Die Angst der Schatten. Friedrich Karl Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Karl Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738058185
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sie hatte ihn wach gerüttelt und gefragt, ob er von einem Verhör geträumt habe. Er hatte den Kopf geschüttelt, wollte nicht seine dunklen Seiten und Albträume offenbaren, oder gar vom Schatten seines Vaters erzählen. Noch war er sich dessen nicht bewusst gewesen, aber er hatte einen Trennungsstrich gezogen.

      Auf den Start- und Landespisten war es ruhig geworden, mittags flogen nicht viele Maschinen. Zur Toilette nahm er die Umhängetasche mit, obwohl das Restaurant leer war. Bis zum Einchecken dauerte es noch, er blätterte in seinen Notizen, ergänzte das eine oder andere.

      Erstaunt hatte er festgestellt, dass sich plötzlich Frauen für ihn interessierten, die er kaum gekannt hat. Eine ehemalige, längst verheiratete Studentin, die er in ihrem Haus an einem anderen See besucht hat, meinte, seine Ungebundenheit und innere Freiheit seien zu spüren, das locke Frauen an wie der Braten die Wespen. Carl hatte keine Ahnung, dass sein Vater seine Amouren mit Missfallen beäugt und ihn im Testament wegen seiner Liaison mit der Russin bestraft hatte. Gewiss, das lag alles weit zurück, aber er hatte es nicht vergessen.

      Endlich erschien auf der großen Tafel das Zeichen zum Einchecken, er zog den Koffer zur Zollkontrolle. Der Beamte sah an den Visa, dass er oft hier war, der Koffer wanderte auf dem Förderband in die Tiefe. Wie immer standen Schlangen vor den Kabinen der Passkontrolleure. Endlich war er dran, reichte den Pass, empfand wie immer während der Überprüfung ein Gefühl der Ohnmacht, fühlte sich der übermächtigen Bürokratie ausgeliefert, bis der Beamte den Stempel auf das Visum knallte und den Ausweis zurückgab. Um die Prozedur an der letzten Hürde zu beschleunigen, legte er Gürtel und Geldbörse gleich in die Plastikkassette.

      Endlich saß er in der Maschine, die Gebäude des Flughafens flitzten vorbei, sie stiegen auf, tauchten durch die Wolkenbänke und erreichten in Minuten die vorgeschriebene Flughöhe. Die Sonne blendete, er lehnte sich zurück, zerbrach sich den Kopf, wie sich Vater das vorstellte, das Moorland zu besuchen, hatte es doch selbst nicht mehr betreten dürfen. Mit einem Ruck setzte er sich auf: Er hatte gedacht als wäre er Hannes, ist aber nie dort gewesen, das Moorland war doch nur ein seinem Kopf entsprungenes Fantasiegebilde. Er hätte Vater nicht versprechen dürfen, zu versuchen, ihn hinzuführen. Verwundert ob der heftigen Bewegung schaute der Sitznachbar hoch, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem großformatigen Tageblatt schenkte, für die er zwei Sitzplätze gebraucht hätte.

      Auf die Wolkengebirge unter ihnen starrend dachte Carl an den Vorfall, als der Hausdetektiv im Kaufhof seinen Jüngsten beim Diebstahl zweier Jo-Jos erwischt und angezeigt hat. Vor dem Jugendrichter hatte sich das Gesicht des Jungen abwechselnd rot und blass verfärbt, die zur Schau gestellte Gleichgültigkeit war leicht zu durchschauen. Der Richter hatte Carl belehrt, es sei besser, beim ersten Mal erwischt zu werden und hatte dem Jungen vier Stunden gemeinnützige Arbeit im Friedhof aufgebrummt. Carl hatte ihn zum Pastor im Nachbarort gefahren.

      „Holen Sie ihn ab?“, fragte der. „Ich mache das mit ihm zusammen.“

      Ein Novembertag, der Wind blies eisige Regentropfen ins Gesicht, Carls Nase tropfte. Sie harkten Laub, trugen welke Blumen und Kränze zum Abfallhaufen, ihre Kleider waren klatschnass, bald fühlte sich der Anorak auch innen feucht an. Manchmal fing er einen nachdenklichen Blick des Jungen auf. Es dämmerte, sie meldeten sich beim Pastor ab, der die Arbeitsdauer in ein Heft eintrug, Carl die Hand drückte.

      „Das ist für mich neu, dass ein Vater die Strafe mit dem Übeltäter teilt.“ An den Sohn gewandt: „Du hast es geschafft! War‘s kalt?“

      Die Hände reibend antwortete er. „Geht so…“

      Im Traum hat sich Carls Vater im Kirchhof auf eine nassglänzende Bank gesetzt, ihnen eine Weile zugeguckt, war dann zwischen den Gräbern zum Ausgang gegangen und ehe Carl ihm etwas zurufen konnte, hatte sich die Figur in den Regenschleiern aufgelöst.

      Die Maschine kreiste über Hamburg, er war froh, zu Hause zu sein, so interessant Russland immer war. Doch zu Hause griffen bald wieder Albträume mit Angst auslösenden Bildern aus Russland nach ihm, tauchten neben ihm Schatten auf, versetzten ihn familiäre Kümmernisse, Ärger mit Behörden und lästigen Schwindelunternehmen mitunter in eine lähmende Gemütslage. Dann konnte er minutenlang vor sich hin stieren, außerstande, konzentriert zu arbeiten.

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