Weg, einfach weg. Ralf J. Schwarz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralf J. Schwarz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001839
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sein Gegenüber. »Du machst jetzt einen Scherz mit mir! Was heißt verschwinden? Urlaub?« Andreas schüttelte den Kopf.

       »Nein. Verschwinden heißt so viel wie weg. Weg von hier. Fort von Frankfurt. Einfach verschwinden.« Ungläubig lächelte Hartmut. »Und was sagt Deine Frau dazu?« »Das ist genau der Grund für meinen Anruf. Ute soll es nicht erfahren. Jedenfalls nicht vorher.« »Sag mal, tickst Du noch richtig. Du willst verschwinden und Ute vorher nichts sagen? Was ist in Dich gefahren? Hast Du Dich mal untersuchen lassen. Auf Deinen Geisteszustand, meine ich. Du bist doch durchgeknallt! Wie kommst Du denn auf so einen Unsinn?«

       »Was mich dazu treibt?«, fragte Andreas wie zur Bestätigung, »Ich kann einfach nicht mehr. Ich hab den ganzen Mist hier satt. Ich brauche meine Freiheit. Verstehst Du? Ich will einfach frei sein.«

       »Freiheit, mein Lieber, ist ein Hirngespinst! Es gibt keine Freiheit. Du wirst niemals frei sein!« Hartmut Kesselring nippte an seinem Glas. Einerseits konnte er das Streben seines Freundes verstehen. Aber andererseits konnte er nur den Kopf schütteln.

       »Wir beide«, fuhr er nach einer schöpferischen Pause fort, »wir sind uns doch einig, dass wir fast alles haben, was man sich mit einem normalen Gehalt kaufen kann. Wir sind, und da gibst Du mir sicher auch recht, die Bessergestellten im Leben. Wir beide haben alles. Du hast eine Menge Geld. Du kannst Dich als finanziell unabhängig bezeichnen. Und Deine Familie hat ein riesiges Haus. Dafür müsste ein Normalverdiener bestimmt vier Leben arbeiten. Ist das nicht Freiheit genug. Machen zu können, was Du willst? Warum willst Du dann um Himmels Willen noch mehr Freiheit. Und dann noch eins, Freiheit und Geld vertragen sich nicht. Um die gute finanzielle Situation zu erhalten, musst Du Dich ordentlich verbiegen und dann ist es ohnehin aus mit der Freiheit. Das ist nun mal der Preis, den wir dafür zahlen müssen.«

       Aus dem Dunkel des Raums trat ein Kellner an den Tisch. Behutsam stellte er zwei Gläser Bier auf den Tisch und verschwand. Die beiden Männer sahen ihm nach als wollten sie sich versichern, dass er auch wirklich außer Hörweite war. Andreas van Geerden nickte und schwieg. Er nippte an seinem Glas, nutzte die Gelegenheit um nichts sagen zu müssen. Er redete sowieso nicht gerne. Das spiegelte sich immer in den Gesprächen der beiden Freunde wider. Hartmut war da ganz anders. Er, der Jurist, war ein Redner vor Gott dem Herrn. Aber nun war die Stille das allumfassende und bestimmende Element im Raum. Die beiden Männer sahen sich an und keiner wagte es, die Stille zu unterbrechen.

       Schließlich brach Andreas den Bann des Schweigens: »Vielleicht drücke ich mich unverständlich aus«, versuchte er zu erklären, »Einerseits verstehe ich es ja selbst nicht und zweifele immer wieder an meinem Plan. Aber genau das ist es was mich beschäftigt. All die vielen Jahre seit unserem Studium, all die Augenblicke, die ich darauf verschwendet habe um meinem sogenannten Reichtum nachzurennen, ein Wohlstand der mich glücklich machen sollte und doch nur das Gegenteil davon bewirkte, scheinen mir heute wie ein Trugbild. Nie hat mich mein wachsendes Vermögen befriedigt, manchmal, und das muss ich zugeben, die Jagd auf den Reichtum schon, das schnell gewonnene Geld, dieser kurze Moment nach einem guten Geschäft, haben mich kurze Zeit zufrieden gestellt. Auch die Dinge die ich mir angeschafft habe, erwiesen sich als leicht verfliegende Glücksmomente und mit allem sitze ich nun hier und bin verzweifelt. Und was kann ich schon mit all dem Reichtum machen? Kann ich mir damit meine Freiheit kaufen? Ach Scheiße«, fluchte er plötzlich, »ich will einfach weg hier. Und Du sollst mir dabei helfen.«

       »Du spinnst doch!«, unterbrach ihn Hartmut, »Das ist meine ernst gemeinte Ansicht über Dich und Deinen momentanen Geisteszustand. Überdenke alles noch einmal und denke vor allem an Ute. Deine Frau hat ein Recht auf die Wahrheit. Da bist Du ihr schuldig. Steig eine Weile aus der Firma aus, schaffe Dir einen Freiraum oder flieg an den Arsch der Welt. Aber vergiss diesen Schwachsinn mit der Freiheit. Solche Hirngespinste stehen einem der reichsten Männer Frankfurt's nicht zu Gesicht. Wenn das jemand erfährt, hält er Dich für vollends durchgeknallt.«

       »Ach Hartmut, Du redest solch einen Quatsch. Geh hier durch den Raum und frage die Männer hier. Wenn einer dabei ist, der nicht schon mal so wie ich gedacht hat, nicht schon einen Plan im Kopf hatte, seine Freiheit wieder zu erlangen, bekommst Du von mir ein Bier. Jedem Menschen gehen solche Gedanken im Kopf herum, egal ob arm oder reich, ob Frau oder Mann. Das spielt dabei keine Rolle. Jeder Mann wäre gerne wieder so frei wie er früher war. Da gibt es keinen Unterschied. Der einzige Unterschied ist, manche trauen sich diesen Schritt zu gehen, andere machen sich vor Angst in die Hose. Und jetzt sag Du mir nicht, dass Du nicht auch schon solche Ideen hattest.«

       Wieder entstand eine Pause die sich schier unendlich dahinzog. Schließlich war es Hartmut der mit einem Räuspern den nächsten Satz begann und damit die Stille zerriss.

       »Dann mal raus mit Deinem Plan. Erzähl mir mal von Deinen verrückten Gedanken. Wie willst Du aus der Nummer rauskommen und endlich frei zu sein? Anscheinend bist Du Dir ja ziemlich sicher und hast Deine Entscheidung schon getroffen.«

       Andreas van Geerden nickte nur kurz und Hartmut konnte erkennen, dass sein Gegenüber versuchte, die geeigneten Worte zu finden. »Der Plan ist ganz einfach und unkompliziert. Ich verschwinde von hier und gut ist es.« Hartmut Kesselring sah seinen Freund unverständig an. »Und wo komme ich ins Spiel? Du hast gesagt, du brauchst meine Hilfe. Was ist mein Part?« Lange saßen die beiden Männer zusammen und rauchten, tranken und besprachen das Vorhaben. Da der Anteil Hartmuts nach einer halben Flasche Wein einfach als Freundschaftsdienst abgetan werden konnte, fiel ihm die Entscheidung zur Mithilfe leicht. Schwerer wog Andreas Forderung, auch seiner Frau Ute keine Silbe zu sagen. Es war fast Mitternacht als die beiden Männer mit einem leichten Gleichgewichtsproblem das Restaurant verließen, sich zum letzten Mal in den Arm nahmen und sich schließlich verabschiedeten. Ein Abschied, der für immer sein sollte.

      Kapitel 4

      Als der Wecker seinen zweifelhaften Dienst antrat, hatte Hartmut das Empfinden, sein Kopf würde gleich zerspringen. Blitzschnell noch im Halbschlaf und trotz der enormen Schmerzen traf seine Hand den Knopf des Weckers. Stille trat ein. Er lauschte in die Dunkelheit. Leise hörte er das Atmen seiner Frau. Karen schlief tief und fest. Sein Blick fiel auf die Kontur ihres Gesichts, das im spärlichen Licht des Zimmers erkennen konnte. Er rollte sich zur Seite und starrte auf das Display der Uhr, deren Leuchtziffern den Raum in ein erotisches, rotes Licht tauchten. Vier Uhr. Eine unwirtliche, zerstörerische Zeit, die dem Normalschläfer Angst und Schrecken einjagen konnte, einem Langschläfer wie Hartmut aber seelische Qualen bereitete. Er hatte gerade drei Stunden geschlafen und spürte noch die Wirkung des Alkohols den sie bis in die späten Stunden getrunken hatten. »So viel zur Freundschaft. Ich muss Dich sehr mögen, Andreas van Geerden, sonst würde ich jetzt nicht so einen Unsinn mitmachen«, murmelte er leise und schwang seine Beine über die Kante des Betts. Nun fielen ihm auch wieder Einzelheiten des dubiosen Vorhabens ein, die seine Mitarbeit nötig machten.

       Minuten später rauschte das Wasser mit mächtigem Druck durch die gemahlenen Kaffeebohnen und bald betörten der Geruch die Sinne Hartmuts. Ungeduscht trat Hartmut um siebzehn nach vier vor die Tür seiner Wohnung, stieg in seinen Porsche und fuhr nach Frankfurt-Sachsenhausen. Leichter Regen machte die Sicht durch die verschmierten Scheiben schwer. Alles schien wie eine späte Rache der getöteten Fliegen, die ihm jetzt, und das im buchstäblichen Sinn, vor Augen führten, dass er seine Scheibe öfter reinigen sollte. Seine trunkenen, alkoholgeschädigten Augen wollten sich partout nicht an die Reflexe, die die Lampen der Straßenbeleuchtung in den Regentropfen zauberten, gewöhnen. Er hatte das Gefühl, Schlangenlinien zu fahren. Dieses Empfinden schob er aber auf seine Angst vor der Polizei die bei einer Kontrolle seinen Cognacdunst sicher einen Meter gegen den Wind riechen würden. Aber trotz aller Schwierigkeiten erreichte er sein Ziel.

       Er parkte den Wagen etwas abseits und ging die wenigen hundert Meter bis zu seinem Einsatzort zu gehen. Der leichte Nieselregen durchnässte sein Haar und er spürte die ersten Tropfen über seinen Nacken rinnen. Er trug trotz des Wetters keine wasserdichte Jacke. Schon bei seiner morgendlichen Vorbereitung war ihm aufgefallen, dass er überhaupt keine richtige Regenjacke besaß. In seinem Leben brauchte er auch kein solches Kleidungsstück. Für die kurzen Strecken, die er zu Fuß ging, diese Distanzen beschränkten sich unter normalen Umständen nur auf den Weg von seinem Auto in irgendein Gebäude, brauchte er keine wasserdichte Kleidung.