Die Schuldfrage. Astrid Rodrigues. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rodrigues
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742797926
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keine mehr. (eine mehr).“

      Ines war sauer.

      „Das habe ich verstanden!“

      „Super! (per!)“ Ines legte erbost auf.

      Ich konnte Michaela in Gedanken vor mir sehen. Wie sie in alten Leggins und Schlabbershirt die Blondiercreme aufgetragen hatte und dann Alufolie um den Kopf wickelte um die Wirkung des chemischen Brandbeschleunigers auf ihren Haaren zu erhöhen.

      „Ist das nicht unglaublich!“, zischte Ines. „Jetzt färbt die noch ihre Haare.“

      Mich wunderte schon lange nichts mehr. Vielleicht ist es auch die Gnade des Alters, dass man manche Dinge lockerer nimmt.

      Ich hatte meinen Ehrenplatz am Kopf der langen Tafel eingenommen und harrte der Dinge, die da kommen sollten.

      So nach und nach trafen die Gäste ein.

      Klaus war mit seiner ganzen angeheirateten Verwandtschaft im VW-Bus angereist. Im Gepäck seine zwei Kinder, Mathilda-Lara und Maximilian-Torben samt Gitarre, seine Schwiegereltern und seine Frau Theodora, eingehüllt in eine knallblaue Federboa.

      Ines hatte die gesamte Sippe angeschleppt. Dazu gehören ihre Kinder aus erster Ehe, Martina und Daniel und die neu angeheiratete Verwandtschaft samt Schwager, Schwägerin, Neffen und Nichten. Nicht zu vergessen, ihr neuer Ehegatte, Clemént mit Sohn Maxím, der auf die französische Aussprache seines Namens äußersten Wert legt, da er in Frankreich geboren ist.

      Dann kamen die Kinder meines verstorbenen Bruders aus Dortmund, Rolf und Lieselotte. Außerdem eine Großcousine aus dem Siegerland mit ihrer Tochter. Die beiden waren froh, ein Zimmer im Gasthaus zum freundlichen Lamm zu haben. So mussten sie nicht mehr mit dem Auto fahren und konnten beherzt zum Alkohol greifen. Beate und Christina, Michaelas Kinder aus erster Ehe, trafen ebenfalls ein. Last but noch least erreichten auch noch meine zwei Cousinen aus dem Sauerland das Gasthaus zum tapferen Lamm. Nun waren die Gäste fast vollzählig. Bis auf Michaela und Georg.

      Ich mache keinen großen Hehl daraus, dass ich nichts Anderes erwartet hatte. Die beiden müssen immer ihren großen Auftritt haben und wenn er nur daraus besteht, als Letzter zu kommen.

      Michaela rauschte mit wasserstoffblondem Glanz auf mich zu, während Georg ihr hinterhereilte und hektisch an seinem Hinterteil zupfte.

      „Diese beschissene Hose kneift wie verrückt.“, zischte Georg.

      „Diese beschissene Hose kann gar nicht kneifen. Das war ein Schnäppchen von Boss. Jetzt krieg dich mal wieder ein.“, hauchte Michaela zurück.

      „Und ob die das kann!“, widersprach Georg gequält.

      „Ich freue mich auch, euch zu sehen.“, warf ich belustigt dazwischen. Die beiden konnten einem schon auf den Wecker gehen. „Schön, dass Ihr da seid. Greift zu und bedient euch an den Eistorten.“

      Zutiefst beleidigt sah sich Michaela im Raum um und flüsterte mir zu „Gut, dass du nicht auch noch Hartmut eingeladen hast.“ Sie verdrehte die Augen und nahm mit Georg neben ihren Kindern Platz.

      Ich muss zugeben, es hatte mich durchaus gereizt, den geschiedenen Gatten meiner Tochter einzuladen. Ich habe mich immer gut mit ihm verstanden und er ist mir bis heute lieber, als dieser Georg. Während andere Leute Münzen sammeln, sammelt Georg rote Zahlen.

      Endlich war es soweit. Die Kaffeerunde hatte sich mit Ines Torten und Kuchen vollgestopft und war bis an den Kragen mit Kaffee abgefüllt. Zeit für Maximilian-Torbens großen Auftritt. Ich applaudierte stürmisch, als er mit seiner Gitarre die kleine Bühne betrat. Er eröffnete sein Intermezzo mit der „Fahrt nach Madagaskar“.

      „…. und hatten die Pest an Bord. In den Kesseln da faulte das Wasser und täglich ging einer über Bord.“

      Ich hatte laut mitgesungen und überlegte, ob es kein böses Omen für den Abend sein konnte.

      Der picklige, 14-jährige Maximilian-Torben ließ sich unterdessen nicht von seinem Vorhaben abbringen, mir einen ganz besonderen Geburtstag zu bereiten. Maximilian-Torben gab sich die allergrößte Mühe, alle Lieder der Mundorgel wieder zu geben, die ich vielleicht kennen konnte.

      Ich beobachtete meine Gäste und kam zu dem Ergebnis, dass sie durchaus leidensfähig waren.

      „Die Affen rasen durch den Wald, der eine macht den andern kalt. Die ganze Affenbande brüllt: Wer hat die Kokosnuss …“

      Ich griff zum Papiertaschentuch und hielt es mir vor Mund und Nase. Ich konnte nicht mehr vor Lachen, die Tränen liefen mir übers Gesicht.

      Maximilian-Torben aber hatte Ausdauer, das musste man dem Jungen lassen. Was er sich einmal vorgenommen hatte, das zog er auch durch bis zum bitteren Ende. Ganz wie sein Vater.

      Und endlich kam der zart besaitete Junge mit Bürstenschnitt und dem Äußeren eines Einzelkämpfers zum Grande Finale. Endlich kam das Geburtstagslied. Maximilian-Torben forderte die Gäste auf mitzusingen und zog alle fünf Strophen des Liedes durch.

      Als die Marter durch meinen Enkel schließlich ein Ende fand, konnte keiner der Gäste schnell genug zu einem Glas Hochprozentigem kommen.

      Michaela scheute sich nicht, ihre Ellenbogen beim Kampf um den ersten Platz an der Theke einzusetzen. Georg blieb bei seinen Stieftöchtern sitzen und bot den Anblick des interessierten Stiefvaters.

      Ich arbeitete mich unterdessen durch die gesamte noch lebende Verwandtschaft und hielt Smalltalk. Natürlich gab es viel zu erzählen, wir hatten uns zum Teil seit Jahrzenten nicht mehr gesehen.

      Michaela war damit beschäftigt, was sie im Allgemeinen am besten beherrscht. Sie prahlte was das Zeug hält. Verkaufte ihren Georg als leitenden Angestellten in der Dienstleistungsbranche, dabei hatte er lediglich versucht, Versicherungen zu verkaufen. Doch offensichtlich war sie bei Rolf an den Falschen geraten. Ich bekam nur Wortfetzen von der Unterhaltung mit.

      „Ich versuche mich gerade beruflich zu verändern. Ich möchte wieder mehr in die kreative Richtung gehen und weniger kaufmännische Dinge machen.“

      Die Sache mit der kreativen Richtung hatte ich nicht ganz verstanden und sah meine Tochter fragend an. Sie wich meinem Blick aus und konzentrierte sich wieder ganz auf Cousin Rolf.

      „Und was machst du so? Bist du auch im Baugeschäft, wie dein Vater?“

      Ich musste ein paarmal schlucken. Michaela wusste ganz genau, dass die Firma pleite war. Mein Bruder war mit Pauken und Trompeten in den Konkurs geschliddert. Ich sah, wie Rolfs Geschichtsfarbe sich änderte. Er rückte ein Stück näher an Michaela heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ich weiß nicht was es war, aber Michaela war danach sichtlich nervös. Sie schickte mir böse Blicke zu und sah mich fragend an. Ich hätte sie gerne am nächsten Tag darauf angesprochen. Ich hätte gerne gewusst, um was es bei der Unterhaltung ging.

      Danach habe ich mich wieder meinen Gästen gewidmet und meiner Tochter dabei zugesehen, wie sie sich betrunken hat. Und dann war sie einfach weg. Ohne einen Gruß, ohne sich zu verabschieden. Ich hatte mir fest vorgenommen, sie am nächsten Tag zur Rede zu stellen. Sowas macht man doch nicht.

      Klaus hat mich später nach Hause gefahren. Es war so ein schöner Abend gewesen.

      Ich kann keinen Grund finden, warum man Michaela entführen sollte. Niemand, der auf der Feier war, kommt für mich in Betracht, meine Tochter entführt zu haben.

      Klaus kommt herein. Ines ist gerade dabei, die letzten Blutspuren vom Parkett aufzuwischen.

      „Na Killer Lady. Wer muss denn morgen dran glauben?“

      „Lass die Witze mein Junge, das ist auch für mich der erste Mord. Oh, ich fühle mich so schlecht. Und jetzt wissen wir nicht einmal, wer er ist.“

      Klaus wiegelt ab. „Was hat dieser Kerl auch in deiner Wohnung zu suchen? Du bist eine alte Frau. Hättest du dich überfallen lassen sollen? Du hast genau richtig gehandelt. Der Typ wäre hinterm Vorhang hervorgesprungen und hätte dir was über die Rübe gezogen. Und dann? Dann wärst du jetzt mausetot. Ne ne ne, so