Die Recherche. Werner Siegert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Siegert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738069792
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verschlissenen Sofa vor, oder wo sie sich versteckt hatten. Alle unten nackt, und alle onanierten im Angesicht meiner Blöße. Spermaflocken, wohin ich nur sehen konnte. Ich raste davon, lief und lief und lief. Und seither wird mir eigentlich schon speiübel, wenn ich an Sperma nur denke. Es gibt einen Busch mit gelben Blüten, im Mai, die impertinent nach Sperma riechen. Jetzt wissen Sie, Bettina, weshalb ich Jungfrau bin und es zu bleiben gedenke!“

      „Aber Sie hätten doch hier viele Möglichkeiten, mit einer Frau Beziehungen zu knüpfen?“

      „Oh je, oh je! Die meisten Frauen riechen! Ich bin extrem geruchsempfindlich, sagte ich wohl schon! Frauenschweiß! Frauendüfte! Diese Sensibilität hängt sicher mit meiner Kindheit zusammen. Was war meine erste Menstruation eine Katastrophe. Ich hätte mich von einer Brücke gestürzt, wenn eine in der Nähe gewesen wäre!

      Aber wir wollen es kurz machen, Bettina. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir gut zueinander passen – nicht für Sex natürlich, sondern für die Oper, für Wandern oder, wenn Sie Zeit haben, auch mal für Reisen in die Modezentren. Nach Paris! Auch nach China! Obwohl ....“

      „Obwohl was?“

      „Ach, das muss ich Ihnen noch zeigen. Eigentlich geht das nur nach Ladenschluss. Aber heute ist nicht viel los. Hier, hinter uns, ist sozusagen das Allerheiligste. Sprechstunden nur nach Vereinbarung und Anruf!“

      Edwina sperrte eine Tür auf, schaltete verschiedene Lampen an.

      „Hier finden Sie alle großen Modemarken! Da sind wirklich alle großen Namen vertreten. Das sind Roben, Kleider, Prachtstücke – einmal getragen bei einer Gala, Opernpremiere, Filmfestspielen, Staatsempfang – dann von den Promifrauen abgelegt. Nur nicht noch einmal mit derselben auffälligen Robe irgendwo auftauchen. Also gehen die Stücke auf Reisen. Möglichst weit weg. Sind sie zu extravagant und auffällig, nehmen wir kleine Veränderungen vor. Ohnehin müssen wir oft nachnähen. Die Nähte von manchen Fummeln sind so was von geschludert. Ich habe da eine kleine Chinesin, die ist äußerst kreativ. Die macht mit wenigen Accessoires, mit Applikationen, Schleifchen, Strass eine neue Kreation daraus. Wir haben einen entsprechenden Kreis von Kundinnen, die sich tagsüber hier nie blicken lassen würden. Damit kann ich wirklich Geld verdienen. Dazu verleihen wir edle Handtaschen. Wir kennen die Größen unserer Spezialkundschaft, wir wissen, bei welcher die linke Brust kleiner ist als die rechte. Übrigens recht oft. Wir wissen, wie man einen allzu üppigen Po kaschiert. Sobald neue Ware eintrifft, rufe ich einzelne Damen an. Zuletzt verkaufen wir vieles nach Japan, nach Shanghai, nach Dubai. Die Größen stimmen nicht. Das wissen wir. Aber die wollen die Sachen nur kopieren. Was weiß ich denn?“

      Bettina hatte wieder etwas dazu gelernt, über das sie keinesfalls schreiben dürfte. Und sie fühlte sich noch mehr irritiert, weil sie an einer Stelle plötzlich Schmetterlinge in ihrem Bauch zu spüren glaubte, und wann: Als Edwina die kleine Chinesin erwähnte. Kleine Chinesinnen – wenn sie jemals vorher ein Mädchen begehrt hätte, dann wäre es eine Chinesin gewesen, eine von den schlanken, stupsnäsigen Peking-Chinesinnen.

      Noch war sie von diesem kleinen flattrigen Orgasmus abgelenkt, da kam schon ein neuer Schauer über sie: Edwina küsste sie zum Abschied mit unverhohlener Begierde auf beide Wangen. Beinahe hätte sie vor lauter Benommenheit den Blusenständer umgerannt. Ja, sie hatten sich verabredet. Fest verabredet. Bettina – wer bist du eigentlich? fragte sie sich, als sie wieder in der U-Bahn saß und zu spät erkannte, dass sie längst an ihrer Haltestelle vorbeigefahren war.

      Lukas

      „Bettina, Bettina – du hast deine emotionale Distanz zum Gegenstand deiner Recherche eingebüßt!“

      Schweißgebadet schoss Bettina nachts aus den Träumen. Irgendjemand – davon war sie überzeugt – habe neben ihrem Bett gestanden und ihr diesen Tadel an den Kopf geworfen. Sie habe die emotionale Distanz verloren – eine journalistische Grundtugend! Sie hatte sich sozusagen disqualifiziert; denn sie hatte sich zweimal auf hautnahe Kontakte eingelassen. Ja, sie hatte so etwas wie Freundschaft geschlossen zu Edwina. Mandy glaubte sie, abhaken zu können. Aber Edwina, die würde sie nicht abschütteln können. Nicht abschütteln wollen.

      Und in beiden Fällen, das wurde ihr jetzt klar, als sie über dem Waschbecken viele Hände voll kaltem Wasser über ihr Gesicht schülpte, hatte sie es nicht mit echten Lesben zu tun. Echte Lesben, das hatte sie gerade in einem Magazin gelesen, sind zumindest genmäßig vorprogrammiert. Wenn sie dann noch mit gleichgeschlechtlichen älteren Geschwistern aufwüchsen, erhöhe sich die Disposition zur Homosexualität auf 50 Prozent. Die können dann gar nicht anders.

      Ob das bei Mandy zutraf, wusste sie nicht. Mandy schien ihr eine Enttäuschungs-Lesbe. Und Edwina? Eine Erziehungs-Lesbe! Das musste ja schief gehen! Mit diesen verklemmten Eltern! Also müsse sie wohl noch einmal von ganz von vorn anfangen mit ihrer Recherche. Also doch in ein Szenelokal gehen. Als Tunte oder als Vadder? Als ganz normale Frau? Neutral?

      Am nächsten Morgen rief überraschend Miss Piggy an. Sie sei gerade in der Nähe. Ob man sich treffen könnte. In der Nähe? Ach ja, Miss Piggy hatte ja ihre Adresse. Einfach mal die Straße in ihr Navigationsgerät eingegeben und festgestellt, dass das ja sozusagen um die Ecke sei. Sie verabredeten sich in einem Bistro.

      Irgendwie fand sie das putzig, schon am frühen Morgen mit einer prall herausgeputzten Frau in einem Schwabinger Bistro zu frühstücken. Ob sie dabei erspäht würde? Von Nachbarn? Diese Frau war nicht zu übersehen. Etwas zu viel Make-up. Das Blondhaar in einer Dauerwelle gebändigt. Der Busen gesäumt mit einem dunkelroten Spitzenbesatz. Miss Piggy heißt mit richtigem Namen Brigitte Kurz. Sie ist Finanzberaterin für Frauen. Freiberuflich. Das ist ihre Nische. Sie habe ja eine Banklehre abgeschlossen und nebenher bei einer Fern-Akademie Betriebswirtschaft studiert. Als die Bank Hunderte von Mitarbeitern entlassen habe, um profitabler zu werden, sei sie natürlich als Ledige mit dabei gewesen. Bei der Bank habe sie stets darunter gelitten, dass sie Kunden und vor allem unbedarften Kundinnen habe Finanzprodukte verkaufen müssen, die alles andere als profitabel waren. Aber sie musste ja ihr Soll erfüllen im Verkauf bankeigner Engagements. Sonderboni gab es für schlappe Ladenhüter.

      „Als ich dann auf der Straße stand, habe ich sozusagen Rache geschworen! Ich kenne ja genügend lukrativere Finanzanlagen. Insbesondere auch solche, die die Banken selber nutzen, aber ihren Kunden vorenthalten. Einige Kundinnen kannte ich noch. Mit denen habe ich Verbindung aufgenommen. Mit zwei Kundinnen habe ich dann angefangen, mein eigenes Geschäft aufzubauen. Schnell wurde ich weiter empfohlen. Wenn Frauen erst einmal Blut geleckt haben, heißt, dass sie auf ihren Kontoauszügen schöne Gutschriften vorfinden, dass sie Geld abheben können, dann werden sie sowas von geldgeil! Frauen wissen immer, was sie mit Geld machen können: Shoppen, Kleider, Schuhe, insbesondere aber gibt es ein ganz großes Ziel: ein Sportwagen-Kabrio fahren. Das ist das Höchste! Meine Kundinnen sind ja fast alle unverheiratet, geschieden, in lockeren Beziehungen! Was glaubst du, was ich da zu sehen bekomme, wenn ich in den Abendstunden meine Kundentermine wahrnehme. Tagsüber arbeiten die ja. Aber abends! Da könntest du für deine Lesben-Recherche fündig werden. Denn natürlich sind da auch fanatische Lesben dabei, bei denen zu ihrer Geldgeilheit auch noch das Kämpferische hinzutritt: Den Männern paroli zu bieten. Nach außen zu demonstrieren, dass man diese Männchen, diese Drohnen, diese Schwachköpfe nicht braucht.“

      Bettina spürte wieder ihre Unsicherheit. Das selbstverständliche Du. Miss Piggy – auch eine Lesbe? Oder nur auf Kundenfang? Bettina und Geld anlegen? Woher soll das kommen?

      „Und wie weit bist du nun mit deiner Recherche gekommen?“

      Bettina berichtete nun von Mandy, von diesem ersten tapsigen Desaster. Und von Edwinas Glamour-Shop. Und davon, dass sie eigentlich noch gar nicht so richtig fündig geworden sei.

      „Den Glamour-Shop, den kenne ich. Edwina ist ja meine Kundin. Eine prima Frau. Sehr tüchtig. Die muss ja auch einiges sublimieren. Irgendwo müssen sich ja ihre verdrängten sexuellen Energien niederschlagen. Aber wenn du mal in so ein Szene-Lokal reinschnuppern willst, lass uns doch mal zusammen gehen!“

      Als sie sich verabschiedeten, hatte Bettina schon wieder eine Freundin gewonnen – obwohl sie es gar nicht