Blutschwertzeit. Manfred Lafrentz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manfred Lafrentz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738013153
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      „Und dann? Wenn der Krieg zu Ende ist? Kann ich dann zurückkommen? Oder muss ich auf einen neuen Krieg warten. Und dann wieder auf den nächsten?”

      Atli schwieg.

      Folke verstand. Er legte den Kopf wieder auf die Knie.

      „Ich könnte fortlaufen”, sagte er. „Weit weg. Dahin, wo sie mich nicht finden mit ihrem verdammten Schwert.”

      „Das Schwert findet dich, Junge”, sagte Atli nachdrücklich. „Es gehört zu dir wie dein Arm oder dein Schwanz. Vielleicht wird es dir genauso viel Freude machen wie dein Schwanz. Es heißt, Blutschwertmännern seien die Frauen gleichgültig, weil nichts der Freude am Töten gleichkäme.” Seine Stimme wurde ein wenig kühl. „Blutschwertmänner haben kein schlechtes Leben. Sie werden gehasst und gefürchtet, aber sie werden reich entlohnt.” Er legte Folke eine Hand auf die Schulter. „Du darfst es den Leuten nicht übelnehmen, wenn sie dich meiden. Niemandem, verstehst du? Sie können nicht anders.”

      Folke schaute auf die Häuser des Dorfes, auf denen noch ein Rest Abendsonne glühte. Sie sahen wunderschön aus. Es war sein Zuhause seit fünfzehn Sommern.

      „Ich habe doch nur einen Traum gehabt”, sagte er. Einen Augenblick lang war er kurz davor zu weinen.

      „Ich weiß”, sagte Atli. „Wir haben alle einen Traum.”

      Folke schwieg eine Weile.

      „Krieg”, dachte er. „Ich werde in den Krieg ziehen.” Der Krieg war nun sein Zuhause. Es war ein seltsamer Gedanke. Ein verrückter Gedanke.

      „Wie sind sie wirklich, die Aelfen?”, fragte er.

      Atli lächelte schief. „Was ich euch erzähle, sind nur Geschichten”, sagte er. „Im Grunde weiß ich nichts über sie. Es ist nicht gut, zu viel zu wissen. “

      „Aber sie sind nicht nur Tänzer im Mondlicht”, sagte Folke. Es war keine Frage.

      Atli zögerte. „Manche sagen, sie seien Schatten. Schatten, die aus der Dunkelheit heraustropfen.”

      Folke nickte. Er würde es erfahren. Der Krieg war nun sein Zuhause.

      Im Haus seines Vaters warteten der Vogt und Brokk, der Schmied, auf ihn. Sie saßen nebeneinander auf der Bank neben dem Fenster. Das Licht der Feuerstelle ließ die Gesichter der beiden Männer, auf denen sich ständig Schatten ausdehnten und wieder zusammenzogen, unruhig wirken. Folkes Mutter saß ihnen gegenüber und schaute kurz auf, als er eintrat, dann gleich wieder weg, aber er hatte das unstete Flackern in ihren Augen gesehen. Es war wirr, unlesbar, ein grauer Schmerz. Er erschrak darüber, wie alt sie aussah. Sie war noch jung an Jahren, eine schöne, gerade Frau, wie sein Vater immer sagte, aber nun schien sie in sich zusammengesunken. Der Kopf hatte tief zwischen den Schultern ein Loch gefunden, in dem er feststeckte. Es sah schmerzhaft aus, und die erstarrten Züge ihres Gesichts schienen es zu bestätigen. Immer noch hatte er den Moment vor Augen, in dem sie ihn angeschrien hatte. Als sie unter Brokk gelegen hatte.

      „Da bist du ja”, sagte der Vogt mit einer Stimme, die zu laut und herrisch war für die Stube eines Bauernhauses. „Was hast du dir dabei gedacht, einfach wegzulaufen? Es herrscht Krieg, Junge! Du kannst nicht machen, was du willst. Du stehst unter dem Befehl des Fürsten, hast du das verstanden?” In seinem sichelförmigen Gesicht sammelten sich Schatten wie Wasser in einer Schale, schwappten umher und umspülten die halbgeschlossenen Augen.

      Wut und Hass glühten in Folke auf, irgendwo am Rande seiner Gedanken. Vielleicht dort, wo das Tier saß, von dem Atli geredet hatte.

      „Nennt mich nicht Junge”, sagte er leise. „Ich bin ein Blutschwertmann.” Er hatte die Worte gesprochen, ohne nachzudenken.

      Der Vogt hatte diese Antwort offenbar nicht erwartet. Er zupfte an der Verschlusskette seines Mantels, die leise klingelte, und schaute unsicher den Schmied an. Brokk sagte nichts und seine Augen waren schwarze Löcher und unverwandt auf Folke gerichtet. Er hatte das Schwert in der Hand, in einer neuen glänzenden Scheide verborgen, die Spitze auf den Boden gestellt. Er hielt es wie den Stab eines Zauberers.

      „Ihr müsst ihn freigeben”, sagte Folkes Mutter. „Er ist zu jung.”

      Sie sagte es mit monotoner, müder Stimme. Es klang, als hätte sie es schon tausend Mal gesagt und wiederholte es nun pflichtschuldig, weil es das war, was gesagt werden musste.

      „Sei nicht töricht, Weib”, sagte der Vogt ungeduldig. „Man kann einen Blutschwertmann nicht freigeben, egal, was man dir erzählt hat.” Er warf einen unwilligen Blick auf den Schmied, der schmierig grinste. „Sein Schicksal ist entschieden; er hat selbst diesen Weg gewählt.”

      „Er ist zu jung”, sagte sie noch einmal. Die Worte klangen alt und verbraucht in Folkes Ohren. Sie klangen so wie seine Mutter aussah.

      Der Vogt beachtete sie nicht mehr. „Du musst mitkommen”, sagte er. „Morgen. Der Fürst hat alle Blutschwertmänner in den Krieg gerufen.” Er wandte sich an den Schmied. „Gebt ihm das Schwert!”

      Brokk beugte sich vor, hielt Folke das Schwert entgegen und deutete spöttisch einen Kniefall an, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.

      „Ich hoffe, ich habe Euren Auftrag zu Eurer Zufriedenheit ausgeführt, Blutschwertmann”, sagte er. Folke hörte, wie seine Mutter ein Schluchzen unterdrückte. „Ich hoffe, Eure Träume werden wahr.”

      Folke betrachtete den Schmied, der aussah wie ein aus der Nacht herausgebrochenes Stück. Schwarze Haare, schwarzer Bart, schwarze Augenhöhlen. Nur die wenigen Stellen in seinem Gesicht, die das Licht reflektierten, erinnerten daran, dass es sich um einen Menschen handelte.

      „Ihr habt mich betrogen”, sagte Folke. „Ihr seid ein Zauberer. Ihr habt dunkles Wissen gegen mich angewandt, das Ihr von den Aelfen gestohlen habt.” Die Worte waren für seine Mutter bestimmt. Er hoffte, sie würde verstehen.

      „Du hast mir dein Blut gegeben”, sagte Brokk.

      „Ihr wurdet dafür bezahlt, es Euch zu nehmen!”, rief Folke und spuckte ihm vor die Füße. „Es war nicht meine Entscheidung!”

      Der Vogt sprang auf. „Genug!”, rief er. „Es war sehr wohl deine eigene Entscheidung, dich in den Dienst des Fürsten zu begeben. Die Schmiede tun nur, was im Sinne des Fürsten ist.”

      Brokk lachte ein schwarzes Zaubererlachen, voller Hohn, Betrug und Geheimnisse. Geheimnisse, für die kein Fürst je bezahlt hatte. Folke hörte ihn lachen, und das wilde Tier in ihm reagierte. Sein Blick verengte sich. Er sah nur noch die schwarze Gestalt des Schmieds, der sich sein Blut genommen hatte, der seine Mutter genommen hatte, der höhnisch und zufrieden lachte, weil er sich auf seinen Lohn freute. Folke sprang auf den Schmied zu und riss ihm das Schwert aus der Hand, zog es mit einer schnellen Bewegung aus der Scheide. Es glänzte hell im Feuerschein, schien ihn aufzusaugen. Rötliche Blitze tanzten um die Klinge.

      Brokk sprang auf und wich zurück, geduckt, die Hände abwehrend vor den Körper haltend. Die Schatten verschwanden aus seinen Augenhöhlen, und Folke konnte Angst in ihnen entdecken, aber auch Belustigung. Es machte ihn noch wütender.

      „Steck das Schwert zurück, Junge!”, rief der Vogt. Er hatte sich in eine Zimmerecke zurückgezogen und seine Augen hatten sich fast ganz geschlossen, als wollte er sich weigern, das, was geschah, wahrzunehmen.

      „Nennt mich nicht Junge!”, schrie Folke.

      Sein Herz schlug wie eine Trommel, und er spürte sein Blut auch im Schwert pulsieren. Es reagierte auf seine Wut und brüllte vor Blutdurst. Folke hörte es mit seinem ganzen Körper. Es fühlte sich fremd an, fremd, aber gut. Mit dem Schwert in der Hand trat er auf die beiden Männer zu, die sich aneinanderdrängten und erschrocken keuchten. Sie waren zwei Gestalten in einem Nebel, der Folke umgab. Es gab nur einen Weg aus dem Nebel heraus, und er führte durch das Blut der beiden Männer. Es schien ein guter Weg.

      „Nicht!”, hörte er eine Stimme durch den Nebel hindurch rufen. Sie war wie eine Erinnerung, eine Erinnerung an graue Augen, die