Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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hat was. Parallel, letztendlich aus Vorsichtgründen, veranlasste er einen Bereitschaftswagen an die besagte Stelle zu fahren. Sein Befehl lautete: „Die Männer müssen ausnahmslos mit Maschinenpistolen ausgestattet sein.“

      Bei so vielen Leuten konnte das kleine Granitzer Polizeiaufgebot schließlich schnell überfordert

      sein, überlegte er.

      „Heller. Meurer, sie! Was gibt' s?“, sagte er freundlich in das Mikro des Mobilfunkgerätes. Der Meurer Fritz war schon lange Jahre sein Mitarbeiter und für das Umfeld Granitz zuständig. Auf dem zweiten Bildungsweg hatte er sich das Rüstzeug für diese Laufbahn erworben. Alle zollten ihm damals großen Respekt. Auch Heller war seinerzeit von seinen außergewöhnlichen Leistungen und seinem Ehrgeiz sehr beeindruckt. Als leitender Offizier, schon damals im Range eines Kriminalhauptkommissar, setzte er deshalb alle Hebel in Bewegung, dass Meurer schleunigst befördert wurde. Solche Leute, war seine Auffassung, muss man im Team halten! Nun war er immerhin Polizeihauptwachtmeister oder, wie es in der formalen Polizeisprache heißt, PHW geworden. Dabei hätte der durchaus die Fähigkeit besessen, noch den Offizier anzugehen. Aber damals spielte seine junge Frau, mit der er heute nicht mehr verheiratet ist, einfach nicht mehr mit. Sie wollte gleich ein angenehmes Leben führen und keine nutzlose Zeit mit Sparen, wie sie es ausdrückte, verschwenden. Materielles stand für sie im Vordergrund. Gott sei Dank blieb die Ehe kinderlos. Fritz Meurer hatte einige Jahre danach wieder geheiratet. Eine nette Frau übrigens, die ihn voll unterstützt, mit der auch zwei Kinder hat. Glücklich wurde er, brauchte der Ersten keine Träne nachzuweinen. „Also, wie sieht es mittlerweile bei euch aus?“, räusperte sich Heller erwartungsvoll.

      „Wir haben alles im Griff. Sechs Männer wurden festgenommen. Da haben wir nicht lange

      gefackelt. Habe sofort die Personalien überprüfen lassen“, drückte er stolz nach. Erst vor Ort sah

      KHK Heller, dass die Handlungen in der Nähe des Schlosses stattfanden. Das hatte man ihm zuvor

      nicht gemeldet.

      „Was war die Ursache?“, murmelte er, wie es oft seine Art war, in sich hinein. Während der Kollege

      auf ihn zu stolzierte, fing es gerade an zu regnen. Das war schon gar nicht sein Ding!

      „Ausgerechnet jetzt muss es sein ....“, fluchte er. Und Meurer plapperte auch gleich noch los. Er

      erklärte, was er im Grund zuvor am Mobilfunk sagte, nämlich die Festnahmen.

      „Aber Fritz, das haben sie mir alles bereits berichtet“, mahnte er.

      „Was ist mit weiteren Namen?“, das interessiert augenblicklich mehr.

      Betroffen schaute er seinen Chef an und führte aus: „Außer dem Gustavon, der sich plötzlich auffallend zurückhielt, tauchte tatsächlich noch ein Name auf.“

      „Immerhin! Aber warum lassen sie sich Würmer aus der Nase ziehen? Wie lautet der?“

      Heller war aufgrund der fortgeschrittenen Zeit ziemlich genervt. Schon wieder würde er an auch an diesem Abend für seine Kinder keine Zeit haben. Kurz danach entschuldigte er sich bei Fritz, der dafür schließlich absolut nichts konnte. Es war eben der harte Polizeialltag, der insbesondere im K III oft alles von den Kriminalen forderte. Da musste die Familie zurückstehen, zumindest des Öfteren. Das war allerdings nicht immer einfach, wie er aus eigener, leidvoller Erfahrung wusste. Seine Frau Inge war nicht nur häufig über die lange Abwesenheit enttäuscht, was er ja noch nachvollziehen konnte; viel schlimmer war für ihn, dass sie ihm nicht zu glauben schien.

      „Noll, mehr wissen wir noch nicht.“, setzte Meurer schließlich nach.

      „Ohne Vornamen?“

      „Leider ja!“

      „Zumindest bis jetzt unbekannt!“

      „Und ohne Papiere?“, mutmaßte er.

      „Ja!“, sagte Meurer knapp.

      „Nun gut, dann müssen wir eben dran bleiben.“

      Die Polizei in Granitz war seit dem frühen Abend ziemlich eingespannt und nun brach bereits die Nacht herein. Auch ein Teil dieser Polizisten hatte im Grunde längst Feierabend. Aber wie es nun mal im Außendienst läuft, ging der Fall mal wieder vor. Heller verabschiedete sich, nicht ohne den Bericht für Morgen zu erbitten. Danach rief er seine Frau an und teilte mit, dass er in etwa fünfundzwanzig Minuten zu Hause sei.

      Gerade ihm Gehen, drehte er sich erneut um und rief Meurer zu: „Also, wenn da nichts Konkretes ermittelt werden kann, haben wir schlechte Karten. Dann müssen wir die Kerle laufen lassen.“

      „Wäre schade“, hörte er nur noch aus der Ferne.

      Dienstag, 29. Juli 2008

      Ihr Magen meldete sich, der Hunger war angekommen. Michel drängte sich ganz nah an Chantal. Sie wusste warum, sagte aber keinen Ton. Gemütlich nahmen sie ihre Plätze im Freien ein. Gratis war der besonders anmutende Blick auf die vorgelagerte Insel Dänholm. Die großen Grünanlagen lagen noch im Halbschatten, da und dort konnten sie Tau auf dem wunderbar schimmernden Grün erkennen. Eine Klappbrücke aus alten Vorzeiten, trennt Dänholm vom Festland. Gestern lasen sie bereits, dass diese Brücke nur zu festgelegten Zeiten geöffnet wird. Eben ausschließlich dann, wenn große Schiffe den Weg zum Hafen passieren müssen.

      Gerade kam die Bedienung an den Tisch. „Guten Tag“, sagte sie und übergab, nach kurzer,

      höflicher Pause, die Frühstückskarte.

      „Darf ich ihnen schon etwas zu Trinken anbieten?“, ergänzte sie.

      Schnell stellte sich heraus, dass sie eine waschechte Stralsunderin ist, die seit einigen Jahren in diesem Gewerbe ihr „Glück“ versucht! Die freundliche Dame mittleren Alters, die sich nicht scheute, obwohl ausreichend Personal verfügbar schien, selbst zuzupacken, machte einen selbstbewussten Eindruck, man konnte es auch resolut nennen! Sie wählten Tee, denn der Magen von Degoth spielte seit gestern ziemlich verrückt! Irgendwie war ihm speiübel, er hatte Magenkrämpfe und auch sein Darm war unruhig! Dann entschieden sie sich für etwas Käse, eine Wurstsorte und Marmelade mit Brötchen und Knäckebrot. Dazu eine große Flasche stilles Wasser. Chantal wollte zusätzlich noch ein Frühstücksei. Aufmerksam wie die Bedienung war, stand sie umgehend an ihrem Tisch und notierte die Order. Einige Minuten später stand ihr Frühstück bereits vor ihnen. Schon wieder im Gehen rief sie etwas hinüber zu einem ihrer Kellner, in einem für sie unverständlichen Dialekt. Es musste aus der Region Mecklenburg Vorpommern stammen. Niederdeutsch eben, wie es ein Süddeutscher, geschweige denn ein Ausländer absolut nicht verstehen konnte. Das wäre so, als würde man im tiefsten Bayrischen Wald nach dem Weg fragen Jedenfalls musste es was Lustiges gewesen sein, denn beiden stieg ein Lächeln über ihr Gesicht. Derweil Chantal mit gutem Appetit zugriff, war Michel schon deutlich zurückhaltender, er wusste warum! Heute, das war ihm bewusst, war lediglich leichte Kost angesagt. Mit Chantal hier oben zu sitzen, war allerdings in dem Augenblick mehr als eine Entschädigung für ihn. Als sie ihr Frühstück, heute etwas wortkarg, beendeten, machte sich Degoth schnell auf den Weg zu einer Apotheke. Ohne Medikamente ging es einfach nicht. Erst danach fuhren sie mit ihrem Sportwagen über die alte Brücke nach Rügen. „Du weißt“, sagte er zu seiner Lieben, „auf dem Rückweg nehmen wir die neue, damit wir den anderen Blick auf Stralsund haben.“ Sie nickte lächelnd und ihr Gesichtsausdruck verriet, wie glücklich sie war mit ihm in seiner Heimat, hier oben ihm Norden Deutschlands, unterwegs zu sein.

      Gestern hatte Kriminaloberrat Scholtysek mal wieder eine Aussprache mit seiner Frau Renate. Schon mehr als zwei Jahre ging sie ihren eigenen Weg. Auf der einen Seite störte es ihn, auf der anderen war er eh meist im Dienst. Etwas stand immer im Weg, was ihn von seiner Familie fern hielt, stellte er selbstkritisch fest. Nach dem Abitur gingen die beiden Kinder zum Studium außer Haus. Die Tochter nach Berlin, wo sie Germanistik studierte und der Sohn nach Mannheim zum Studium der Wirtschaftswissenschaften. Reflektierend meinte er, dass er einen hohen Tribut zollte, es ging ihm durch den Kopf, dass er seine Kinder sehr selten sah. Sowohl in der Kindheit