand auch auf zweckmäßige

       Art dargestellt worden, wenn ihm ein unabhängiger

       Anfang und ein befriedigendes Ende, innere

       Vollständigkeit, Haltung, nothwendige Verknüpfung,

       Wahrheit, Reichthum, äußere Anmuth und Gefälligkeit,

       vor allen Dingen aber hinlängliche Klarheit ertheilt

       und der Reiz und Zauber der Sprache selbst darüber

       verbreitet worden ist, erst dann verdient ein poetisches

       Werk seinen Namen und tritt in seine schöne

       Wirksamkeit vollständig ein.

       Daß nun auch den Volkssagen zu diesem Einflusse

       verholfen werde, ist das Geschäft der Dichter, denen

       daher diese schönen und anziehenden Stoffe nicht angelegentlich

       genug zur Behandlung empfohlen werden

       können. Möchten sie doch immer mehr auf jene, aus

       dem alltäglichen Leben und den bürgerlichen und geselligen

       Verhältnissen der sogenannten gebildeten

       Stände hergenommenen, Gegenstände Verzicht leisten,

       durch welche nicht bloß die Poesie selbst herabgezogen

       und entwürdigt, sondern auch das oben gerügte

       Mißverhältniß in der Bildung der Nation immer

       mehr befördert und die Dauer der poetischen Werke

       selbst begreiflicher Weise äußerst beschränkt wird.

       Möchten sie dagegen, wie ihnen auch schon von großen

       Meistern das Beispiel gegeben ist, sich der

       Volkssagen zu ihren Erzählungen und Romanen,

       hauptsächlich aber zu der öffentlichsten Gestalt der

       Dichtkunst, zu Schauspielen und zu der wundersamen

       Gattung der Oper immer häufiger bedienen! Möchte

       dazu auch diese Sammlung, welche die Sagen und

       Volksmährchen der Deutschen den Liebhabern und

       Freunden derselben rein, einfach und ungeschmückt

       in die Hände zu geben bestimmt ist, das Ihrige beitragen,

       und so die wohlgemeinte Absicht des verdienten

       Herausgebers glücklich erreicht werden!

       L u d o l p h B e c k e d o r f f .

       Der Hexentanz auf dem Brocken.

       Eine Sammlung von deutschen Volksmährchen möchte

       wohl am schicklichsten mit einem solchen eröffnet

       werden, das ein in ganz Deutschland allgemein bekanntes

       ist, und daher den Namen eines Volksmährchens

       der Deutschen im vollen Umfange des Wortes

       verdient. Es sind deren einige da, wovon ich für dieses

       erste Bändchen das vom Hexentanze auf dem

       Brocken wähle.

       Auf dem Harzgebirge giebt es einen hohen, hohen

       Berg, der über alle Berge, wohl funfzig Meilen in der

       Runde, weit hinwegsieht. Er heißt: der Brocken.

       Wenn man aber von den Zaubereien und Hexenthaten,

       die auf und an ihm vorgehen und vorgegangen sind,

       spricht, so heißt er auch wohl der Blocksberg. Auf

       dem Scheitel dieses kahlen, unfruchtbaren Berges –

       der mit hunderttausend Millionen Felsstücken übersäet

       ist – hat der Teufel jährlich, in der Nacht vom

       letzten April auf den ersten Mai, der so genannten

       Walpurgisnacht, mit seinen Bundesgenossen, den

       Hexen und Zauberern der ganzen Erde, eine glänzende

       Zusammenkunft. So wie die Mitternachtsstunde

       vorüber ist, kommen von allen Seiten diese Wesen

       auf Ofengabeln, Besen, Mistforken, gehörnten Ziegenböcken

       und sonstigen Unthieren, durch die Luft

       herbeigeritten, und der Teufel holt mehrere selbst

       dazu ab. Ist alles beisammen, so wird um ein hoch loderndes

       Feuer getanzt, gejauchzt, mit Feuerbränden

       die Luft durchschwenkt und bis zur Ermattung herum

       geras't. Von Begeisterung ergriffen, tritt alsdann der

       Teufel auf die »Teufelskanzel«, lästert auf Gott, seine

       Lehre und die lieben Engelein, und zum Beschluß

       giebt er, als Wirth, ein Mahl, wo nichts als Würste

       gegessen werden, die man auf dem »Hexenaltar« zubereitet.

       Die Hexe, die zuletzt ankommt, muß, wegen

       Vernachlässigung der herkömmlichen Etiquette, eines

       grausamen Todes sterben. Sie wird nämlich, nach der

       letzten glühenden Umarmung des Regenten der Unterwelt,

       in Stücken zerrissen, und ihr auf dem Hexenaltar

       zerhacktes Fleisch, den andern zum warnenden Beispiel,

       als eine der Hauptschüsseln des Schmauses vorgesetzt.

       Mit anbrechender Morgenröthe zerstäubt die

       ganze saubere Sippschaft nach allen Windgegenden

       hin.