An diesem ersten Tag nahm Gerti unseren Ricki mit zu sich nach Hause. Hier stand das Haus seiner Eltern, daneben das Haus seiner Großeltern. Die hießen bei Gerti "Vadder" und "Muader". Ricki fand das seltsam. Der Vadder fragte ihn: „Kanscht du schon Schtafforderisch?“ Da war sie wieder diese Frage. Aber jetzt reichte die Muader frisches Brot mit dicken Butterscheiben drauf. Hmmm, das schmeckte gut. Zwischen den beiden Häusern waren der Schweinestall, der Kuhstall und die Scheune. Dahinter lag ein Hof mit fest getretener Erde und danach ein großer Garten, alles mitten im Dorf.
In der Scheune sprangen sie vom Heuboden hinunter in den Wagen voller Heu. Danach zogen sie sich gegenseitig mit dem Flaschenzug wieder hinauf. Tolle Sache so ein Flaschenzug in einer Scheune. Danach besuchten sie die Schweine – iiiiiiiiihh, hier roch es nicht sehr gut. Die Kühe rochen dagegen sehr angenehm und sahen auch so lieb aus. Hier schworen sich Gerti und Ricki ewige Freundschaft. Dann brachten Sie die gemolkene Milch zur Milchzentrale. Das war ein kleines Häuschen mitten im Dorf, wo jeden Abend alle Milch des Dorfes in einem Kübel, der größer als drei Badewannen war, gesammelt wurde. Nachts wurde die Milch dann in die Molkerei gebracht und dort sterilisiert. So lernte Ricki das Dorf erst richtig kennen. Mit Gerti an seiner Seite war dieses Dorf einfach klasse. Und auch „Schtafforderisch“ lernte Ricki von Gerti. Bald konnte er den hiesigen Dialekt fast so gut wie all die anderen Kinder im Dorf.
Gertis Dorf
Das Frühjahr begann, ein Sommer kam und Herbst und Winter. Die beiden neuen Freunde erlebten so manches Abenteuer. Gerti nahm Ricki mit aufs Feld zur Heu-, Kartoffel- und Rübenernte. Sie ritten auf dem Heuwagen ins Dorf. Gerti zeigte seinem neuen Freund, wie man Vadders „Bulldog“, also den Traktor vom Opa, auf dem Acker zum Steckenbleiben bringt. Sie gruben mächtig die Erde unter den riesigen Hinterrädern weg und schaufelten damit einen Berg kurz vor dem Rad. Meistens war der Traktor stärker, aber manchmal blieb der Traktor richtig stecken. Ricki und Gerti hatten ihren Spaß daran. Der Vadder musste auch lachen. Er fuhr mit dem Traktor einige Male in der Kuhle hin und her und kam schließlich wieder frei. Die Rüben schmeckten süß und Ricki nahm sich gleich einen ganzen Vorrat mit nach Hause.
Die Bäckerei am Ortseingang war ein Alles-Laden, so wie der von Frau Waas aus Lummerland. Außer Brot und Brezeln gab es Reis, Tütensuppen, Obst und Gemüse, überhaupt Lebensmittel aller Art, wie Erbsenbüchsen, Lutscher, Gummibärchen, Schulhefte, Schreibwaren und Getränke. Nur Nägel gab es hier nicht. Dafür hatte das Dorf einen eigenen Nagel-Laden. Auch für Spielwaren gab es noch ein Extra-Geschäft. Das lag auf halbem Weg zwischen Rickis und Gertis Haus. Das wichtigste hier waren die mit Autos, Schiffen oder Flugzeugen geschmückten Kartenspiele, die Ricki und Gerti alle sammelten. So fieberten sie schon immer der neuesten Ausgabe entgegen. Auf der Straße davor spielten sie Federball. Am Schleichweg zwischen Gärtnerei und Kirche gab es Brombeeren, Äpfel, Kirschen und Rhabarber.
Daneben gab es noch einen Frisörladen, wohin Ricki öfter von seiner Mutter hin geschickt wurde, damit er sich einen Faconschnitt verpassen lasse. Das heißt, alle Haare ganz kurz abschneiden auch den Pony ganz kurz. Eines Tages schnitt ihm der Frisör aus Versehen ins Ohr, weil Ricki so abstehende Ohren hatte. Da blutete er etwas. Es war nicht weiter schlimm, aber Ricki wurde dadurch so sauer auf alle Haareschneider, dass er sich fortan nicht mehr die Haare schneiden ließ. Immer länger und länger ließ er sie sich wachsen, bis er ein richtiger „Langhaariger“ wurde. Erst viele Jahre später, als er diese Geschichten für seine eigenen Kinder aufschrieb, hatte er die langen Fransen satt und ließ sich von seinen Freundinnen die Haare wieder ganz kurz schneiden.
Hasenfest und Rummelplatz
Ein Erdbeerfeld lag auf der einen Seite von Rickis Haus, ein Kornfeld auf der anderen. Hierin bauten Ricki und Gerti ihr Geheimversteck. Mitten im Weizen trampelten sie auf einer runden Fläche die Ähren nieder. Dazu legten sie schmale Zugänge durch das hohe Korn an, die niemand entdecken konnte. Dort trafen sie sich mit ihren Freunden Norbert, Martina, Ingeborg und Rudi, um Geheimsitzungen abzuhalten. Sie besprachen dabei alles Mögliche, vor allem wer Little Joe bei Bonanza spielen durfte, Norbert oder Gerti. Meist gewann Gerti.
Eines Tages rief Gerti aufgeregt von unten hinauf, während Ricki noch in seinem Zimmer saß und Hausaufgaben machte: „Komm jetzt endlich, es ist Hasenfest“. Ricki konnte sich nicht vorstellen, was ein Hasenfest sein sollte, aber als er einmal dort war, wurde es ihm schnell klar. Auf der Wiese hinter Rickis Haus, dort wo Ricki und Gerti mit all ihren Freunden, Rudi, Thomas, Norbert, Martina, Ingeborg und Claudia sonst allein waren, war ein großes Bierzelt aufgebaut worden. Darin zeigten und handelten die Leute der Umgebung ihre Hasen. Dahinter saßen sie auf „Garniduren“, das ist Bierzeltmobiliar, also klappbare Tische und Sitzbänke und schwatzten. Ricki und Gerti tranken zum ersten Mal in ihrem Leben Bier. Sie wurden ganz albern und lachten in einem fort. Die Hasen waren so süß. Es gab eine Lotterie, eine Schießbude und Zuckerwatte und viele andere Süßigkeiten.
Auf der anderen Seite des Dorfes war heute auch was los. Auf dem Messplatz war ein Rummel. Das war wie Hasenfest, nur ohne Hasen, dafür mit Kettenkarussell, Schiffschaukeln und Boxautos. Dazu gab es laute Schlagermusik. „Mändozino, Mändozino“, dröhnte es aus den Lautsprecherboxen. Gerti erklärte Ricki, dass Cola und Fanta zusammengemischt „kalter Kaffee“ oder auch „Spezi“ heißt. Sie schaukelten wild auf der Schiffschaukel, bis sie sich fast überschlugen.
Auf dem Rückweg beobachtete Ricki die Schwalben. Sie wohnten in lustigen, aus Zweigen und Schwalbenschleim gemachten Schwalbennestern, die unterhalb der Dachrinnen an den Häusern klebten. Die kleinen Schwälbchen piepsten so laut, dass es jeder hören konnte. Die Eltern-Schwalben flogen als wahre Flugkünstler durch die Lüfte zwischen den Häusern des kleinen Dorfes.
Überschwemmung im Hinterhof
Der Hof hinter Gertis Haus war nicht betoniert oder sonst irgendwie befestigt, die nackte Erde war einfach nur fest getrampelt. So war sie hart und glatt. Hier hängte Gertis Mutter immer die Wäsche auf. Aber es war natürlich auch ein prima Spielplatz. Von der Scheune aus gelangte man direkt hierhin. Dahinter war der Garten. Es stand auch noch allerlei Gerümpel hier herum und in der Mitte gab es eine Handpumpe. Sie war wohl vom Vadder des Vadders damals zur Bewässerung des Gartens angelegt worden. Bei so einer Gartenpumpe wird ein langes Rohr tief in die Erde eingegraben und oben dran ist die Pumpe mit einem Pumphebel und einem Wasserstutzen ins Freie. So kann man Grundwasser an die Oberfläche pumpen.
Klar, dass Ricki diese Pumpe gleich ausprobierte. Sie ging ganz leicht, machte ein lustiges, krächzendes Geräusch, aber Wasser kam leider keines heraus. „Sie geht wohl gar nicht mehr“, lachte Ricki. „Aber klar doch“, antwortete Gerti, „Man muss sie nur erst in Schwung bringen!“ Und wie das ging, das zeigte Gerti natürlich sofort. Gerti konnte wirklich alles, sicher auch eine kaputte Gartenpumpe reparieren. Nach Gertis Anleitung pumpte Ricki mit aller Kraft, während Gerti oben in die Pumpe Wasser hinein