Stadt ohne Licht. Ernst Meder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Meder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737526371
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Minuten seziert hatte. »Ist es Ihnen auch so ergangen«, die Frage kam krächzend, obwohl er versuchte seinen Hals freizubekommen.

      »Oh ja, dazu kommt, dass ich die Synagoge noch kannte, die früher da gestanden hat. Wissen Sie, dass es eine der größten Synagogen in Berlin war, die fast zweitausend Personen aufnehmen konnte. Die große Eisenplatte, in die man die Transporte zu den Konzentrationslagern gestanzt hat, die ist etwa so hoch, wie die Synagoge damals war«.

      Wie um eine böse Erinnerung abzuschütteln, nahm sie mit ruckartiger Bewegung eine Tasse um sich selbst Kaffee einzugießen. »Auch in meiner Vergangenheit kam es zu diversen Berührungen, aber dazu vielleicht später mehr. Jetzt wollen wir uns erst mal kennenlernen, dazu erzähle ich ihnen in Kurzform meine Vita, danach reden wir über Sie«.

      »Also meinen Namen kennen Sie bereits, ich heiße Elisabeth Schlüter und bin bereits neunundsechzig Jahre alt. Ich habe immer als Musiklehrerin gearbeitet, war allerdings nie in einer Schule angestellt. Wenn ich an einer Schule gearbeitet habe, dann erfolgte dies stets auf Honorarbasis, ich wurde für Stunden bezahlt. Aus persönlichen Gründen habe ich Berlin nach dem Tod meiner Mutter in den sechziger Jahren verlassen und habe in der Folgezeit in Kiel gelebt«.

      »Nach dem Tod meines Mannes in den achtziger Jahren habe ich mich entschlossen, wieder in meine Geburtsstadt zurückzukehren. Natürlich wollte ich in die Gegend, die ich seit meiner frühesten Kindheit kannte, als habe ich mich hier nach Wohnungen umgesehen. Damals war es gerade groß in Mode Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Kurz entschlossen habe ich unsere Ersparnisse genommen, um die beiden Wohnungen zu kaufen«.

      »Damals dachte ich, wenn ich alle meine Einkünfte zusammennehme, dann kann ich mir ein ruhiges Leben machen. Als es mir zu langweilig wurde, habe ich wieder begonnen Kindern Geigenunterricht zu erteilen. Jetzt habe ich nur noch zwei Schülerinnen und leiste mir den Luxus junge Menschen in meiner Nähe zu haben. Nun haben Sie meine Gründe erfahren, weshalb ich an Studenten vermiete, obwohl doch absehbar ist, dass die spätestens nach dem Ende des Studiums wieder ausziehen«.

      Lächelnd fügte sie hinzu, »aber das ist auch nicht so schlecht, wenn man berücksichtigt, dass ich immer wieder neue interessante Menschen kennenlerne. So, nun aber zu Ihnen, wie kommt es, dass Sie in Berlin studieren, nach dem Dialekt hätte ich Sie eher in südlichen Gefilden erwartet«.

      Mit einem Lächeln hatte er ruhig begonnen zu erzählen, hier befand er sich wieder auf bekanntem Terrain. »Die ersten beiden Semester habe ich in München studiert, ich dachte, es ist eine gute Idee, da ich aus einem kleinen Ort in der Nähe komme. Mein Vater und seine Frau betreiben dort ein kleines Elektrogeschäft mit dem sie sich mühsam über Wasser halten können. Ihre Hoffnung war, dass ich Elektrotechnik studiere, um später den Familienbetrieb zu übernehmen«.

      »Ihre Mutter lebt nicht mehr«?

      Die Frage überraschte ihn, er hatte nichts von dem Tod seiner Mutter erwähnt, die vor sechs Jahren an fortgeschrittenem Brustkrebs gestorben war. Sie hatte sich lange Zeit geweigert einen Arzt aufzusuchen, da sie genau das befürchtete, was später geschah. Trotz der Amputation ihrer Brüste war es bereits zu spät, da sie den Arzt zu spät aufgesucht hatte. Ich hatte Angst, mich nicht mehr als Frau zu fühlen hatte sie ihm kurz vor ihrem Tod gesagt. Im Nachhinein tut es mir leid, ich habe zu wenig an Dich gedacht.

      »Sie ist vor sechs Jahren an Krebs gestorben, mein Vater hat vor vier Jahren seine jetzige Frau geheiratet«.

      Er stockte kurz, dann fuhr er die ursprüngliche Erzählung fort. »Meine Leidenschaft waren jedoch Motoren, deshalb habe ich mich im Bereich Maschinenbau eingeschrieben, um später meiner Leidenschaft frönen zu können. Im zweiten Semester hat mein Vater mitbekommen, dass ich eigene Pläne für meine Zukunft verfolgte, dass ich sein Geschäft nicht wollte«.

      »Er hat Ihnen den Unterhalt gestrichen«. Erneut überraschte sie ihn, da die eigentliche Frage bereits wie eine Feststellung klang.

      »Ja, er hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass er nicht gewillt sei, meine, wie er es nannte, Extravaganzen zu finanzieren. Wenn ich unbedingt Maschinenbau studieren wolle, dann soll ich gefälligst das Erbe meiner Mutter dafür verwenden. Meine Mutter ist auf einem großen Bauernhof aufgewachsen, als sie meinen Vater heiratete, hat sie sich auszahlen lassen. Die eine Hälfte ihres Erbes hatte sie meinem Vater für das Geschäft gegeben, die andere Hälfte hatte sie so angelegt, dass mein Vater keinen Zugriff darauf hatte«.

      »Als es geschäftlich weniger gut lief, hat er versucht sie zu überreden auch den Teil in das Geschäft zu stecken. Er hat es ihr, aber auch mir übel genommen, dass sie es immer abgelehnt hat. Als meine Mutter starb, wurde das Geld bis zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag von einem Treuhänder verwaltet. Als Treuhänder hatte sie ihren Bruder eingesetzt, der meinen Vater nicht ausstehen konnte. Bei dem hatte er noch weniger Glück, wenn er nach dem Geld fragte«.

      »Nun bot sich ihm die Gelegenheit, es mir zu zeigen. Du hast genug Geld für ein Studium, du musst uns nicht auch noch auf der Tasche liegen. Ich habe dann meine Klamotten zusammengepackt und bin bis zum Ende des Semesters bei einem Freund untergekommen. Zugleich habe ich mich hier in Berlin um einen Studienplatz beworben. Dass es so schwierig wird, eine Wohnung zu finden, habe ich mir allerdings auch nicht vorgestellt«.

      »Sie gefallen mir junger Mann, ich glaube, wir beide werden uns vertragen«. Diese Zusage kam so unvermittelt, dass ihm der Atem stockte, dann zog eine leichte Röte über sein Gesicht.

      »Danke, wir werden uns bestimmt vertragen« stieß er mit einer Begeisterung heraus, die sie schmunzeln ließ.

      »Nun kommen Sie erst mal mit, wir müssen die Wohnung noch besichtigen, vielleicht gefällt sie Ihnen nicht«.

      Die Wohnung entsprach ziemlich genau seinen Anforderungen, auch wenn der Grundriss der Wohnung etwas ungewöhnlich war. »Das liegt daran«, hatte sie ihm erklärt, »dass in der Nachkriegszeit die Wohnungsnot in Berlin so groß war, dass aus ursprünglich zwei hochherrschaftlichen Wohnungen je Etage, drei Wohnungen geschaffen wurden«. »Um die schlimmste Wohnungsnot zu lindern, hatte man von den ursprünglich zwei Wohnungen jeweils Zimmer weggenommen, um damit eine dritte Wohnung zu schaffen«.

      Als er auf den Balkon trat, verstand er die Bedenken seiner künftigen Vermieterin, aus dem eigentlich sehr großen Balkon hatte man einen kleinen Teil für die Wohnung abgetrennt.

      »Jetzt verstehen Sie, weshalb ich so großen Wert auf eine angenehme Nachbarschaft lege. Ich möchte mich nicht ärgern müssen, wenn ich meinen Balkon benutze und den mit jemandem teilen muss, mit dem ich im Streit liege«.

      Sie hatten sich sehr schnell über die Modalitäten geeinigt, sodass er bereits drei Tage später mit seinem Einzug begonnen hatte. Von den befürchteten Unterrichtsstunden für die Geigenschülerinnen nahm er nichts wahr, also spielten diese so leise, dass er nichts hörte. Wann immer er mit seiner Vermieterin zusammentraf, erwies sich ihr Zusammentreffen als angenehm. Er freute sich, wenn er dieser preußisch anmutenden Frau bei kleinen Handreichungen oder Besorgungen helfen konnte.

      Dass die Schulferien zu Ende waren, wurde er schmerzlich gewahr, als er eines Nachmittags hörte, wie jemand auf unnachahmliche Art eine Geige quälte. Auch für seine musikalisch ungeübten Ohren war sofort erkennbar, dass hier kein neues Wunderkind die Umgebung verzückte.

      Als Entschädigung hatte Elisabeth, mit der er sich inzwischen darauf geeinigt hatte, auf die förmliche Anrede zu verzichten, ihn zum Kaffee eingeladen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hatte sie ihm von der ehrgeizigen Mutter erzählt, die ihrem unmusikalischen Kind zusetzte, um aus diesem einen Star der klassischen Musik zu machen. Sie habe bereits erste Anzeichen zu einer neuen Anne Sophie Mutter erkannt, deshalb wolle sie ihrem Kind die Gelegenheit geben sich dahin zu entwickeln.

      »Das Einzige was sie erreicht, ihr Kind wird irgendwann beginnen, die Musik zu hassen. Aber versuchen sie dass einer über die Maßen ehrgeizigen Mutter zu erklären. Mein erster Versuch, ihr zu erklären, dass ihr Kind vielleicht doch nicht so begabt ist, hat sie mit der Bemerkung beiseite gewischt. Wenn Sie nicht in der Lage sind, die Fähigkeiten meines Kindes zu erkennen, sollte ich mich nach einer qualifizierteren Musiklehrerin umsehen«.