Schülerdämmerung. Lan Solo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lan Solo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847632139
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der Beruf des Lehrers noch ein hohes Ansehen. Lehrer waren die Gralshüter der Kultur. Man konnte einem nervenden Schüler auch mal zum spontanen Frustrationsabbau eins auf die Nase hauen oder ihn an den Ohren durch das Klassenzimmer schleifen, ob nun pädagogisch gerechtfertigt oder nicht. Jedenfalls zog es keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich.

      Aber selbst das ist inzwischen verboten.

      Ade, glorreiches Zeitalter!

      Heute ist die herrschende Auffassung, dass Lehrer menschenähnliche Wesen sind, die sich vor der wirklichen Welt drücken. Lebensuntaugliche Versager. In der eigenen Biographie gibt es nur Schule, danach Uni und dann wieder zurück zur Schule. Kann ja nichts Vernünftiges bei herauskommen!

      Zugegeben, viele meiner Kollegen sollte man tatsächlich unter Artenschutz stellen. Einige Exemplare wirst Du noch näher kennen lernen.

      Und was ist mit den Schülern?

      Um es auf den Punkt zu bringen: Schüler sind das Hauptübel meiner Pein!

      Ohne Schüler wäre Schule echt besser, glaub es mir!

      Hast Du auch mitbekommen, dass zurzeit deutsche Unternehmen die Abschaffung der ´Präsenzkultur´ diskutieren? Das heißt, es gäbe keine Anwesenheitspflichten mehr im Büro und würde keine Rolle spielen, wo die Leistung erbracht wird.

      Ich finde, das könnte meine Bezirksregierung 1:1 auf das Klassenzimmer übertragen. Ob die Schüler nun in der Schule nichts tun oder zu Hause, kommt doch auf das Gleiche hinaus.

      Mit dieser ´Schule der Zukunft´ katapultieren wir uns im europäischen Vergleich ganz nach vorne und zeigen PISA, wo der Hammer hängt!

      Im Übrigen haben führende Wissenschaftler herausgefunden, dass die intelligente Form des Schülertypus in Deutschland schon vor Jahren ausgestorben ist. Und dieses Aussterben bedrohter Menschenarten ist, wie so oft in der Natur, unumgänglich. Was bleibt, sind die total Bekloppten. Die bleiben aus mir unerfindlichen Gründen von der Selbstdezimierung verschont. Als wenn das Doofheits-Gen einen stärkeren Überlebenswillen in sich trägt.

      Wer ernsthaft glaubt, mit der ´Generation Doof´ sei der Zenit des intellektuellen Vakuums erreicht, der irrt sich gewaltig. Seit Jahren sinkt wieder der durchschnittliche Intelligenzquotient in Deutschland. Meine Schüler sind der lebende Beweis für diese rasante Talfahrt, denn bei den meisten liegt der individuelle IQ bei einer halben Scheibe Knäckebrot!

      Und dann lese ich zu allem Überdruss noch diesen Quark mit Soße einer Professorin über die so genannte ´Generation Y´. Das sind angeblich die Jahrgänge 1980 bis 1993. Diese Generation sei ja so waaahnsinnig technikaffin, so waaahnsinnig selbstbewusst und so waaahnsinnig virtuell vernetzt. Und das sei ja alles so waaahnsinnig super. Außerdem strebe diese Generation nach dem Ausgleich von Freizeit und Arbeit. Das nennt man in einschlägigen Fachkreisen ´work-life-balance´.

      Ist ja waaaaahnsinnig!

      Entschuldigung, aber reden wir von denselben Jahrgängen, die ich in den letzten Jahren auch zwangsbeschulen musste?

      Dem falsch verstandenen Selbstbewusstsein dieser Generation habe ich es zu verdanken, dass sie dummdreist gute Noten für nicht erbrachte Leistungen fordern.

      Ihre Affinität zur Technik macht sich darin bemerkbar, dass sie jeden Tag etwas blöder werden, weil sie entweder bei Ballerspielen am Computer herumlungern oder in einem der zahlreichen sozialen Netzwerke chatten und Fotos ins Netz einstellen, auf denen sie halb nackt und voll besoffen mit einem Eimer Sangria im Arm auf Mallorca herumgrölen.

      Außerdem fummeln diese Nervensägen ständig technikaffin an ihren Handys, sobald sie das Klassenzimmer verlassen haben. Man muss immer und überall erreichbar sein. Könnte ja sein, dass Mami den 17-Jährigen anruft, um zu fragen, ob er zum Mittagessen lieber Nudeln oder Pasta haben möchte.

      Und apropos ´work-life-balance´: Welcher Idiot hat sich eigentlich diesen Begriff einfallen lassen? Heißt Balance von Arbeit und Leben, dass ich nicht lebe, wenn ich arbeiten muss? Dann wäre ich aber Zweidrittel meines Lebens tot, oder?

      Sowieso steht bei meinen Schülern die ´life-balance´ im Vordergrund. Nicht leben, um zu arbeiten, sondern gerade so viel Arbeit, wie man zum Leben braucht. Zu dieser Erkenntnis reicht auch der IQ einer halben Scheibe Knäckebrot.

      Eine waaahnsinnig vorbildliche ´Generation Y´, Frau Professor Meskalin!

      Die ´Generation Y´ und deren Nachkommen sind es jedenfalls, die mich dazu bewogen haben, auf einer der nächsten Konferenzen an meiner Schule einen jährlichen Projekttag zu beantragen:

      Herzlich Willkommen beim ´D-Day´!

      Dieser historisch belegte Begriff bekommt bei mir eine neue Bedeutung, denn ich proklamiere ihn heimlich als den ´Tag der Deppen´.

      An diesem Projekttag können wir tolle Workshops veranstalten, zum Beispiel für die Jungs ´Gegenseitiges Angrunzen für Anfänger´ oder ´Gegenseitiges Angrunzen für Fortgeschrittene´. Für die Mädels gibt es dann ´Wie lackiere ich meine Fußnägel im Unterricht, ohne dass der Lehrer etwas merkt? ´ oder ´Wie rum trage ich einen String eigentlich richtig? ´. Letzterer Workshop ist ausdrücklich für alle Haarfarben offen.

      Wenn wir allen Ernstes den Schüler von heute als blöd bezeichnen, wird ihm das einfach nicht gerecht, denn das ist schwer untertrieben.

      Viele Schüler sind schlicht und ergreifend extrem beknackt, und zwar ´super size´.

      Sobald ich morgens den Klassenraum betrete und die Schüler mit ´guten Morgen, ihr Primaten´ begrüße, halten sie dies für ein süßes Kosewort.

      Als ich neulich auf meinem sechswöchigen Sommerurlaub in der Südsee – auch Lehrer brauchen ihre Auszeiten – nach meinem Beruf gefragt wurde, habe ich ´Primatologe´ angegeben und bewundernde Blicke von den Miturlaubern geerntet.

      Das ist nicht zu verwechseln mit dem Proktologen. Der macht was ganz anderes.

      Nicht, dass Du denkst, es ginge mir einzig und allein um die Schüler. Da sind ja auch noch die Eltern, die einem mächtig auf den Zeiger gehen können. Und zu allem Übel noch andere bizarre Gestalten, die ich im weitesten Sinne als Kollegen bezeichne.

      All das lastet so sehr auf mir wie eine All-Season-Depression. Es wird allmählich Zeit, den Ballast über Bord zu werfen.

      Natürlich werde ich in unseren Sitzungen verallgemeinern und alle über einen Kamm scheren, wenn ich vom Leder ziehe. Mach ich bei der Notengebung doch auch so.

      Das Leben ist eben kein Ponyhof! Das hat schon mein Reitlehrer damals gesagt, als ich mit fünf Jahren therapeutisches Reiten machen musste, weil ich ständig meinen Kopf gegen den Türrahmen gerammt habe.

      Und Schule ist auch kein Wunschkonzert!

      Zugegeben, manchmal gibt es auch nette Schüler, Eltern und Kollegen. Aber wie sagt man so schön:

      „Die kann ich an einer Hand mit zehn Fingern ablesen.“

      War das positiv genug? Ich will ja nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen.

      Sich alles von der Seele reden tut wirklich gut!

      Kapitel 3

       Der Wahnsinn geht weiter

      Nachdem die Junglehrer in ihre Klassenzimmer gehetzt waren, machte ich mich gemächlich auf den Weg. Jetzt stand erst einmal eine Doppelstunde BWL in der Klasse HO 4711, Höhere Handelsschule, an.

      In die Höhere Handelsschule, die wir auch kurz HaHa, pardon HöHa, nennen, kommen Schüler mit mittlerer Reife. Heute heißt mittlere Reife übrigens Fachoberschulreife. Meint zwar dasselbe, aber so ein Begriffsupgrading hat schon seine Bedeutung. Und wenn sie darin besteht, dass man mit dem neuen Begriff nichts mehr anfangen kann.

      Mittlere Reife hat doch was, das ist griffig. Da bekommt