Am Abend würde Alex mit Saskia darüber sprechen. Zunächst aber fuhr er in die Stadt, um noch mal mit Glanz zu reden.
Dann fuhr er nach Hause, stellte seinen BMW vor der Loftwohnung ab, schaute zum Fenster und sah, wie Saskia ihm zuwinkte.
Dann aßen sie eine aufgewärmte Kleinigkeit.
„Was gibt es Neues?“ fragte sie, als sie fertig waren und er das Geschirr in die Geschirrspülmaschine stellte. Sie blieben am Esstisch sitzen.
„ Ich hab so einen Zorn auf das, was sich diese beiden Banker geleistet haben.“
„Ja,….“ sagte sie. „Und du gehst wirklich davon aus, dass sie die Spendengelder tatsächlich noch nicht nach Äthiopien transferiert haben?“
„Ja. Überleg doch. Am zweiten April war das Benefiz, an diesem Tag haben die Leute angerufen und ihre Kontendaten und Beträge durchgegeben. Ein paar Tage später sind die Beträge per Lastschrift eingegangen. Es sind fast acht Wochen vergangen, und die da unten haben noch keinen Cent.“
Er steckte sich eine Zigarette an und stemmte die Ellenbogen auf den Tisch.
Saskia schüttelte den Kopf. „ Es ist diese maßlose Gier nach Geld. Ich glaub, die können gar nicht anders, es sitzt ihnen im Blut. Wenn es zum Beispiel hunderte von Millionen wären, könnte man es noch nachvollziehen, das würde sich bei dieser Raffgier-Mentalität lohnen, aber das hier sind doch Peanuts für die. Geld, das für die Armen der Ärmsten bestimmt ist. Denen noch das bisschen wegzunehmen, ist unfassbar. Unsere Kultur geht langsam vor die Hunde.“
Er schüttelte resigniert den Kopf.
„ Langsam…?“ fragte er sie und sich selber.
Alex besprach am nächsten Tag die Sache mit seinem alten Freund Oliver, einem eigensinnigen Zeitgenossen von einem Rechtsanwalt, der unter anderem die Opfer und Angehörigen von Gewaltverbrechen vor Gericht vertrat, manchmal auch kostenlos. Sie hatten sich vor zirka zehn Jahren kennen gelernt, als er einen Rechtsanwalt brauchte.
Und er sprach mit Jana Johansson, der Schriftstellerin.
Sie hatten sich dann in Olivers Wohnung im Frankfurter Stadtteil Sindlingen getroffen. Auch seine beiden Freunde waren erwartungsgemäß enttäuscht, als sie die Pressekonferenz mitverfolgten.
„Ich glaub den beiden kein Wort,“ argwöhnte Oliver.
„Und ich glaub dasselbe, was du glaubst,“ sagte Jana.
„Und weshalb haben die anderen Journalisten nicht nachgehakt?“ fragte Oliver in Anspielung auf die sarkastische Bemerkung von Glanz.
„Weil das keine Schlagzeilen ergibt,“ vermutete Jana.
„Betrachten wir zunächst mal die Fakten,“ begann Alex und zündete sich eine Zigarette an, „…die Bank hat seit dem achten April oder ein paar Tage später sieben Komma sieben Millionen Euro auf dem Spendenkonto. Glanz hat herausgefunden, dass die "Deutsch-Äthiopische-Hilfsorganisation" am siebenundzwanzigsten Mai angefragt hat, wo das Geld bleibt. Mir kann keiner erzählen, dass ein Geldtransfer so lange dauert. Das geht heute innerhalb von Sekunden.“
„Es sei denn, der Bote ist immer noch unterwegs…“ grinste Oliver.
„Dann behaupten die Kerle, das Geld wäre überwiesen worden,“ setzte er die Aufzählung fort.
„Lächerlich,“ sagte Jana, „ …bei diesem Betrag. Sieben Komma sieben Millionen für ein paar Tage, was bringt das? Für eine Bank doch nur Peanuts, wie dieser Kopper sagen würde.“
Es entstand eine Pause, die drei saßen da und tranken. Dann meldete sich Oliver wieder: „Muss das nicht alles auch von einem Notar überwacht werden?“
Alex nickte: „Sicher.“
„ Die Pressemeldung hatte keinen Sensationswert. Wollen wir dafür sorgen, dass sich das ändert? Wäre ja auch Material für dein künftiges Magazin „Transparent“, nicht wahr, Alex!“
„Schon sehr eigenartig und untypisch, dass die zwei die Geldüberwachung und Verwaltung an sich gerissen haben. Vermutlich teilen die sich den Profit, wenn sie das Geld erst mal gewinnbringend anlegen. Vermutet Glanz.“
„Das ist eine kleinere Privat-Bank mit 15 Angestellten– und Ebert und Blüsch sind die Chefs.“
Es trat eine längere Pause ein. Alex holte ungewöhnlich bedächtig und in Gedanken versunken eine Zigarette aus der Packung, Oliver nahm langsam einen Schluck Kaffee und Jana schaute aus dem Fenster. Gleich einem Brainstorming waren diese Minuten der Stille die Initialzündung, für gewaltige Schlagzeilen zu sorgen. Gläubige Christen würden sagen, dass der Heilige Geist über die drei gekommen ist und ihnen einen Auftrag gegeben hat.
Das ganze Drama für die beiden Banker Ebert und Blüsch begann mit Olivers Frage:
„Was machen wir mit den beiden Herren im feinen Zwirn? Ich denke, die sollte man nicht mit Samthandschuhen anfassen“.
„Das werden wir auch nicht,“ sagte Alex spontan.
Jana sah Oliver direkt in seine Augen und erwartete, dass er ihren Blick erwiderte, was er auch tat. Blitzschnell tauchte bei ihr die Szene wieder auf, als er wie selbstverständlich seinen Arm um ihre Schulter gelegt hatte.
„Wir sollten für Schlagzeilen sorgen….“ sagte Alex.
Dann zündete er die Zigarette an.
„Dasselbe denke ich auch,“ ergänzte Oliver. Jana nickte.
„ Das ist Zündstoff, sag ich euch. Die typische Ausgeburt der Raffgier auf Kosten anderer. Lassen einfach die armen Teufel da unten zugrunde gehen,“ wetterte Alex, „ sie lassen sie einfach weiter hungern und verhungern, weiter an Krankheiten krepieren.“
Jana stand auf und stellte sich mit dem Rücken an die Fensterbank.
Oliver erhob sich und ging in seine kleine Küche. „Ich mach neuen Kaffee.“
Jana schüttelte den Kopf. „Es ist unglaublich, mit welcher Kaltblütigkeit die das Geld einfach einbehalten.“
„ Ich selbst hab schließlich erlebt, wie die da unten dahinvegetieren,“ sagte Alex, „und wie nötig die Hilfe brauchen.“
„Wenn wir nichts unternehmen, verläuft alles im Sand. Morgen ist die Sache bereits vergessen, weil andere Schlagzeilen die Medien beherrschen. Und wen juckt es um ein paar Schwarze irgendwo in Afrika, die leiden und kaputt gehen, weil sie nichts zu essen und keine Medikamente haben. Die Benefizveranstaltung war ein unterhaltsames Spektakel, das den Leuten momentan an die Nieren ging, deshalb auch die sieben Komma sieben Millionen Gesamt-Spenden. Hat sie zu Tränen gerührt, die schwarzen Babys mit ihren Glubschaugen, die am Hungertuch nagten, die abgemagerten Frauen und Männer, deren Blick starr ins Leere ging,“ sinnierte Jana, „und ich war überrascht, dass eine solche Summe zusammen kam.“
„Also, wenn wir nichts tun, bleibt das Geld da, wo die Kerle es hingebracht haben. Und irgendwann, noch ein paar Wochen später, wenn die "Deutsch-Äthiopische-Hilfsorganisation"
wieder mal mahnt und die Meldung wieder an die Presse geht, rücken die vielleicht das Geld raus. Und in der Zwischenzeit sterben wieder viele an Hunger und Krankheiten.“
Oliver kam mit den zwei neuen Kannen auf einem Tablett zurück.
„Ist das Gehöft noch frei?“ fragte er, und stellte das Geschirr auf den Tisch.
Jana nickte. „Immer.“
„Wir holen uns die beiden,“ sagte er. „Das Gehöft ist der ideale Ort für unsere Besprechungen.“
„ Wir fordern sie auf, das Geld zu überweisen. Und wir unterhalten uns mit ihnen,“ verkündete Alex.
„Und wir bieten den Medien dieses Spektakel an,“ setzte Oliver die Idee fort.
„Was meinst du?“