Neon. Jo Danieli. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Danieli
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738098310
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hätte ich eines Tages gleiches getan, hätte ich mich nicht der Öffentlichkeit entzogen.

      »Brach« mailte mir, nur weiter so sollte ich machen mit meiner Öffnung. Nicht wenigen Bürgern dieses Zeitalters erginge es meinesgleich. Nur seien jene rhetorisch nicht begabt oder nicht mutig genug, ihren rechtlichen Grimm zu befürworten, ganz zu schweigen davon, sich rechtens örtlich zu revanchieren. Die Rücksichtslosen bedurften der Strafe, philosophierte Brach. Und hinter seinem Netzkürzel erträumte ich mir einen weisen, alten Mann. Das überlappt perfekt, ... und gezählte Präpotenten dieser Welt rücken niemals seitlich. Weil sie blöde sind. Weil sie blind sind. Weil sie dreist sind. Auch im Netz trifft man immerzeiten neumals auf selbstgerechte Ratten. Sie verteidigen ihren Platz hohntrotzend leibesbreit. Die Gefahr selber zu zerplatzen wegen der notdürftigen Bitte an einen Wildfremden um Selbstverständliches, reißt weiter Löcher ins schäbige Nervenkostüm. Das nächstemal wird man einfach stoßen, treten, zischen, drängen oder zuschlagen ...

      Böse Zungen mögen behaupten, die Fassung derartig zu lockern, nur, wegen ein bisschen Gedränge in der Straßenbahn, führe Hysterie vor und psychisch mindere Belastbarkeit. Behinderung? Füllt in die Fugen, Lästerer, dass auch leichte Erregbarkeit in puncto sexueller Genussfreudigkeit eine Behinderung wäre! Wegen attraktivem Pressen einen Steifen oder respektive das Schoß­kribbeln zu bekommen, wäre also krank? Hassfühlen ist ehrlich und normal, sic!

      Primus hat meine Öffnung belobigt. Und auf dieses Lob bildet mich.

      Paul hat eines Tages simpel meine Tür bestanden. Ich bewohne im Dachge­schoß einen einzelnen Raum, dessen eine Ecke duscht, die andere besitzt eine WC-Nische, wieder eine beherbergt Kochplatte und Abwasch. Das Bett steht irgendwo. Eigentlich ist es ein ockerfarbener Diwan. Abends beziehe ich ihn blau und rufe ihn Bett. Mitten im Zimmer sitze ich, gesellig mit meinen Geräten. Keine Suite, die Besucher verträgt. Für meine Behausung bunkert der Staat keine Adresse. Angeblich wohne ich meiner Schwester bei, falls ein Kunde neuerdings gierig sein sollte. Eigentlich bin ich aber nirgends vermerkt. Gut so. Also hielt ich den Dünni Paul für einen irritierten Junkie oder einen Verseuchten, der körper­lich versagt hatte und vor meine Dachbodentür abgetrieben war. Ich ergrün­dete sonst nichts, warum ein wildfremdes, schwindsüchtiges Bürschchen mein Heim suchen sollte. Kunden erzielten mich nur über das Netz. Den Kerl hatte ich nicht vorhergesehen.

      »Brach verschickt mich.«

      Schütteres, fahles Strähnenhaar befiel ihm die Augen. Vom ersten Blick an merkte ich, dass seine Haare unstimmig waren. Unerklärlich, welcherart. Der Bursche bedrängte mich ungünstig. Groß war er und wirklich sehr, sehr dünn. Im Zeitalter, da alle fettig waren! Er bewegte sich seltsam unsicher. Das verstieß mich. Denn ich hasse kranke Leute, die Bemitleiden erzwingen. Jemand, den Mayonnaisemultis minimal rührten, bestand meine Tür! Pervers, fast, so, als sei Alfred mir nichts dir nichts wegen einer Vierzigerplatte retourniert. Der Bursche trug eine Art Pyjama. Weiß und hellblau gestreift, wie sie die Eheidioten in urigen Doris-Day-Filmen transportieren.

      »Hab’ nichts bestellt,« keifte ich vor, der Newsgroup verpflichtet. Rülpste genial in die gelbliche Visage des Bübchens. Würde er schneller verschwinden, wenn ich ihn grauste. Mein Bildschirm schrie nach mir ... es umging, mit einem User in Idaho auszudiskutieren, ob es schamhaft sei, dass ich so sehr naturgemäß Instinkt lagere, dass ich vielmals simpel animalisch reagiere. Ganz nach den Gesetzen olfaktorischer Reize mag ich gewisse Häute einfach nicht riechen, auch wenn ich das jedenfalls selber mangelweiß. Der Inputnic in Idaho verstörte mich nach dem Hirnmuster phantasiesteifer, fanatischer Katholiken, verdammenswert ... und da platzte ein dürrer, blasser Jüngling mit hellgrünen Augen, dessen Haare unstimmig auffielen, mitten in mein Streitmailing! Gerade als ich dabei war, den Katholiken endgültig zu begründen, verstörte der Wildfremde! Mich befiel, dass er Brach erwähnt hatte. Und Brach war tätlich ein Mailbruder. Trotzig wollte ich die Tür erschlagen. Es war, als hätte jemand meinen moderwarmen Eingeweiden eisigen Wind eingeblasen. Mich aufzuscheuchen verbrach.

      »Moment noch,« piepste Paul, von dem ich natürlich noch nicht wusste, dass es Paul war und auch nicht, wer. Mein Blick musste ihn erreichen. Mich befiel, dass mein Sweater nur tangential im Kordelgürtel der Trainingshose steckte, dass also mein Bauchfleisch auskühlte. Der Jüngling ließ die Arme baumeln. Hungrigmüde.

      »Morgen ist es soweit. Dann werde ich mich auch verbessert haben. Wenn ich abends retournieren dürfte? Unterkunft ist in Not.«

      Er solle sich zum Teufel scheren, schnaubte ich, ... Unterkunft inNot, ... war er besoffen? Zugespritzt? Blöde? Was ging es mich an, wo der Kerl wohnte? Betrieb ich etwa ein Obdachlosenasyl? Die Leute gestatteten sich enorm.

      Später mailte ich an Brach, jemand hätte sich ihm erboten. Brach lachte via Netz. Behauptete, ich würde denWald von lauter Bäumen nicht sehen.

      »Geh’ scheißen«, remailte ich und belegte mit einem doppelten Multi mein Bett, die freie Hand am Joystick für Sinuswalk.

      *

      Am nächsten Morgen kühlte es weiter. Nicht wetterseits, nein, nein. Seit Jahren verachte ich, ob die Sonne den Autokarosserien Löcher schmilzt oder ob der Frost den Straßenbelag knackt, ob Regenwasser gasigen Giftmüll zu den Gemüsewurzeln spült. Es war Primus, der meine Nerven betrat.

      Wie ich unsere Freundschaft wertete, erforschte er. Was kann einem die Kumpelei mit einem Programm schon wert sein, feixte ich zurück, ... einen neuen Controller, ab und zu? Kränkelnde Plattensequenzen ausmappen? Dass hinter Primus’ Allgegenwart jemand genial tüftelte, hatte mich vormals ergriffen. Geschockt explodierte Primus’ Oberfläche auf meinem Bildschirm. Er füllte den Contact AC voll. Saugte die Farbskala aus, mutierte zu einem Schwarzweißpot­pourri. Scheißkerl, fluchte Primus, ich hätte aber auch gar nichts begriffen. Mich befiel eine Dusche der Unrechtmäßigkeit, und ich bedachte rücklings den Tag, als einer meiner immerzeiten ersehnten Lederstiefel im Schlamm versteckt geblieben war und ich nicht erwog, ihn im Ansehen meiner Freunde an die Luft zu setzen, weil ich gegen ihr Verlachen wegen meiner Unschicklichkeit und ihre schädliche Freude so furchtsam war, ... also verwarf ich den zweiten Stiefel parallel und log hernach, die Stiefel gefielen mir gar nicht und dermaßen gründlich hätte ich sie ausgeschenkt ... Auserwählt sei ich! Primus brachte mir keine Neuigkeiten bei, verbrannte ein erdachter Blitz meine Därme, immerzeiten war ich erste Wahl für sonderbar Übles gewesen ... Dumme Geschichte, mit dem Stiefel, dass sie mich ausgerechnet momentan befiel, da Primus auf mich schimpfte, wie es frühmals meine Mutter sorgsam getrieben hatte, ... Er sei schließlich kein Programm! Den ganzen verdammten Tag lang hätte er gegen öde Viren und hirntote Internauten zu kämpfen, die Arschfliegen im Netz, dumm und simpel, aber zahlreich. Das, ja, das seien gottverfluchte, krätzige Programme und Grapscher! Und nicht genug damit! Ob ich denn nicht wüsste, welcher Dreck herumliege, welche Kreaturen auszumustern seien?

      »Ich bin ein VIP, Cecilio ...« Ob ich das immer noch nicht begriffen hätte? Dankbar sollte ich sein, mein Leben lang Rosenkränze beten.

      »... etwa wie der Idiot aus Idaho,« wagte ich frech zu werden, Primus zischte, ich sei nicht dran mit dem Mailen, ... dass ich auserwählt worden sei, ihn, Primus, den größten, zu beschützen! Und ich würfe ihn in einen Topf mit dem Abschaum der virtuellen Welt!

      Ganz ehrlich, ich missverstand. Zur Übelkeit verblüfft über die Heftigkeit seines Ausbruches entschuldigte ich mich. Idiotisch, sich bei einem Programm zu entschuldigen, jawohl, das dachte ich, während ich, voller Röteln, die Tastatur bedrückte. Aber ... na ja. Ich mangelwusste, welche Fallen sein Entwickler eingebaut haben mochte. Vielleicht war Höflichkeit subtile Barriere in einem Spiel, das ich mir an den Hals geworfen hatte.

      Natürlich musste Primus ein Programm sein. Eines wie es Viren tätlich auch sind. Gut, besser, ermöglicht, genialer ausgetüftelt, eine graphische Majestät. Wenn er wirklich ein Virenjäger war, – die Utilities meiner Virusklinik verkann­ten ihn immerzeiten. Würde ich die Virusklinik updaten müssen. Man konnte sich mit Primus menschlich unterhalten. Er schien zu denken, mein Primus und war doch nichts als ein Icon auf meinem Schirm, das erschien, wenn sein Sender kramte. Ein wahrer Könner erschöpfte ihn sicher.

      Er wisse, was ich jetzt dächte, knurrte Primus, ... ja, er knurrte,