Ich lernte Jonny bald selbst kennen. Er war ein lieber Kerl, der ständig Kaugummi kaute. Wie er Brigitte ansah! Es war nicht zu übersehen, wie verliebt er in sie war. Es amüsierte mich, wie sie sich verständigten, mal ein Wort in Englisch, dazu ein Wort in Deutsch und viel Zeichensprache. Damit schafften sie es tatsächlich.
Schon kurze Zeit später berichtete mir Brigitte aufgeregt: „Stell dir vor, der Vater von Jonny hat eine Lampenfabrik in Amerika.“
So, wie sie das sagte, erwartete sie Bewunderung von mir. Doch „Hoffentlich hast du ihn richtig verstanden“, sprach ich meine Zweifel aus.
„Na, hör mal!“, empörte sie sich. „Ich weiß genau, was Jonny sagen will. – Und weißt du was?“ Sie machte es spannend. „Seine Großeltern sind aus Deutschland. Darum soll er möglichst eine deutsche Frau mit nach Hause bringen.“ Bedeutungsvoll kicherte sie dabei. „Na, was sagst du?“
„Du denkst doch nicht, du könntest das sein?“
„Ja!“, frohlockte sie. „Noch hat er nur Andeutungen gemacht. Aber warum nicht?“
„Du müsstest nach Amerika gehen.“
„Wäre das so schlimm? Was ist Deutschland heute noch? Ein besiegtes Land in seinen Trümmern. Das dauert, bis das einmal beseitigt ist. Amerika, das ist Freiheit, Reichtum, und Lebensfreude.“
„Doch du wirst immer eine Deutsche bleiben.“
„Na und? Wie viele Amerikaner stammen aus Deutschland?“ Nein, Brigitte wollte in ihren rosaroten Träumen kein Gegenargument gelten lassen.
*
Es tat gut, abends zu Konrad nach Hause zu kommen. Atemlos lief ich die Treppe hoch. Meistens war er bereits zu Hause und ich fiel ihm in die Arme, als hätten wir uns ewig nicht gesehen. Mit jedem Tag aber lernte ich auch mehr und mehr seine Eigenarten kennen.
Zuerst bin ich oft über seine Schuhe neben der Zimmertür gestolpert. Irgendwann bemerkte ich, dass er die Augenbrauen missfällig hochzog, wenn er sie sich danach zusammensuchen musste, um sie wieder exakt ausgerichtet neben die Tür zu stellen. Von da an holte ich sie lieber selbst zurück und bemühte mich, sie genauso ordentlich neben die Tür zu stellen. Albern fand ich das zwar, aber was tut man nicht aus Liebe. Als Konrad bemerkte, wie ich mich seiner Gewohnheit anpasste, sagte er nichts, doch er nahm mich so liebevoll in den Arm, als wäre das ein Dankeschön.
Dabei blieb uns nicht viel Zeit zum Schmusen nach Feierabend. Auch die Arbeit in unserem kleinen Haushalt wollte gemacht sein – und natürlich von mir. Ich tat mich schwer damit. Wie schafft man das, eben war man noch ein umsorgtes Kind im Elternhaus und nun sollte man eine selbstständige, möglichst perfekte Hausfrau sein?
Die Blockade dauerte an. Weiterhin donnerten die Flugzeuge ohne Unterbrechung über die Stadt und brachten alles, was die Menschen zum Leben brauchten heran. Jetzt gab es Kartoffeln in Dosen, oder Trockenkartoffeln, Milchpulver, Eipulver. Wie sollte ich damit umgehen? So stand ich also in der Küche der Witwe Willinger - in einer mir fremden Küche - und versuchte, damit fertig zu werden. Oh, wie ich es hasste, wenn sie hereinkam und mir verstohlen zusah! – Doch bald änderte sich das. Sie hatte eine freundliche leise Art. Ohne dass ich es richtig merkte, begann sie mir zu helfen.
„Sie sind wirklich sehr geschickt“, lobte sie mich.
Ich wurde rot, weil das nicht stimmen konnte.
„Doch, doch, Kindchen“, beteuerte sie, ,,Ihnen fehlt nur etwas Routine. Und Sie haben einen genauso geduldigen Mann, wie es mein Paul am Anfang unserer Ehe gewesen war.“
Von diesem Paul sollte ich in der nächsten Zeit viel hören. Er musste ein Engel gewesen sein. Oder verklärte die Witwe Willinger ihn nur in ihrer unermüdlichen Erinnerung dazu?
Dass Konrad kein Engel war, sondern ein lebendiger Mensch, wurde mir mit jedem Tag mehr bewusst. Wenn er abends nach Hause kam, stellte er nicht nur seine Schuhe genau ausgerichtet neben die Tür an den Platz, wo bis dahin die Hausschuhe gestanden hatten, sondern auch seine Aktentasche wurde von ihm ordentlich auf das Regal abgelegt - dort hatte auch nichts anderes zu suchen. Und danach machte er es sich auf der Couch bequem, nahm die Zeitung und vertiefte sich in die Neuigkeiten des Tages. Hier saß er und wartete darauf, dass ich das Abendessen auftrug. Er tat eben nur alles das, was Männer seit Ewigkeiten tun. Ich kannte es ja von zu Hause auch nicht anders.
Manchmal jedoch wurmte es mich, wenn ich am Abend nicht wusste, was ich zuerst machen sollte und Konrad Zeit für Müßiggang fand. Waren wir nicht eine andere Generation als Mama und Papa? Früher waren die Frauen in der Regel am Herd und bei den Kindern, wie man sagte, und selten berufstätig in der Ehe. Doch Konrad kam sich schon ungeheuer hilfsbereit vor, wenn er mir nach dem Essen half, das Geschirr in die Küche zu tragen.
„Ist das eigentlich alles, was du bereit bist, zu tun?“, fragte ich halb scherzhaft.
Er lachte wieder sein sorgloses Lachen. „Reicht dir das nicht? Du bist die Frau im Haus.“
Ich knurrte leise.
Da packte er mich und sagte halb im Ernst: „Komm, das bisschen Arbeit ist doch nicht so schlimm.“
Was erwartete ich. Mir lag ja selbst daran, ihm alles recht zu machen, um geliebt zu werden. Und schließlich tat er das, was er Männerarbeit nannte, wenn es auch wenig war.
*
Eines Abends überraschte Konrad mich damit, dass er sich hinsetzte und unser gemeinsames Einkommen zusammenrechnete.
„Es wird Zeit, einen Kostenplan für uns aufzustellen“, erklärte er mir.
Ich guckte dumm! Dass über mein Geld ein anderer als ich verfügen könnte, darüber hatte ich nie nachgedacht. Aber recht hatte er, ich bemerkte selbst, wie schnell sich mein Geld ausgab bei all den Einkäufen, die ich machen musste. Also setzte ich mich dazu, bereit, mit ihm über die Einteilung des Geldes zu beraten.
Doch ich kam kaum dazu. Konrad stellte den Plan auf und er bestimmte, wie viel Wirtschaftsgeld mir monatlich zur Verfügung stehen sollte. Zuletzt lächelte er gönnerhaft: „Und an dich wollen wir auch denken, eine kleine Summe Taschengeld sollten dir reichen.“
Mir wurde schnell bewusst, wie großzügig und großartig er sich dabei vorkam, obwohl die Summe sehr klein war. Ich holte schon Luft, um einen Einwand vorzubringen. Konrad aber griff beschwörend nach meiner Hand. „Wir müssen sparen, Kleines. Das musst du einsehen. Du willst bestimmt nicht ewig auf dem Feldbett schlafen. Als Erstes legen wir darum Geld für eine Doppelbettcouch zurück“, redete er auf mich ein.
Konrad war also nicht nur überaus ordentlich, nein, er war auch noch sehr sparsam, musste ich erkennen. Ich hoffte nur sehr, dass er nicht geizig war.
Nun hatte ich nicht nur mit der Zuteilung auf Lebensmittelkarten auszukommen, sondern auch noch mit einer begrenzten Summe Geld. Ich wusste, das würde ich nie fertigbringen. Hatte Mama mich nicht immer ermahnt, mit meinem Geld sparsamer umzugehen. Wie sollte mir das nun von einem Moment zum andern gelingen.
Nein, ich schaffte es nicht. Mein so genanntes Taschengeld war immer nötig, um über die letzten Tage des Monats zu kommen. Auch bei den Lebensmitteln hatte ich die Hilfe von Mama und Onkel Anton oft bitter nötig.
Und Konrad sparte. Äußerte ich wirklich einmal einen Wunsch, den Konrad für unvernünftig hielt, so wusste er ihn mir auszureden.
Als ich mich bei Mama darüber beklagte, sagte sie nur: „Sei doch froh, dass du einen so sparsamen Mann hast, der euer Geld nicht vergeudet. Wenn du das Geld verwalten würdest, sähe ich schwarz für euch.“
Vielleicht hatte sie recht. Darum liebte ich ihn auch nicht weniger. Wie schön war es, wenn er mich in die Arme nahm, liebkoste und mir versicherte: „Wie gut, dass es dich jetzt für mich gibt. Du ahnst nicht, wie sehr ich dich brauche.“
Er brauchte mich, und ich brauchte ihn. Was bedeuteten