Keine Mandarinen für Lucy. Chrissi Winterfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Chrissi Winterfeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847652519
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lange Spaziergänge. Schlafprobleme hatte ich überhaupt nicht. Manchmal wachte ich allerdings in der Nacht auf und konnte erst wieder einschlafen, wenn ich mir Rosenkohl mit Muskat gekocht hatte. Und ich war völlig verrückt nach kaltem Gurkensalatdressing auf frisch gekochten, heißen Kartoffeln! Ich genoss Wannenbäder, Sonnenbäder und meine Lese-Arien im Garten. Im Handarbeitsladen kaufte ich mir Wolle und strickte eine Babydecke. Aus zarten, weißen Stoff nähte ich, mit meiner Schwiegermutter zusammen, eine Bettausstattung und einen Himmel für die Wiege. Die Ränder des Stoffes verzierte ich mit rosa und hellblauen Bändern aus Satin, da wir nicht wussten, ob es ein Junge oder Mädchen wird.

      Mit großer Freude richtete ich im Sommer das gesamte Kinderzimmer ein. Ich nahm immer wieder die winzigen Strampelanzüge in die Hand, roch daran und legte sie über den dicken Bauch, um mir vorzustellen, wie wohl mein Baby da reinpassen würde. Das Gefühl, ein Baby im Bauch zu spüren, wie es sich regt, strampelt, dreht und tritt, war unglaublich! Jede einzelne Sekunde habe ich genossen. Wenn ich in der Badewanne lag, hatte ich mich so still wie möglich verhalten und mich nicht bewegt, bis dass Wasser ganz ruhig war. Irgendwann fing dann das Baby an, Wellen zu machen. Es war einfach zu schön! Immer wieder fand man mich im Kinderzimmer, konnte ich doch den Tag der Geburt kaum erwarten!

      Geburt

      Dann war es endlich soweit! Morgens um 4.44 Uhr platzte die Fruchtblase und damit war eines sicher: Ab heute wird mich jemand ganz besonderes zur Mutter machen und zu mir Mami sagen! Ab heute werde ich jedes Jahr einen Geburtstag ausrichten und feiern können. Ich war so aufgeregt. Was es wohl sein wird? Wie es wohl aussieht? Wie groß? Wie schwer?

      Meine Tante hat mich immer geärgert und mir gesagt, wie niedlich mein kleines Bäuchlein wäre: „Ein Baby? Da ist doch kein Baby drinnen! Ein Pfund Quark vielleicht!“ Ich war gespannt wie ein Flitzebogen! Abends um 18.54 Uhr war es dann soweit. Nach knapp 14 Stunden kam unsere Tochter Lucy zur Welt. Sie war einfach zauberhaft. Dunkle Haare, Pausbäckchen und alle Fingerchen und Zehen vorhanden. Sie wog 3380 Gramm. Und war 52 cm groß. Ich Bruchbückel hatte ein fast sieben Pfund schweres Baby zur Welt gebracht. Kein Pfund Quark!

      Die Familie platzte fast vor lauter Stolz. Für die Schwiegereltern war es schon das vierte Enkelkind. Für sie war es trotzdem ein Wunder. Denn die kleine Maus war immerhin das Kind von ihrem Sorgenkind, ihrem Sohn, der so krank war. Meine Eltern hingegen waren zum ersten Mal Großeltern geworden. Heute, wo ich selber schon Omi bin, kann ich verstehen, was meine Mutter mir nach der Geburt der kleinen Lucy sagte: „Das erste Enkelkind wird immer etwas ganz Besonderes sein!“

      Die Familie freute sich! Alle Omas und Opas, die zahlreichen Tanten und Onkel, meine Brüder, die Geschwister meines Mannes, alle anderen Verwandten, alle Freunde, Bekannten und Nachbarn. Die kleine Lucy war willkommen!

      Und dann kam es ganz dicke!

      Der erste Schock kam noch im Krankenhaus! Man sagte mir nach einer elendigen, fünfstündigen Untersuchung, dass meine Kleine ein Nebengeräusch, ein Rauschen, am Herzen hatte, dass da einfach nicht hingehörte. Eine weitere Untersuchung in Form von Ultraschall ergab, dass Lucy ein Loch in der Herzscheidewand hatte. Dieses Loch schließt sich eigentlich während bzw. kurz nach der Geburt von allein. Das tat es aber nicht. So wurde mir mitgeteilt, dass die kleine Lucy öfter zur Kontrolle erscheinen müsse als andere Babys und ich bei einem Anzeichen von Bläue sofort einen Notarzt rufen müsse, da man sie dann wohl sofort operieren müßte.

      So kam es, dass ich eigentlich fast nur der Wiege anzutreffen war. Beim ersten Mucks der Lütten stand ich schon dort und schaute nach, ob mit ihr alles in Ordnung war. Ich sah nach blauen Veränderungen an Fuß- und Fingernägeln, auf die Lippen, die Nasenfalte und horchte nach ihrem Atem.

      Durch meine übermäßige Vorsorge hatte ich allerdings einen ziemlich „verwöhnten“ Säugling. Mein ewiges „nach - dem - Kind - Geschaue“ hatte den Nachteil, dass die Kleine mich auch immer beim ersten Piep, der über ihre Lippen kam, erwartete. Und wehe, wenn nicht! Dann brüllte sie, dass die Wände wackelten. Das Stillen spielte sich im Anschluss meist folgend ab: Baby ran an die Brust, bisschen trinken, dann bei Mama selig einschlafen. Eine dreiviertel Stunde später war das Kind dann wieder hungrig und musste erneut ein bisschen trinken. So ging es wochenlang. Ich war völlig erledigt, platt und unausgeschlafen. Vor lauter Angst um das Kind bemerkte ich das aber nicht. Diese Furcht, sie könnte nicht mehr da sein, raubte mir fast den Verstand. Denn, wenn sie weinte, sah ihre Haut ja nicht normal aus. War das nun rot vor Wut oder blau vom Loch im Herzen? So versklavte ich mich an der Wiege und sah schlechter aus als es dem Kinde letztendlich ging.

      Nach zweieinhalb Monaten kam endlich die erlösende Auskunft vom Doktor: Das Loch in der Herzscheidewand hatte sich geschlossen. Es war keine Operation notwendig. Okay, Gott - sei - Dank keine Operation! Aber es war dringend ein Umdenken in meinem Fütterverhalten nötig! Das hatte Lucy natürlich überhaupt nicht eingesehen und sie „drangsalierte“ mich weiterhin. Beim ersten Laut hatte ich da zu sein, ansonsten schrie sie aus Leibeskräften. Ich brachte es einfach nicht über mein Herz, sie brüllen zu lassen. So legte ich sie an, sie trank ein wenig und schlief wieder ein. Und keine Stunde später war sie wieder dran. Ich hatte einfach keinen normalen Rhythmus hin bekommen. Diesen wundervollen vier Stunden Rhythmus, von dem alle sprachen. Schließlich war es doch meine Schuld, dass sie noch nicht satt war. Also hatten wir einen anderen Zeitplan als andere Familien.

      Ausgelaugt...

      Mein Mann wurde immer gestresster. Ich war fertig. Fix und fertig! Die ersten vier Monate hatte ich meine Tochter Lucy komplett gestillt. Sie wuchs und gedieh prächtig. Nur ich nicht! Ich war ein Schatten meiner Selbst und wog mittlerweile weniger als vor der Schwangerschaft. Und dass, wo ich doch eh immer so ein Bruchbückel war. Vor der Schwangerschaft wog ich 48,5 Kilo. In den neun Monaten hatte ich insgesamt 14 Kilo zugenommen. Drei Tage vor der Entbindung hatte ich ein Kampfgewicht von sage und schreibe 62,8 Kilo! Meine jetzigen 47 Kilo ließen mich schwächeln. Auch der Haushalt versank im Chaos. Und die Kleine entwickelte sich fantastisch. Sie war rund und gesund, hatte viele wache Phasen, grinste vor sich hin und war mein ganzer Stolz. Sie fing an zu „erzählen“, machte ihre putzigen Geräusche und war sehr quirlig. Ihre munteren Äuglein sahen einfach alles und jeder Gegenstand erregte auch ihren Wunsch nach Bewegung. Sie fing an zu greifen, drehte sich auf die Seite und war irgendwie immer furchtbar beschäftigt. Bis sie Hunger hatte!

      Haushalts - Wahnsinn

      Eines Tages war mein Mann so genervt vom Zustand der Wohnung, das wir Streit bekamen. Das Schlimme war, dass er Recht hatte. Lucy hatte gerade vor einer knappen halben Stunde getrunken und quengelte wieder, weil sich der Hunger leicht bemerkbar machte. Wieder musste ich meinen Abwasch ruhen lassen. Es war seit Tagen nicht gesaugt, Betten schüttelte ich nur noch auf, in den Staub von Ablagen und Regalen konnte man Schimpfworte schreiben und dann die Wäsche! Die Wäsche! Maschinenweise stapelte sich Dreckwäsche und saubere Wäsche, die ich noch zusammen legen und weg packen musste. Gebügelt hatte ich schon seit einer Ewigkeit nicht. In der Küche stand überall Abwasch herum, doch ich war nur mit dem Kind beschäftigt. Und wieder brüllte Lucy. Hunger! Durch den selbst verursachten Stress blieb langsam aber sicher die Milch weg und ich war mir sicher, dass das häufige Anlegen für den Milchfluss gut wäre. Ein Teufelskreis, in dem ich mich drehte und immer tiefer rutschte.

      Reingelegt!

      Bis zu dem Tag, an dem mein Mann ausrastete. Er war immer ruhig geblieben, ist morgens ganz früh zur Arbeit und kam abends spät und müde nach Haus. Oftmals hat er sich sein Essen selber warm gemacht oder sich einfach nur ein paar Brote geschmiert.

      „Mach du man erst die Lüdde!“, sagte er dann. Wochenlang hat er sich das angeschaut. Als dann die erlösende Nachricht vom Doktor kam, fragte er manchmal vorsichtig nach, ob man eventuell etwas am Essverhalten ändern könnte. Aber wenn die