Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
Скачать книгу
sprach, blies der

       goldene Trompeter in sein Horn, weil gegen Cleoma-

       des Verrat geplant wurde, aber niemand achtete auf

       den Ton. Das Roß wurde in den Hof geführt und die

       Menge drängte sich gaffend herum. Ein Sattel aus

       Ebenholz deckte das Zauberpferd und seine Steigbügel

       hatten die Eigenschaft, daß sie sich der Größe

       eines jeden Reiters anpaßten. Cleomades, begierig,

       das Geheimnis zu erfahren, bestieg den Rücken des

       Tieres und drehte an einem Zapfen an dessen Stirn.

       Wie der Sturmwind sauste das wunderbare Flugzeug

       durch die Luft davon, und die Zurückbleibenden verloren

       es alsbald aus den Augen. Der König wandte

       sich zornig an Crompart: »Laßt das Pferd umkehren,

       es ist schon zu weit fort. Mir scheint, es ist nun hinreichend

       erprobt.« »Herr,« entgegnete der Verräter

       mit unschuldiger Miene, »es steht nicht in meiner

       Macht, das Roß zurückzurufen, denn ich vergaß,

       Euren Sohn, als er aufstieg, zu lehren, wie er umkehren

       könne. Erst als er fort war, fiel es mir ein. Es

       schmerzt mich sehr, doch kann ich ihn Euch nicht

       wiedergeben.« »Freund,« sprach der König, »du wirst

       nicht das Licht des Tages sehen, bis ich meinen Sohn

       wiederhabe. Wahrlich, übel war ich beraten, da ich

       die Warnung des Bläsers nicht beachtete, und töricht

       handelte ich, daß ich Euch nicht selber Euer Roß versuchen

       ließ.« Der Zwerg suchte sich zu verteidigen,

       aber das nützte ihm nichts; er wurde gebunden und

       ins Gefängnis geworfen, wo er Gelegenheit hatte,

       seine Hinterlist zu bereuen.

       Den Königssohn indessen trug das Zauberroß in

       kurzer Zeit so weit, daß er nicht mehr wußte, welche

       Länder und Meere unter ihm vorübereilten. Wohl

       merkte er, daß Crompart ihn hintergangen hatte, um

       sich seiner zu entledigen, aber sein tapferes Herz verzagte

       darum nicht. Er erinnerte sich, daß er den Buckligen

       einen Zapfen an der Stirn des Rosses habe drehen

       sehen, er tastete oben und unten und fand schließlich

       einen Zapfen auf der rechten Seite des Tieres, den

       er bewegte: da wandte sich das Pferd augenblicklich

       nach rechts. Nun versuchte er einen Zapfen nach dem

       andern, bis er wußte, wie er die Maschine, die durch

       die Zapfen ihre Bewegung erhielt, steuern müsse.

       Schließlich fand er auf der Brust des Holzpferdes

       einen Zapfen, der veranlaßte, daß das Flugzeug sich

       so sanft, wie ein Aprilregen auf die junge Saat fällt,

       zur Erde herabließ und stille stand. Er wußte jetzt,

       wie er in die Höhe und abwärts, wie er vorwärts und

       rückwärts fliegen könne, und gar gern wäre er nach

       Spanien zurückgekehrt, aber so weit hatte ihn das

       Roß schon getragen, daß er nicht mehr wußte, welche

       Richtung er einschlagen müsse, und zudem war er

       müde und hungrig, denn er reiste nun schon einen Tag

       und eine Nacht mit ungeheurer Geschwindigkeit. Er

       gedachte also, zur Erde herabzugleiten, um sich auszuruhen.

       Er blickte unter sich und gewahrte, daß er

       über einer weiten Ebene schwebte, durch welche sich

       ein Fluß schlängelte. Ein festes und schönes Schloß

       lag unter ihm, umgeben von Wäldern, Weinbergen

       und Wiesen. Von Konstantinopel bis Österreich hätte

       man kein prächtigeres Schloß finden können. Hier

       herrschte ein König mit Namen Carmans, der eine

       wunderschöne Tochter besaß. Neben dem Tor des

       Schlosses bemerkte der Jüngling einen hohen Turm,

       der aus Marmorstein gehauen und mit Blei gedeckt

       war. Auf diesen Turm zu nahm er seinen Flug und

       steuerte seine Maschine so, daß er auf der Spitze desselben

       landete. Er stieg vom Roß und erblickte ein

       kleines Pförtchen, durch welches er in das Innere des

       Schlosses dringen konnte. Er ließ also sein Flugzeug

       oben auf dem Dache und eilte die Stufen hinab, denn

       der Hunger trieb ihn. Durch eine Flucht von prächtigen

       Sälen irrte er, bis er in einen Raum gelangte, in

       welchem eine Tafel aus Ebenholz und verziert mit

       kostbaren Steinen gedeckt war. Mancherlei Speisen

       luden da zum Mahle, und in goldenen Pokalen funkelte

       der Wein. Fleisch und Wein aber waren ein Opfer,

       welches die Bewohner dieses Landes am ersten des

       Mai ihren Göttern darbrachten, um von ihnen Fruchtbarkeit

       zu erflehen. Der König und seine Großen hatten

       ein wenig von den Speisen genossen, dann hatten

       sie sich in einen anderen Saal begeben, wo böhmische

       Flötenspieler und deutsche Geiger zum Tanze auf-

       spielten. Dort war der ganze Hof bis Morgengrauen in

       ausgelassener Lust versammelt und so blieb die Ankunft

       des Fliegers unbemerkt. Cleomades wusch sich

       seine Hände an einem Wasserstrahl, der aus dem

       Maule eines silbernen Löwen hervorsprudelte und

       setzte sich zum Mahl, während die Klänge der Fiedeln

       und Harfen aus dem Tanzsaal herübertönten. Als

       er sich gütlich getan hatte, wandte er sich zur offenen

       Tür des Saales und trat in ein Gemach, in dem ein

       Mann von riesenmäßigem Wuchse, doch ohne Bart,

       angekleidet auf einem Lager schlief, das von Waffen

       aller Art rings umgeben war. Der Jüngling schlich

       sich an dem Schläfer vorbei und trat in einen Säulengang,

       der einen Blumengarten umgrenzte. Er stand

       still und sah sich um. Das Gärtlein zeigte keinen anderen

       Ausgang als eine Pforte aus Ebenholz; zu dieser

       wandte sich der Königssohn und drückte auf die Klinke,

       worauf sich die Türe mühelos öffnete. Cleomades

       trat in ein Gemach von undenklicher Pracht; dieses

       hatten der König und die Königin für ihre Tochter

       Clarmondine hergerichtet, welche sie über alles liebten.

       Sie zu bewachen diente der riesenhafte Eunuch,