Ich denke an den Schmetterling, draußen an den Eingangstoren, während Meusburger weiterspricht.
»Wenn wir es ergründet haben, also, wir haben schon einen sehr genauen Verdacht, aber erst nach den Tests werden wir es mit Gewissheit sagen können. Nun, wenn wir Ihr wahres, einzigartiges Talent kennen, dann werden Sie sich neben den Psychologievorträgen auch für Talentkurse einschreiben, um es vollkommen beherrschen zu lernen. Dann werden Sie von größtem Nutzen für TREECSS sein.«
Ich nicke. Dann fällt mir etwas ein.
»Herr Meusburger, Sie wollten mich auch über die Konsequenzen aufklären.« Das jagt mir echt noch mehr Angst ein als Vigor.
»Aeia, Aeia, soweit wollen Sie es doch nicht kommen lassen?«, fragt Meusburger mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Nein, nein,« (jetzt beginne ich meine Sätze auch schon mit Wiederholungen, Hilfe) »natürlich nicht, ich meine nur, es würde mich interessieren, was mit meinen Vorgängern passiert ist.« Ich muss an das erste Prinzip denken und mein Magen zieht sich auf Erbsengröße zusammen.
»Xmemorarenikation«, sagt er. »Sie werden jeglicher Erinnerungen an dieses Institut beraubt. So als wären Sie nie hier gewesen«, sagt er sehr ruhig. Wir beide schweigen für ein paar Sekunden, bis ich nicke.
»Aeia, wir haben einen übersichtlichen Tagesplan, an den Sie sich strikt zu halten haben. Na ja, zumindest an die wesentlichen Eckpunkte.«
»Ok«, sage ich eingeschüchtert.
»Morgens arbeiten Sie an meinem Projekt. Kyala wird Sie einarbeiten. Sie können gleich nachher damit beginnen.« Ich bin beruhigt, dass es nicht Vigor ist, der mich einarbeiten soll. »Nach dem Mittagessen gehen Sie zu ihren Psychologievorträgen. Sie werden diese wie Pflichtkurse wahrnehmen. Solange die Tests noch nicht abgeschlossen sind, werden Sie erst diese allgemeinen Themen behandeln. Welche genau, entnehmen Sie bitte Ihrem Wochenstundenplan. Eve wird Ihnen dabei helfen. Eve kennen Sie ja bereits, oder?«
»Ja, wir haben uns schon kennengelernt.«
»Gut, gut. Sie können sich auch in Wahlkurse einschreiben, solange diese hilfreich sind und Sie keinen Schwachsinn besuchen.«
»Was wäre zum Beispiel ein freiwilliger Kurs, den Sie mir nicht empfehlen würden?«
»Lauftraining.«
Ich schaue erschrocken auf. »Bitte?«
»Kennen Sie Topmodels?« Oh Gott, ich muss sofort an Dr. Lu denken. Er muss wohl meinen verstörten Gesichtsausdruck richtig interpretieren. »Aeia, bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Die Wahlkurse wurden dafür geschaffen, um die Persönlichkeitsprofile weiterzuentwickeln. Wenn Sie meinen, Ihnen tut ein Schwachsinnskurs gut, dann belegen Sie ihn. Aber bitte denken Sie an meine Worte. Und noch eins, ehe ich es vergesse zu erwähnen. Heute Nachmittag werden Sie Palo Davidi aufsuchen. Er ist einer der drei Institutsleiter und wird sie testen.«
»Ich habe verstanden«, sage ich.
»Sie wohnen bei Ihrem Freund, haben Sie gesagt?«
»Ja, in Freiburg.«
»Falls sie jemals auf den Gedanken kommen sollten, umzuziehen, dann können Sie jederzeit hier im Institut einziehen. Sie müssten sich allerdings das Zimmer mit einem Kollegen teilen.« Plötzlich sehe ich mich in einem kleinen Zimmer, Bett an Bett mit Vigor wieder.
»Ich ziehe es vor, in Freiburg zu bleiben. Was muss ich noch wissen, Herr Meusburger?«
»Sonntag wird das traditionelle Einweihungsritual stattfinden. Ausgewählte Institutsmitglieder erhalten ihre Weihe. Nichts Religiöses. Es gehört einfach zur Tradition. Bitte ziehen Sie sich etwas Angemessenes an. Kyala wird Ihnen natürlich behilflich sein. Und erscheinen Sie pünktlich.«
»Sonntag?«
»Ja, haben Sie damit ein Problem?«
»Nun, ich habe am Sonntag Geburtstag.«
»Haben Sie ein Problem mit Ihrem 21. Geburtstag?«
»Ähm, nein. Ich dachte nur. Vielleicht wollen mein Freund und ich gemeinsam den Abend...«
»Aeia, Aeia. Sie gehören jetzt zur Familie und die Anwesenheit aller Mitglieder ist Tradition. Ich meine alle Mitglieder. Selbst die Teams, die sich derzeit im Ausland befinden, reisen zu diesem Anlass an.«
»Ich werde da sein«, sage ich, schlucke und überlege bereits, wie ich das Levi beibringen kann.
Erleichtert verlasse ich Meusburgers Büro, das eine Symbiose aus Kapelle und Bibliothek zu sein scheint.
Ich denke über den Inhalt des Gesprächs nach. Vermutlich hat mich TREECSS schon an der Uni ausspioniert oder ausgewählt. Oh Gott, wie weit reichen die Tentakel dieser Organisation? Soll ich mir darauf etwas einbilden? Oder sollte es mich beunruhigen?
Tatsache ist, dass ich aufgeregt bin und es kaum erwarten kann, zu erfahren, was für mich der Sinn des Lebens bedeutet. Und ich habe zumindest das Gefühl, jederzeit aussteigen zu können.
Aber was bin ich jetzt?
Ein neues Familienmitglied einer gefährlichen Sekte? Mein Gott, mir wird soeben bewusst, wie blauäugig ich den Vertrag unterschrieben habe. Ich korrigiere, mit meinem Blut besiegelt habe.
Allerdings, wenn Ronan Meusburger Recht hat, dann würde am Ende der Woche eine interessante Frage beantwortet sein.
Was ist mein ureigenes Talent?
Was ist meine Lebensaufgabe?
Warum ist mein Leben bisher so verlaufen?
Warum gibt es nur zwei Menschen auf diesem Planeten, die mich lieben? Ich bin eine Außenseiterin, wurde von meinem Bruder brutal gequält. Warum? Gibt es dafür einen tieferen Grund?
Das ist beängstigend. Und dann interessieren mich natürlich die Wahlkurse. Was wird da noch angeboten außer Lauftraining? Himmel, wie interessant ist das denn?
Und dann diese Xmemorialkommunikation oder wie das nochmal heißt. Ist das eine Gehirnwäsche oder Säuberung für Abtrünnige? Kein Arbeitsgericht in Deutschland würde das jemals durchgehen lassen. Und das Grundrecht auch nicht. Und überhaupt gibt es im Institut vielleicht auch noch ganz andere Gesetze und Regeln, die ich noch nicht kenne? Ich habe auf jeden Fall die Wahl auszusteigen, rede ich mir immer wieder ein. Ich habe die Wahl.
Aeia - Asklepiosstab
Mein Herz macht einen Aussetzer, als hinter mir die Tür zu Meusburgers Büro wieder aufspringt und der Professor fast in mich hineinrennt. Ich bin noch völlig in Gedanken und habe keine Ahnung, wie lange ich da eigentlich vor seinem Büro stehe.
»Aeia? Aeia Engel, ich habe da noch eine wichtige Sache vergessen«, sagt er und dann öffnet er seine Hand und ich sehe einen Autoschlüssel. »Ihr neuer Firmenwagen. Jedes Mitglied der Familie erhält ein eigenes Gefährt. Leider habe ich keine Ahnung, wo er geparkt wurde. Ich vermute in der Tiefgarage. Sie werden ihn schon finden«, lächelt er und wirft mir den Schlüssel zu und, Gott sei Dank, ich fange ihn ziemlich cool auf.
Ich bin baff. Ein Firmenwagen? Für eine Studentin, die halbtags an einem Projekt mitarbeitet. Womit habe ich das verdient?
»Was soll ich sagen? Vielen Dank, Herr Meusburger.« Auf dem Weg zu Kyalas Platz betrachte ich den Schlüssel genauer, immer noch ungläubig darüber, dass ich eben einen Firmenwagen erhalten habe. Er sieht modern aus. Es ist kein Drücker oder Knopf zu sehen, geschweige denn so etwas Altmodisches wie einen Bart. Na das kann ja heiter werden.
»Darf ich mich hierhin setzen?«, frage ich Kyala, meine neue, schwarzhaarige Kollegin, als ich neben ihrem Arbeitsplatz an dem riesigen Tisch zum Stehen komme. Vigor sieht mich misstrauisch an. Ich ignoriere