MONDWELT. Daniel Schiller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniel Schiller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738060072
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dunkle Weltall … oder die Leere und Dunkelheit des Weltalls. Jede Minute kletterten sie jetzt von der Alten Welt weg und kamen sie der Neuen Welt näher. Es würde Tage dauern …

      „Wo warst du eigentlich?“, fragte Jan. Er schwebte neben ihr.

      Wieso hatte sie das noch nicht gefragt? Das war doch die typische Frage ihrer Generation. Wo warst du 2110 … als es passierte?

      „Im Zug, kurz nach Ober-Amsterdam.“

      Leona erinnerte sich, klar und deutlich. Die Passagiere hatten sich plötzlich angeschaut. Die Blicke waren genug. Jeder hatte die Nachricht erhalten. Und jeder fragte wortlos den Nachbarn: Was jetzt?

      „Und du?“

      „Im Psiloritis-Massiv.“

      „Kreta?“

      Sie hatte Jan überrascht. Er nickte lächelnd. „Ich war da oben ganz allein, wollte das so. Lieber allein sein ....“

      „Ich hatte noch Hoffnung.“

      „Ich nicht.“, sagte Jan. „Irgendwann musste uns das Glück verlassen. Die Prognosen waren auch eindeutig.“ Er schüttelte den Kopf. „Mir war klar, wie das ausgehen würde …“

      „Aber so … so schlimm?“

      Jan zuckte mit den Schultern. „Ein bisschen weniger schlimm wäre doch immer noch katastrophal. Wir hatten keine Chance … und Glück reicht nicht immer.“

      Leona erinnerte sich, an dieses bange Warten, diese ständige Unruhe, diesen Wechsel zwischen Hoffen und Verzweifeln. Alle Menschen hatten gewartet, jeder. Die Welt hielt den Atem an … und trotzdem ging auch das normale Leben weiter. Eine seltsame Stimmung. Das war fast schon schizophren gewesen.

      Schon seit Wochen war C/2109 X1 das Thema, in allen Feeds, auf allen Kanälen, bei jeder Plattform gewesen. Der Komet kam und er würde sehr nahe kommen … bis zum Schluss war nicht klar, was tatsächlich passieren würde. Jeden Tag gab es eine neue Prognose. In den letzten Julitagen hatte aber nur noch banges Hoffen in den Köpfen einen anderen Ausgang ersehnt. Die Zahlen waren eindeutig gewesen.

      Die Menschheit wartete …

      Am sechsten August schlug das erste Fragment ein. Es zertrümmerte Indonesien. Das zweite Fragment passierte die Erde, so nahe, dass es sogar am Taghimmel über dem Mittelmeer sichtbar war. Da hatten sie wieder gehofft. Drei Tage später traf das dritte Fragment, das schwerste, den Indochinesischen Bund. Der Einschlag verwüstete den Kontinent. Eine Milliarde Menschen tot, mit einem Schlag … Aber nicht die Beben und Flutwellen brachten weltweites Chaos und globale Zerstörung. Erst die unzähligen Trümmer, die hoch aufgeschleuderten Erdmassen, trugen die Energie der Einschläge um die ganze Welt. Zwei, drei Tage lang … überall fielen die Brocken aus dem Himmel zurück. Die meisten erreichten noch nicht mal den Boden. Sie zerbarsten in der Atmosphäre, drückten Schockwellen auf die Oberfläche hinab, heizten die Atmosphäre auf. Es war ein unablässiges, mächtiges, globales Bombardement.

      Alles Hoffen hatte nichts genutzt. Es war schlimm gekommen, sehr schlimm … ultimativ … die Welt ging unter.

      Leona dachte an Ben. Das war alles schon so fern, so undeutlich und fast vergessen. „Wen hast du zurückgelassen?“

      „Heisenberg.“

      Wer sollte das denn gewesen sein? Ein komischer Name …

      „Meine Katze.“

      Eine Katze? Ernsthaft? Sie wunderte sich wieder über Jan. „Der durfte nicht mit?“

      „Kein Tier kommt mit. Dafür ist im Kreislaufbudget der Biosphären kein Platz.“ Jan sagte das ganz gelassen, ungerührt … auch schon vergessen.

      Aber das ergab Sinn. Klar. Wieso sollten sie ihre Ressourcen so verschwenden? Nur, der Gedanke an all diese Kleinigkeiten, aus denen das Leben der Menschen bestanden hatte, und dass all das jetzt zurückblieb, rausflog, verschwand … aus der Bilanz gestrichen wurde … das war traurig. Es machte die Welt leer.

      Leona schaute wieder hinaus. Die Erde war ja schon nicht mehr zu sehen …

      *

      1533 war ‘zufrieden‘. Die drei Frachtfähren hatten erfolgreich angedockt. Das große Beschleunigungsmanöver hatte funktioniert. Fast perfekt, wenn es das mit den Daten der alten Manöver verglich. Es hatte noch Reserven an Bord. Jetzt spürte es die Ladung, seit die drei Fähren angedockt hatten. Kleine Impulse, schwache Stöße. Da bewegte sich etwas im Inneren. 1533 bemerkte die Reaktion in seinen Kreiseln. Es musste immer wieder korrigieren.

      Sonst passierte nichts. Es war wieder unterwegs, auf seiner alten Tour zwischen Erde und Mond.

      2113.212

      Lokation: freier Weltraum

      Jan summte. Irgendeine Melodie, nicht zu erkennen. Musik! Leona vermisste plötzlich ihre Musik, irgendeine! Das würde helfen, gegen diese lähmende Monotonie, diese beklemmende Hilflosigkeit. Sie spürte, wie das ständige Nichtstun, das Ausharren, die Unmöglichkeit zu handeln, wie das alles sie auszehrte, nicht physisch, aber im Kopf. Musik würde jetzt helfen …

      „Was summst du da?“

      Jan musste nachdenken. „Filmmusik, aus einem ganz alten Klassiker.“

      „Film? Von wann soll das denn sein?“ Leona kannte das ganz sicher nicht.

      „60er …“

      Sie runzelte die Stirn. Das war alt, aber Filme?

      „1960er!“, korrigierte Jan.

      So alt?! Ok, wenn es ein Film war, musste das so alt sein. Sie kannte wahrscheinlich gar nichts aus dieser Zeit. Jan war seltsam. „Und was … was ist da?“ Bessere Worte fand sie nicht.

      “Ein Raumschiff, weit draußen, im Sonnensystem, auf seiner einsamen Bahn. Die Menschen schlafen. Das Schiff macht alles allein, monatelang. Da ist es … irgendwie still, ruhig, bedächtig … aber das kommt erst durch die summenden Streicher richtig rüber… eine tolle Szene!“

      Als wären das schöne Bilder! Leona spürte einen Funken Wut. Nichts hier draußen war schön! Sie flogen ins dunkle Nichts! Das war weder schön, noch romantisch, oder toll. Das war eine verzweifelte Flucht und die meisten Menschen wussten nicht, was sie auf der anderen Seite erwartete. Sie verstanden ja noch nicht mal, was hier geschah, was dieses Schiff machte, wo sie waren.

      Aber sie war zu fertig, um wirklich wütend zu werden. Warum überhaupt? Wenn das Jan gefiel? Er hatte wenigstens seine Ablenkung … sie vermisste ihre Musik!

      „Und was passiert dann? Wo kommen sie an? … in dem Film.“

      Jan grinste kurz, eher eine Grimasse. „Der Computer bringt alle um.“

      *

      1533 war im Routinemodus. Es ‘langweilte‘ sich. Es tat jetzt nichts, als seine Systeme zu überwachen. Die Energieversorgung war das kritischste. Zwei seiner Nutzlastmodule brauchten viel Leistung. Es konnte nur nicht beide gleichzeitig gleich gut versorgen. 1533 lud einen passenden Managementplan. Das sollte für den Transferflug reichen. Es würde die beiden Module im Wechsel versorgen. Selbst dafür musste es ein paar andere Systeme runterfahren. Erst wenn es sein nächstes großes Manöver fliegen musste, würde es wieder neu konfigurieren. 1533 hatte alles unter Kontrolle. Da hatte es schon schwierigere Missionen gegeben.

      Subsystem AE35 meldete ein Problem. Das war die Elektrik, eine Steuereinheit, um die elektrische Leistung im Schiff zu verteilen. Das System würde wohl in drei Stunden ausfallen. 1533 las in seiner Fehlerdatenbank nach. Das konnte die Batterien schädigen. Das Schiff schaltete den Stromfluss über einen anderen Kanal und isolierte Subsystem AE35. Wenn es dann ausfiel, hätte das keine Auswirkung mehr.

      1533 protokollierte die Fehlermeldung im Logspeicher. Dort standen schon ein paar andere Ausfälle, oder Anomalien. Einige der Fehler schleppte es schon seit Monaten mit. Noch war nichts Schlimmes dabei. Es hatte die Fehler erkannt, isoliert