Die Schuldfrage. Astrid Rodrigues. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rodrigues
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742797926
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Doch in dem Moment war ich mir gar nicht bewusst, dass ich so feste zugeschlagen habe. Sicherlich hätte es einen Menschen bewusstlos werden lassen. Aber tot? Ich habe mit meinen eigenen Händen einem Menschen den Schädel eingeschlagen. Es hat sich angehört, als wenn jemand einen Gong schlägt. Nur das Geräusch der Bratpfanne war zu hören gewesen. Mir fiel mein Kottelet wieder ein. Ich hatte ja noch gar nichts gegessen.

      „Habt ihr Hunger?“ Die beiden nicken einstimmig. „Dann mach ich uns schnell ein paar Rühreier.“ Ich krame im Schrank nach meiner Pfanne.

      „Mama, suchst du was?“ Klaus springt mir helfend zur Seite. „Ja, ich such meine Bratpfanne.“

      „Na, die hat jetzt wohl die Polizei. Nimm eine andere.“

      Ines deckt den Tisch und wenige Minuten später sitzen wir zusammen und essen. Es ist noch ungewohnt in der neuen Küche zu kochen. Erst vor wenigen Wochen bin ich hier eingezogen, habe das große Haus verkauft und mich fast vollständig neu eingerichtet.

      „Okay. Nun müssen wir aber ernsthaft überlegen, was der Erpresser meint, wenn er von einer alten Schuld spricht.“

      Klaus schiebt sich noch eine Gabel Rührei in den Mund und spricht kauend weiter.

      „Hast du denn gar keine Idee, was es sein könnte, Mama? Du hast doch eben was erzählt von einem Onkel Heini und einem Frieder. Was hat es mit den beiden auf sich?“

      „Och Klaus, das ist eine sehr lange Geschichte. Das willst du dir nicht antun und dir die anhören.“

      Lange ist es her, dass ich an diese alten Zeiten gedacht habe. An meine Eltern und all das, was damals passiert ist.

      Kapitel 2

      Gerade bin ich mit Klaus von der Kripo zurückgekommen und habe meine Aussage gemacht. Es war bei weitem nicht so spannend, wie damals bei Scottland Yard. Aber das ist eine andere Geschichte.

      Nun lässt mir keine Ruhe, was Rolf zu Michaela gesagt hat an meinem Geburtstag. Vielleicht gibt es wirklich einen Zusammenhang mit ihrem Verschwinden. Also ruf ich ihn an. Rolf ist ein wenig genervt, hatte er doch bereits einen Anruf von der Polizei.

      „Tante Hannelore, es tut mir wirklich leid. Ich habe mich so von ihr zur Weißglut treiben lassen, dass ich ihr das Gerücht von ihrem falschen Vater erzählt habe.“

      „Was? Was denn für ein Gerücht?“

      „Opa hat es meinem Vater erzählt. Es ging darum, dass dein Mann eventuell nicht Michaelas Vater ist.“

      Rolf war hörbar erleichtert, als es raus war.

      „Tante, es tut mir wirklich leid. Ich habe sie einfach nur ärgern wollen.“

      Ich hole tief Luft und stelle fest, dass ich doch einiges vergessen habe oder verdrängt.

      „Danke Rolf. Sonst hast du über nichts mit ihr gesprochen?“

      Rolf versichert mir, dass er nur aus Wut so reagiert hat. Ich kann ihn gut verstehen. Michaela hat manchmal eine Art, die kann nicht jeder gut vertragen.

      Klaus hat das Gespräch belauscht und besteht nun darauf, dass ich ihm alles aus meiner Vergangenheit erzähle.

      „Oh Mann, Klaus.“, bettele ich. „Wo soll ich denn da anfangen. Bei der Henne oder bei dem Ei?“

      Klaus kennt keine Gnade.

      „Fang am Anfang an.“

      Ich ziere mich und versuche ihn zu überreden, das Ganze gewaltig abzukürzen.

      „Du siehst doch selbst, dass du was vergessen hast. Fang lieber bei dem Ei an. Wenn es nicht wichtig ist, dann eben nicht.“ Er meint es ernst.

      „Aber Klaus, das dauert Stunden. Willst du etwa die ganze Zeit hier sitzen und zuhören, was ich langweiliges zu erzählen habe?“

      „Ja, will ich. Ines bleibt auch hier und wir schreiben alles auf, was vielleicht für die Befreiung von Michaela von Bedeutung ist. Sie ist unsere Schwester und das sind wir ihr schuldig.“

      Na gut. Aus der Nummer komme ich nicht mehr raus. Ich war so froh, dass die Kinder sich nie für die Vergangenheit interessiert hatten. So konnte ich sie hinter mir lassen und mein Leben leben.

      „Also gut. Ihr lasst mir keine andere Wahl. Ich bin an einem Samstag im Juni in Eiserfeld zur Welt gekommen. Mein Bruder Hermann war damals 6 und wenn ich meiner Mutter glauben darf, so hätte er lieber ein Fahrrad, als eine Schwester gehabt. Ich kann die Stimme meiner Mutter hören, wenn sie jedes Jahr an meinem Geburtstag die immer gleiche Geschichte erzählte.

      Es war Markt und es hatte den ganzen Morgen geregnet. Von den Markisen der Markstände tropfte das Wasser. Der Frühling war viel zu kalt und nass gewesen, so dass es nur wenig Obst und Gemüse gab. Die Marktstände sollten in all den Jahren die Gleichen bleiben. Neben dem Obst und Gemüsestand war der Hühnerfrieder. Er verkaufte Eier und lebende Hühner. Gegenüber war der Stand der Rosenbergs. Sie verkauften Stoffe aller Art. Daneben der Stand des Korbmachers. Er kam immer mit einem Planwagen und hatte neben Körben auch Westerwälder Tonwaren dabei. Und dann war da noch der Kesselflicker. Er bot auch Töpfe an.

      Meine Mutter war in ihr Elternhaus auf dem Marktplatz zurückgekehrt, um mich dort zur Welt zu bringen. Ihre Eltern hatten eine Bäckerei und der Lehrling sollte losgeschickt werden und die Hebamme, Lotte Bemme, holen, wenn es soweit war. Lotte hatte eine üppige Figur, war aber wieselflink. Was ihr den Namen „flotte Lotte“ einbrachte. Als es losging, war der Lehrling noch dabei Brot auszuliefern. So war die flotte Lotte erst im letzten Moment eingetroffen. Um 16.25 Uhr bin ich geboren.“

      Ich hole tief Luft.

      „Ach, Kinder, wollt ihr das wirklich alles hören?“

      Ich schenke mir ein Glas Wasser ein.

      „Mama, Klaus hat recht. Vielleicht kommen wir darauf, wer dich auf dem Kicker hat.“

      Ich überlege, wo ich war.

      „Ok. Da war ich dann also geboren. Mein Vater ist gleich am nächsten Tag losgelaufen und hat mit dem Pastor einen Termin für meine Taufe ausgemacht. Nach der Erzählung meiner Mutter ist ihr dieser Sonntag sehr gut in Erinnerung geblieben, weil Vater sich betrunken hatte. Er war nach dem Gottesdienst ins Wirtshaus am Markt eingekehrt und hatte ein Herrengedeck bestellt. Ein Eichener Pils und einen Steinhäger. Als der Wirt hörte, dass August zum zweiten Mal Vater geworden war, spendierte er ihm ein weiteres Herrengedeck, auf einem Bein kann man schließlich nicht stehen. Und da aller guten Dinge drei sind, wurde noch einmal von den Herren des Stammtisches nachgelegt. Man kannte sich eben. Meine Mutter war stinksauer und hat eine Woche nicht mit Vater gesprochen.“

      „Wie war dein Vater sonst so?“, will Ines wissen.

      „Och, August war klein, hatte einen dicken Bauch und so lange ich denken kann eine Glatze. Er war eine Knutschkugel und hat immer Maßanzüge getragen, obwohl C & A schon Anzüge von der Stange anbot, doch die konnte er nicht tragen mit seiner dicken Wampe.

      Er war Laborant und hat bei der Stadt Siegen Wasserproben untersucht.

      Als ich etwa 2 Jahre alt war wurde er arbeitslos und fand kurz darauf eine Stelle bei einem Stahlwerk in Hagen. Deswegen sind wir dann später dorthin gezogen. Meiner Mutter war das gar nicht recht, sie wollte nicht wegziehen. Sie war zu Hause das einzige Mädchen. Ihre vier Brüder himmelten sie an. Sie waren allesamt Bäcker geworden, wie mein Großvater. Er war ein herzensguter Mensch. Ihn konnte nichts aus der Ruhe bringen. Meine Großmutter hingegen war ein Drache. Sie führte die Bäckerei und einen kleinen Tante-Emma-Laden.“

      Ich nehme einen großen Schluck Wasser.

      „Obwohl wir nach Hagen gezogen sind, hat sich doch ein Großteil unseres Lebens nach wie vor in Eiserfeld abgespielt. Ich kann noch heute in Gedanken über den Marktplatz gehen und sehe alles vor mir. Der Marktplatz wurde dominiert von der Kirche und der Schule, die sich auf dem Platz genau gegenüberstanden. Vom Kirchplatz aus nach links blickend, sah man