Reiseleben. Christiane Krambeck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christiane Krambeck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738023183
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die Schlafsäcke, werden schon bei Sonnenaufgang von der Stille ringsum wieder wach ohne aufzustehen.

      Mir geht die Treibholzwurzel durch den Sinn, die ich vorgestern gefunden habe. Emil hatte recht. Das zwei Meter lange Teil war zu sperrig, um es mitzunehmen. Auch wenn das glatt gebleichte Holz faszinierend war. Von einem kleinen Stubben gingen zwei Wurzeläste aus, die sich am Ende zu einem Knoten verschlangen. Tapfer mussten sie sich und damit den kleinen Baum, zu dem sie mal gehört hatten, einst im Felsgelände festgekrallt haben. Wenn sich nur Emils Laune wieder besserte.

      Als ich mich nahe an die Wärme seines Schlafsacks schiebe und an ihn schmiege, gibt er vor noch zu schlafen. Das fehlte ihm gerade noch, eine mitleidige Seele, statt eines wirklich patenten Kumpel, der ein Päckchen Zigaretten in Reserve gehabt hätte! Was soll er mit einer Frau, die ihn ständig nur verwegene Ideen ausbaden lässt! Meine nichtsnutzig sanfte Bedrängung wird ihm zuviel. Dass dieses Weib wirklich immer erst Klartext braucht! Aufbrausend bricht alles aus ihm hervor.

      Ich greife mir meine Sachen und stürme fort. So weit weg, wie ich gerne laufen würde, komme ich nicht. Dazu ist die Insel zu winzig. Wenn es nur eine Strasse gäbe. Aber dann hätte er auch Zigaretten kaufen können oder sie gar nicht erst verbrannt. Grollend trete ich einen Stein ins Wasser, was wenig hilft gegen das wirre Zeug, das mir ungebeten durch den Kopf schießt, und gegen den Klumpen auch nicht, zu dem sich mein Magen zusammenzieht. Was soll das Ganze, wenn er mich nicht will, wie ich bin? Wenn es jetzt eine Strasse gäbe, fühle ich in plötzlicher Erbitterung, würde ich weglaufen, wäre unsere Ehe am Ende, noch ehe sie richtig begonnen hat.

      Was mache ich bloß? Das nächst liegende natürlich, dasselbe wie jeden Morgen. Wasser für meinen Tee und seinen Kaffee aufsetzen. Auch wenn er demonstrativ kaltes Wasser aus dem See trinkt, während ich mich mit meinem Becher Tee ans andere Ende der Insel verziehe. Einpacken, das Kanu beladen. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen zusammen weiter. Mehr als ein Kanu ist nicht da. Das Gepäck im Boot zwischen uns wird zum Gletscher, eine Eiszeit trennt uns, während wir im Südosten des Sees nach dem Abfluss suchen, der uns weiter zum Eagle Lake und zurück in die Zivilisation bringen soll.

      Der Fluss ist schnell gefunden. Er strömt zwischen fassgroßen Felsblöcken durch und knapp über kleinere hinweg, über eine Länge von einem halben Fußballfeld abwärts bis zur nächsten, seeartigen Bucht. Die steinigen Stromschnellen sind unpassierbar. Übers Bachbett sind zudem verkohlte Fichten gekippt und liegen da nun flach nebeneinander, hingeworfen wie Leitersprossen. Beiderseits des Flusses erstreckt sich ein unpassierbarer Verhau aus toten Baumstämmen.

      Wortlos ziehen wir das Kanu ans Ufer. Emil kramt den Rest vom Abendessen und geräucherte Austern aus dem Küchenrucksack, teilt ohne etwas zu sagen mit mir und misst den Fluss. Ich sehe ihm an, dass Umkehren nicht in Frage kommt. Aber wie soll das gehen? Unser Händel von eben hat auf einmal keinen Platz mehr und Diskussionen auch nicht. Das hier wird wirklich ernst.

      Emil schultert den Armeerucksack, packt den blauen obenauf, lässt die Angeln und alles andere flach im Boot liegen und beginnt es zum Fluss zu ziehen, ohne es umzudrehen. Ich fasse mit an. Zusammen schieben und heben wir das Kanu auf die ersten Stämme im Bachbett. Wir balancieren über trockene Steine, wo die fehlen, rutschen wir vorsichtig auf algenschleimigen Blöcken längs, suchen an den umgestürzten Fichten Halt gegen das reißende Wasser, klammern uns an Stämme, turnen darüber hinweg und darunter hindurch. Nur keinen Knöchel verstauchen! Das Kanu lässt sich so tatsächlich Elle um Elle flussabwärts bewegen.

      Als wir die Bucht unterhalb erreichen, erweist sie sich als ein teichartiger Kolk, in dem das Wasser eine Pause einlegt, und hinter dem gleich die nächste Gefällestrecke beginnt. Wieder fünfzig Meter über glitschige Blöcke und umgestürzte Fichten bis zum nächsten Becken. Was mag dahinter kommen? Sicher ist nur eins. Bleiben können wir hier nicht und zurück auch nicht mehr. "Und wenn es die nächsten zehn Kilometer bis zum Eagle Lake so weiter geht?" Emil zuckt die Schulter. "Soviel Gefälle gibt es bis dahin gar nicht." Die Frage, ob unsere Kräfte reichen werden, bleibt unausgesprochen. Mechanisch placken wir uns weiter. Meter um Meter rückt das Ehegewitter vom Morgen in immer belanglosere Ferne und der zweite Kolk näher. Dahinter finden wir endlich einen Pfad, über den sich Kanu und Gepäck in gewohnter Weise über eine letzte Stufe im Gelände tragen lassen. Dahinter öffnet sich ein weites, baumlos morastiges Tal.

      Nie zuvor waren wir so dankbar für ruhiges Wasser unterm Kiel, gleiten zwischen Seerosen an wildem Reis vorbei. Der Fluss verengt sich und beginnt zu mäandrieren. Vor dem Kanu taucht eine rotgeränderte Schildkröte mit gelb gestreiftem Hals in das moorige Wasser. Der Fluss passt zu seinem verwunschenen Namen, finde ich, lese ihn vor und beginne leise vor mich hin zu summen. "Piskegomang. Piskegomang." Zärtlich klingt das, und ich meine es auch so, werfe einen Blick über die Schulter, Emil lächelt seinem Sumpfhuhn zu.

      Auf den Hügeln, die das Tal zu beiden Seiten begleiten, sind noch Spuren des Waldbrandes zu erkennen. Aber schon nach der nächsten Biegung nähert sich lebendiger Wald dem Fluss, der sich zu einem kleinen See weitet. Eine Insel lädt zur Mittagspause ein. Zwei ordentliche Hechte gehen an die Angel und ein kämpferischer, großmäuliger Barsch auch.

      Im Abendlicht erreichen wir den ersten Ausläufer des Eagle Lake. Bald liegt unser Kanu in einem Binsenhafen, geschützt von einer vorgelagerten Felskuppe. Auf der wächst eine Espe und schäkert mit der Brise, die ihr durch die Blätter streichelt. Wir sitzen vor dem Zelteingang und wärmen uns an der Lagerfeuerglut. Im Topf sieden Krebse.

       Stark

      "War wohl sehr beeindruckend ihre Reise?" Die Kindergärtnerin nahm mich beiseite, zeigte mir einen Packen Zeichnungen und sagte: "Ihr Sohn malt immerzu dasselbe, seit Sie wieder da sind."

      Ich erkannte die Hummerschere sofort wieder. Es war die mächtige, die das Monster in Bonifacio der Welt entgegen gehalten hatte. So einen Methusalem von Hummer hatte auch ich vorher noch nie gesehen. Ich erzählte der Kindergärtnerin von dem Höhlenaquarium in dem kleinen Hafen am Südkap von Korsika. Nach der gleißenden Helle der senkrechten Kalkwände draußen übten die grün ausgeleuchteten Exponate eine besondere Anziehungskraft aus.

      Dass der Hummer unserem Sohn derart imponiert hatte, war uns entgangen, anders als seine Begeisterung für die Kanone, die auf einer Terrasse an der Westküste vor sich hin rostete. Das bisher so stille und anschmiegsame Kind war bei ihrem Anblick wie ausgewechselt. Die Kanone sehen, hinstürmen und hochklettern war eins. Und schon stand der kleine Kerl oben und reckte eine Hand triumphierend zur Faust hoch, die andere geballt in die Hüfte gestemmt. Gleichzeitig machte sich in dem rotbackigen Bubengesicht ein zeitlos martialisches Siegergrinsen breit.

      Da waren wir nun schon zwei Wochen unterwegs und fast um die ganze Insel gefahren. Erst an den Sandstränden der Ostküste entlang zum Südkap, dann quer durch kastanienreiche Gebirge zur wild zerklüfteten Westküste und die entlang zurück. Wir hatten Strände, Bäche und Schluchten erkundet, unter einer Genueserbrücke gezeltet, in der Nachbarschaft borstiger, halbwilder Schweine, hatten bunte Kiesel, Vogelaugenhölzer und duftenden Rosmarin gefunden und was nicht alles noch. Und unseren Jüngsten schien nur diese Kanone zu begeistern.

      Andere Mütter wären stolz gewesen auf den jungen Krieger, der da zum Vorschein kam. Mich aber ließ die Siegerpose erschauern, steckten mir doch die Ängste des Rüstungswettlaufs in den Knochen. Woher kam es, dass meinem Jungen nichts wichtiger war als wehrhaft zu sein? Fühlte er sich so klein? War es ein atavistischer Drang, der ihn zu der Drohgebärde trieb? Nach unserer Rückkehr warf ich eines Abends ein paar Zeilen auf ein Blatt:

      "Mein Kleiner liebt Kanonen,

      wär´ so gern stärker.

      Bleibt ihm Zeit zu lernen,

      dass er stark genug ist?

      Wenn´s die Großen nicht tun?"

      Heute weiß ich, dass uns ein paar Monate danach, am 26. September 1983, nur der kühle Kopf von Oberst Petrow vor einem Atomkrieg in Europa bewahrt hat.

      Damals blätterte ich weiter durch den Stapel Zeichnungen, den die Kindergärtnerin mir in die Hand drückte. "Sieht aus, als hätte er sich die dicke Zange ausgeliehen, um sich besser behaupten