Karriere und Liebe
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Karriere und Liebe
Phil Lister
Copyright: © 2013 Hermann Mezger
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-5107-4
Die Handlung dieses Buches ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen, – lebend oder verstorben, – Firmen und Institutionen wäre rein zufällig. Das Buch ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Vervielfältigungen aller Art, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Kapitel 1
Felix Admont zog die Blicke der Frauen auf sich wie ein Magnet. Er hatte, wie man so sagt, das gewisse Etwas. Große, dunkelbraune Augen, die einen auffälligen Kontrast zu seinen blonden Naturlocken bildeten, schauten neugierig in die Welt. Sein freundliches, hilfsbereites Wesen in Verbindung mit seiner sportlichen Figur verhalf ihm zu einer ganz besonderen Ausstrahlung.
Mit seinen siebzehn Jahren waren ihm die Avancen, die ihm die Damenwelt machte, noch ziemlich gleichgültig. Er hatte sich mit der Lehre in einer Großbank sehr zum Leidwesen seiner Mutter ein anderes Ziel gesetzt: Nur weg von der Landwirtschaft zu Hause. Nicht etwa weil er die Arbeit scheute, sondern vielmehr weil der Obst- und Gemüseanbau ihn überhaupt nicht befriedigte. Seit der Währungsreform blieben zudem die zahlreichen Helfer aus, die während und nach dem Krieg in Scharen kamen und für Naturalien jede Arbeit verrichteten. Es gab keinen Feierabend. Die Arbeit war eine elende Schinderei. Nicht einmal im Winter gab es eine Pause. Da musste Brennholz gehackt, Schnaps gebrannt und die Geräte und Fuhrwerke repariert, im Sommer dann mussten tonnenweise Erd-, und Johannisbeeren, Pfirsiche, Äpfel und Birnen eingebracht und versorgt werden. Das ABC des Fruchtwechsels kannte er in- und auswendig. Aber das war ihm viel zu wenig. Er fühlte sich zu Höherem berufen.
Aufstehen! Schrill und unerbittlich riss der Wecker Felix aus dem Morgentraum. Seit er die Banklehre in Frankfurt begonnen hat, holte ihn nicht mehr Großvater mit seiner knarrenden Stimme aus dem Bett. Er hatte sich eine pfiffige Weckmaschine gebastelt. Abends stellte er seinen Wecker in eine Blechschüssel in die Zimmerecke. Beim ersten Scheppern schreckte er auf und torkelte zu dem Krachmacher. Es war 4.30 Uhr in der Frühe, wenn er sich die Zähne putzte. Er hörte das Krächzen der Kaffeemühle; Mutter bereitete das Frühstück vor. Als er in die Küche kam, knisterte schon im Küchenofen das Feuer.
„Bist du pünktlich heute Abend?“
„Nein, heute Abend besuche ich doch den Kurs Business-Englisch.“
„Heute Englisch, und morgen ..?“, Mutter brach den Satz ab, biss sich auf die Lippen und schluckte ihre Enttäuschung hinunter. Fast jeden Tag gab es Sticheleien, die ihm signalisierten, dass man zu Hause seinen Einsatz in der Bank nicht schätzte, sondern im Gegenteil, als eine Flucht vor der Arbeit zu Hause interpretierte. Felix kochte innerlich, aber er wollte offene Gefühlsausbrüche vermeiden. Mutter war nachtragend, und so pflegte er ein wütendes Schweigen. Dann, so sein Kalkül, würden die Wunden nicht neu aufgerissen, die nur schwer heilten. Er hatte schon viele Jahre Übung darin, der Mutter nicht zu zeigen, was ihn bewegte. Und er konnte ihre Haltung nicht verstehen. Warum hat sie mich nur nach Frankfurt geschickt, wenn sie mir jetzt den Weg dorthin wieder verbauen will?, grübelte Felix und hastete zum Bahnhof. Sie war es schließlich, die ganz alleine die Entscheidung zur Banklehre getroffen hatte. Das Verhalten der Mutter war voller Widersprüche.
Wie sich wohl sein Vater, der vor Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen war, in dieser Situation verhalten hätte? Sagte er nicht immer, dass Felix ein außerordentlich begabtes Kind sei? Das väterliche Vorbild, seine Ratschläge, aber auch die Grenzen setzende Instanz fehlten ihm sehr. Wie schön wäre es gewesen, wenn ihn jemand auf dem Weg des Erwachsenwerdens begleitet hätte. Andererseits hatte Felix auch Verständnis dafür, dass der Hof eine sichere Lebensgrundlage war, die man nicht leichtsinnig opfern durfte.
Pünktlich 6.42 Uhr schnaubte die Dampflok heran. Graue Gestalten drängten sich in den Abteilen mit den Holzsitzen; standen auf den Fluren. Schulkinder kicherten. Eine Gruppe hatte sich zu einer Skatrunde auf einem Ranzen zusammengefunden. Die Erwachsenen schüttelten missbilligend, aber schweigend den Kopf. Manche lasen, andere dösten oder stierten gedankenleer aus dem Fenster. Gespräche waren selten. Man kannte sich, aber man grüßte sich kaum. Die Müdigkeit und die Aussicht auf einen anstrengenden Arbeitstag lähmte die Gemüter in diesem Vorortzug, der jeden Werktag in Richtung Frankfurt zuckelte.
Felix holte ein Schriftstück aus seiner braunen Ledertasche, auch so ein gutes Stück das er in Ehren halten sollte, weil schon der Vater damit unterwegs gewesen war. Er studierte seinen Wegweiser durch das zweite Lehrjahr, den er schon am ersten Tag in der Bank bekommen hatte. Für jeden der 15 Lehrlinge war ein detaillierter Fahrplan durch die verschiedenen Abteilungen der Bank erarbeitet worden. Am Ende eines jeden Abteilungsdurchlaufs wurde ein ausführlicher Bericht erwartet.
Was konnte er über die Registratur und den Postausgang, dem er erst seit zwei Wochen zugeteilt war, aussagen? Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter in diesem Bereich war sehr hoch.
Möglicherweise war das auch gewollt, denn die Arbeit bestand zu einem großen Teil aus Routinetätigkeiten, die auch die weniger belastbaren Beschäftigten ausführen konnten. Es gab viele weibliche Angestellte in dieser Abteilung, zum großen Teil ältliche Damen mit langer Betriebszugehörigkeit. Sie hatten ihr Leben der Registratur geopfert. Aber auch für die jüngeren Frauen, die weniger blutarm schienen, hatte Felix kein Auge. Er stellte nur fest, dass die auf Ordnung und Disziplin setzenden männlichen Angestellten die jungen Frauen gelegentlich eindringlich musterten. Humorlos und staubtrocken war der Umgangston.
Noch erschien ihm die Bank wie ein Dschungel, urwüchsig und undurchsichtig. Mit schier endlosen, verschlungenen Pfaden, vielen fremden Geräuschen, unbekannten und strengen Hierarchien und Verhaltensweisen und undurchsichtigen Spielregeln.
In der Registratur herrschte Herr Beyer. Sein ganzes Leben hatte er zwischen den Aktendeckeln zugebracht. Irgendwelche Leidenschaften schienen ihm fremd. Er war ein schmächtiger Mann mit langen Armen und schmaler Brust. Besonderes Kennzeichen waren seine vorstehenden Vorderzähne, die eine zu kurze Oberlippe nicht verdecken konnte. „Graue Maus“ war sein Spitzname unter den Lehrlingen. Sein Credo, das er gleich am ersten Tag jedem Neuankömmling einpaukte: Auf Pünktlichkeit, Ordnung, Fleiß und Disziplin kommt es an. „Das haben wir schon immer so gemacht“, war die Standardformel jeder Einweisung.
Felix war diese Haltung nicht fremd, auch auf einem Bauernhof waren diese Eigenschaften unerlässlich. Allerdings schränkten sie die Bewegungsfreiheit der Menschen auch sehr ein. Felix lernte die Bedeutung einer sorgfältigen Registratur zu schätzen, den Ausgang wichtiger Post festzuhalten, die Frankiermaschine zu bedienen. Büromaterial zu bestellen und Botengänge im Haus zu organisieren. Nach wenigen Wochen lichtete sich der Banken-Dschungel und er gewann den Eindruck, dass in der Abteilung Registratur Sorgfalt und Ordnung als Grundprinzipien durchaus sinnvoll waren, ein wenig Kreativität und Initiative aber nicht geschadet hätten.
Von den Lehrlingen des 3. Lehrjahres hatte er wertvolle Tipps für seinen Bericht über die Abteilung Registratur bekommen: So wusste er: Man hat nur Chancen auf eine gute Bewertung, wenn man im Berichtsheft ausschließlich das Wort Briefhülle verwendet. Schon Briefumschlag war ein nicht gut zu machender Fauxpas, von Kuvert ganz zu schweigen. Felix würde sich daran halten, aber eine Bewerbung in der Abteilung Registratur nach seiner Lehre konnte sich der wissbegierige, vorwärtsstrebende Felix nicht vorstellen.
Frankfurt-Hauptbahnhof! Aussteigen und umsteigen in die Straßenbahn. Jeden Tag staunte Felix, wie sich die Stadt veränderte. Der Verkehr schwoll an, Baustellen ohne Ende, aus den Ruinen schälten sich neue Wände. Große Kaufhäuser mit riesigen Glaswänden wurden hochgezogen. Straßen wurden verbreitert und neue gebaut. Heute erhielt die Große Eschenheimer Landstraße eine neue Asphaltdecke. Felix' Straßenbahn stockte,