„Wäre schon groß, die Jungs und den Titel dort zu bejubeln. Ich frag mal meinen Dad, ob er einverstanden ist, weil wir eigentlich zum Kaffeetrinken bei meiner Oma eingeladen sind und wir ja am Mittwoch nach Italien aufbrechen“, sagte ich und legte den Hörer kurz beiseite.
„Hey Papa, ist es in Ordnung, wenn ich morgen mit Andy zum Empfang der HSV-Mannschaft nach Hamburg fahre?“
„Ich will aber auch mit!“, grölte Philipp dazwischen.
„Du bist noch zu klein, außerdem musst du morgen zu Oma!“, sagte ich genervt, weil ich keine Lust hatte, Philipp mitzunehmen.
„Hey, bin ich gar nicht. Ich hau dir gleich eine rein, dann zeige ich dir, wie klein ich bin“, empörte sich mein Bruder.
„So, Ruhe jetzt! Du kannst gerne fahren, aber deinen Bruder nimmst du gefälligst mit.“
„Och, muss das sein?“, versuchte ich das Unausweichliche noch abzuwenden.
„Das ist mein letztes Wort und ihr seid dann spätestens um acht wieder zu Hause!“, sagte mein Vater keinen Widerspruch duldend.
Philipp jubelte und streckte mir demonstrativ die Zunge heraus.
„Andy, da bin ich wieder. Geht klar, allerdings haben wir meinen nervigen kleinen Bruder an der Backe.“
„Kein Problem, ich wollte eh nicht so lange bleiben. Am Montag fliege ich mit meiner Mutter für zwei Wochen nach Ibiza.“
„Kommt, dein Vater nicht mit?“
„Nö, der muss leider arbeiten. Irgendein wichtiger Geschäftsabschluss steht bevor.“
„Okay, ich verstehe! Wollen wir uns gegen zwei am Bergedorfer Bahnhof treffen?“, fragte ich wieder auf unser Ursprungsthema zurückkommend.
„Prima, lass uns das machen.“
„Ich frage meinen Kumpel Strauchi, ob er auch Lust hat.“
„Mach das, dann lerne ich meinen Namensvetter endlich mal kennen“, freute sich Andy. Wir verabschiedeten uns und ich rief gleich danach Strauchi an. Der war von der Idee restlos begeistert, obwohl wir Philipp mitnehmen mussten.
Am nächsten Tag fuhren Strauchi, Philipp und ich gemeinsam mit dem Bus zum Bergedorfer Bahnhof. Andy war schon da und begrüßte uns freudig. Er hatte drei Bier und eine Cola als Wegzehrung für die Fahrt mitgebracht.
„Und wer von euch trinkt die Cola?“, fragte mein vorlauter Bruder.
„Derjenige, der noch keine Haare am Sack hat“, konterte Strauchi lässig.
„Für meine Haare da unten brauch ich sogar ‘nen Lockenstab“, meinte Philipp aufmüpfig.
„So halt die Klappe jetzt, du kleiner Bettnässer, sonst setze ich dich in den nächsten Bus nach Hause“, gab ich Philipp unmissverständlich zu verstehen und drückte ihm, schon leicht genervt, die Cola in die Hand.
Die anderen beiden amüsierten sich köstlich über den Auftritt des kurzen Walthers. Es war schon eine witzige Begebenheit, dass nun zwei Strauchs und zwei Walthers zusammen unterwegs waren. Andy und Strauchi verstanden sich auf Anhieb und wir freuten uns gemeinsam darauf, die Mannschaft zu bejubeln und den Pokalsieg zu feiern. Wir waren nicht die einzigen aus dem Bergedorfer Raum, die zum Rathausmarkt wollten. Die S-Bahn war voll mit HSV-Fans, die munter ihre Gesänge anstimmten. Es entstand für Außenstehende tatsächlich der Eindruck, als wäre an diesem Tag ein Spiel gewesen.
Wir stiegen, wie alle anderen, am Hauptbahnhof aus und folgten einfach der Masse. Es bildete sich plötzlich ein riesiger Fantross von mehreren hundert Leuten, der gemeinsam und lautstark über die Mönckebergstraße in Richtung Rathausmarkt zog. Dort angekommen, sahen wir, dass es hier für einen Sonntagnachmittag recht voll war. Wir kämpften uns durch die umstehenden Leute, damit wir uns beim Auftritt der Mannschaft einen freien Blick auf den Balkon des Rathauses sicherten. In der Zwischenzeit besorgte ich am nächsten Kiosk eine weitere Runde Getränke. Wir warteten etwa eine Stunde, bis das Team sich der Öffentlichkeit präsentierte. Es brandete Jubel auf und Fangesänge wurden angestimmt, als Kapitän von Heesen den Pokal in die Höhe reckte.
„Ey, wie geil ist das!“, begeisterte sich Strauchi.
„Endlich wieder ein Pokal in die Hansestadt geholt“, ergänzte Andy.
„Hey, Manni Kaltz nimmt jetzt den Pokal!“, rief ich.
„Manni, Manni, Manni!“, skandierten wir.
„Maaan-freeed Kaltz, Maaan-freeed Kaltz, du bist der beste Mann!“, stimmten wir gleich im Anschluss an, weil er das entscheidende Tor erzielte.
Nun bekam der aus Mittenwald stammende Kultmasseur des HSV, Hermann Rieger, den Pokal überreicht und der Geräuschpegel stieg noch einmal merklich an. Bei keinem anderen Verein war der Masseur genauso ein gefeierter Star wie die Akteure auf dem Platz. Das waren die Besonderheiten, die für mich den HSV ausmachten. Große Tradition gepaart mit einem Stück Verrücktheit, wenn man beispielsweise an die rosafarbenen Trikots aus den Endsiebzigern dachte. Der HSV ging immer mal andere Wege als der Rest der Liga und passte eigentlich nicht in dieses schmucklose Stadion im Volkspark. Dieser Betonklotz war genauso öde wie viele der Fans zu dieser Zeit. Leider verbreitete sich in der Westkurve immer mehr rechtes Gedankengut und es gab zu viele Mitläufer, die diese Parolen einfach mitbrüllten, ohne über die Bedeutung näher nachzudenken. Sie machten pauschal die ausländischen Zuwanderer dafür verantwortlich, dass es so viele Arbeitslose in diesen Jahren in Deutschland gab. Eine etwas einfache Annahme. Diese Entwicklungen auf den Rängen, die schon in den frühen Achtzigern begannen, machten es einem andersdenkenden Jugendlichen teilweise schwer, sich als HSV-Fan zu outen. Die Anhänger des FC Sankt Pauli waren mir mit ihrer Einstellung sehr viel näher. Es ging mir aber um Fußball und nicht um ein gesellschaftspolitisches Statement. Die Liebe zu meinem Verein konnte ich ja nicht einfach so aufgeben, nur weil die Anhängerschaft pauschal für rechtsradikale Idioten gehalten wurde. Schon damals vertrat ich die Meinung, dass politische Gesinnung nichts im Fußballstadion zu suchen hatte. Deswegen kritisierte ich viele, die aus dem Grund einfach das Fanlager wechselten und fortan regelmäßig zu Spielen von Sankt Pauli gingen. Auch die damals angesagte Hamburger Punkband „Slime“ gehörte zu diesen Wendehälsen, weil den Bandmitgliedern angeblich die politische Einstellung von Teilen der HSV-Fans nicht gefallen hatte. Dabei hätten gerade sie, durch ihren Status, die Kultur auf den Rängen verändern können. Trotz dieser allgemeinen Unzufriedenheit über das Image des gewöhnlichen HSV-Anhangs ließen wir uns nicht davon abhalten, den sportlichen Erfolg des Teams gebührend zu feiern.
„Na, werden wir nächstes Jahr wieder Meister?“, fragte Philipp.
„Gute Frage, wenn der HSV noch zwei bis drei richtig gute Neuzugänge verpflichtet und einige junge Spieler gut einschlagen, ist alles möglich“, antwortete ich.
„Vor allen Dingen brauchen wir wieder einen Stürmer wie Seeler oder Hrubesch!“, sagte Strauchi.
„Und der neue Trainer sollte eine klare Spielphilosophie haben. Happel hört ja auf“, ergänzte Andy
„Lassen wir’s heute mal richtig krachen, was interessiert uns jetzt die nächste Saison? Wir sind amtierender Pokalsieger und Vizemeister!“, grölte ich voller Stolz und Freude über den Titelgewinn.
Keiner von uns wusste zu diesem Zeitpunkt, dass es der letzte Titel war, den wir HSVer bis heute feiern durften.
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