Der alte Mann und das Haus. Roland Exner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roland Exner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847614210
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der andere Polizist, der in Zivil, was wollte der?“ Sie war schon in der Tür, drehte sich wie beiläufig um und sah Klüber direkt in die Augen. „Der fragte nur, ob ich was Auffälliges gesehen hätte… Ich war etwas wütend, wegen dem Qualm, den der hier mit seiner Zigarre ins Haus blies, aber ich hatte ja nichts Auffälliges bemerkt, an die Gestalt im Schuppen dachte ich in dem Moment gar nicht, aber…“, sie zögerte einen Moment, „… aber Sie können ja die Polizei anrufen und sie darüber informieren!“

       Verschlüsseltes Versteck

      Helene Klüber hatte vielleicht etwas übertrieben, als sie zu Elke sagte, sie sei immer in der Nähe ihres Mannes. Aber was da wie Ironie klang, war zumindest ihr Wunsch, wogegen Karl Klüber sich aber nur selten wehrte. Nun aber wollte er sich ihrer Kontrolle entziehen, und auch er erwies sich hierbei als hervorragender Schauspieler und Taktiker. Nicht etwa, dass er sich mit faulen Ausreden entfernte, im Gegenteil, er zog sich ins Wohnzimmer zurück, schwieg und ließ auf seiner Stirn dicke Kummerfalten schwellen, und zwar solange, bis die besorgte Ehefrau sich zu ihm aufs Sofa setzte, um ihn zu trösten. Darauf hatte er gewartet. "Mach' dir doch nicht so viel Sorgen um den greisen Reuß", sagte sie. "Der macht sowieso nicht mehr lange."

      "Ich habe keine Ruhe, bis er wieder in der Klinik ist, oder bis ich weiß, wo er ist. Verstehst du, die Elke hat ihn gesehen, und dann haben wir die ganze Scheune abgesucht, praktisch jeden Quadratmeter, und draußen im Schnee waren auch keine Spuren. Das ist mir unheimlich."

      "Was könnte er uns denn tun?" fragte Helene Klüber. "Er ist alt und klapprig, und das Haus gehört ihm schon lange nicht mehr. Und wenn er sich irgendwo rührt, kommt er zurück in die Klapsmühle. Der kann uns überhaupt nichts."

      Karl Klüber erhob sich und lief in der Wohnung hin und her. "Ich weiß nicht... Er kennt sich hier in diesen Mauern vielleicht besser aus als wir. Wir haben ihn nicht entmündigt, damit haben wir nichts zu tun, aber wir haben sein Haus gekauft. Der Korda hat es mir spottbillig zugeschoben, du weißt ja, meine Zeugenaussage damals... Vielleicht will sich Reuß für alles irgendwie rächen? Wir müssen herausfinden, wo er ist, verstehst du? Vielleicht tatsächlich die Polizei informieren, dass er hier gesehen wurde?"

      Karl Klüber wusste, dass seine Frau so etwas nicht mochte. "Nein!" rief sie denn auch. "Wenn hier fremde Leute alles durchsuchen... diese Unordnung. Und wenn die ihn hier finden würden, und das kommt in die Presse! Stell' dir vor, da forscht einer nach, nein, nein... Und überhaupt, du übertreibst maßlos. Du weckst schlafende Hunde. Wahrscheinlich hat er auch nur geguckt und ist dann wieder verschwunden. Der kann ja hier nicht wie ein Gespenst herumschweben, er muss essen, trinken, irgendwo schlafen, und auf ein Klo muss er auch!“

      Karl Klüber hob abwehrend die Hände. "Ist ja gut, ist ja gut, du hast ja recht, du hast ja recht! Ich durchsuche zur Sicherheit aber noch mal alles, Scheune, Keller, den Dachboden…“

      „Mach das“, ergänzte die Frau mit fester Stimme. „Wir müssten ja wenigstens Spuren finden. Wir glauben doch nicht an Gespenster, oder? Also, fangen wir an zu suchen!“

      Eigentlich meinte Helene Klüber mit dieser Aufforderung nur ihren Mann, den aber das Jagdfieber ohnehin gepackt hatte, und nicht nur wegen des Greises, auch die junge Haushälterin hatte er im Visier. Er redete sich nun ein, er müsse sie vor dem geisteskranken Ausbrecher schützen, vielleicht aber auch, weil er ihr trotz ihrer glaubhaften Auskünfte im Innersten misstraute. Und dann so ein dumpfes Gefühl, dass über die ganzen Jahrzehnte wie eine Saat im Boden dieses Anwesens schlummerte... Was war der Nährboden, aus dem nun quälende Gedanken wucherten? - gegen die er dauernd ankämpfen musste. Er hatte nichts damit zu tun gehabt, dass Johann Reuß im November 1935 entmündigt worden war, überhaupt nichts hatte er damit zu tun. Er hatte für Bürgermeister Korda vor Gericht gelogen, das war im Winter 1933 gewesen, na und, jeder wusste, die Aussage war falsch, auch der Richter hatte es gewusst, aber man brauchte die Aussage. Der Sohn vom Bürgermeister hatte mit seinem Motorrad einen Zigeunerjungen tot gefahren. Wegen eines Zigeunerjungen konnte der Manfred doch nicht bestraft werden. Und der Bürgermeister, wie hätte der als Vater da gestanden…. Nein, das war in Ordnung gewesen, gewissermaßen zum Wohle des Staates, gewissermaßen eine Pflicht. Danach war der Richter auch ganz sanft und freundlich zu ihm gewesen. Ja, und im Mai 1937 verkaufte ihm die Gemeinde dieses Anwesen zu einem sehr günstigen Preis, er wäre dumm gewesen, wenn er nicht zugelangt hätte… 1931, in der Wirtschaftskrise, bei einer Zwangsversteigerung wäre so ein Preis möglich gewesen… Inzwischen hatte er auch Helene Korda geheiratet, die jüngere Schwester des Bürgermeisters…. Niemand hatte je behauptet, dass dieses Geschäft etwas mit diesen Dingen zu tun hatte. Nein, er hatte sich nichts vorzuwerfen, soviel er auch nachdachte. Aber warum zum Teufel musste er dauernd an diese alten Geschichten denken?

      Nach etwa fünf Stunden hatte er alles durchsucht, wirklich in jeden Winkel geschaut. Am Schluss stand er vor den beiden Dachkammern. Es war überflüssig, da hinein zu schauen, aber jetzt kam es ihm absurd vor, dass diese Kammern über die ganzen Jahrzehnte verschlossen waren. Als sei da drin ein Geheimnis, dass zu Lüften Unheil bringen würde. Jetzt wollte er hinein. Er entschied dann aber, erst das passende Handwerkzeug zusammenzusuchen, um die Schlösser entfernen zu können, ohne die Türen zu beschädigen. Beim Hinuntergehen drückte er auf die Klinke von Elkes Wohnung – er wollte einfach überall reinschauen. Die Tür war verschlossen.

      Helene Klüber saß am Schreibtisch über einigen Briefen. „Ich wollte auch in Elkes Zimmer schauen… ist abgeschlossen… schließt sie immer ab, wenn sie weggeht?“ fragte er.

      „Ich weiß das gar nicht“, erwiderte sie, „ab und zu war ich in der Wohnung, aber da war sie immer zu Hause…“

      „Hast du einen Zweitschlüssel?“

      Sie verzog ihr Gesicht. „Da musst du nicht reingucken… Wenn, dann mach ich das.“ Er machte sein gleichgültiges Gesicht. „Mir egal, aber hast du einen Schlüssel?“ Da müsse sie suchen, im Keller sei ein ganzer Karton voller Schlüssel, sie müsse alle durchprobieren.

      Eine halbe Stunde später kam Elke vom Einkauf zurück, die beiden Klübers standen gerade im Eingang der Scheune, die Frau hatte nun doch beim Suchen geholfen. „Ich hab mir ein Sicherheitsschloss gekauft!“ rief Elke mit einem fröhlichen Klang in der Stimme. „Als Sie verreist waren, hatte ich so eine Angst bekommen, dass da jemand in meine Wohnung schleichen könnte.“

      Helene Klüber klang ganz sanft, als sie zu bedenken gab, dass der Hauseigentümer im Notfall immer Zugang haben müsse. Elke hatte diesen Einwand erwartet, sie hatte überlegt und überlegt, ihr war nur eingefallen, die ganz Ängstliche zu spielen, nur für die Zeit, bis man den unheimlichen Mann finden werde, wolle sie das Schloss verwenden, aber deswegen konnten die Klübers trotzdem einen zweiten Schlüssel einfordern… Plötzlich hatte sie den rettenden Einfall. Mit der gleichen unbefangenen Stimme sagte sie: „Ich tu den zweiten Schlüssel in einen Umschlag, und im Notfall können Sie rein!“

      Sie schleppte die Einkaufstasche in die Küche, stellte die Tasche auf dem Boden ab, atmete heftig. Das war knapp gewesen. Natürlich meinte sie: Einen verschlossenen Umschlag… den konnten sie nicht so ohne weiteres aufreißen, wenngleich… ein Notfall ließ sich leicht erfinden, vor allem, wenn sie längere Zeit außer Haus war… Es war also klar: Der Alte konnte nicht bei ihr in der Wohnung bleiben. Und eine der Dachkammern kam nun auch nicht mehr in Frage…

      Sie räumte langsam die Sachen aus der Einkaufstasche. Und wieder sprang der Gedanke wie ein Ball aus ihrem Kopf:

      ... und wenn sie sie den Klübers einfach alles beichtete? Schließlich wollte der alte Reuß nichts weiter als hier in diesem Hause sterben… Und wie schon einige Male zuvor prallte der Ball an jene Mauer, die man die „harte Realität“ nennen könnte – prallte zurück und schlug wieder wie eine Kugel in ihr Bewusstsein. Die Klübers würden sofort die Polizei alarmieren, zumindest Herr Klüber würde das tun, und der alte Mann müsste in der Klinik sterben.

      Oben ging plötzlich die Toilettenspülung… Elke erstarrte vor Schreck, sie schaute durch das Küchenfenster – die Klübers kamen gerade über den Hof, blieben aber wieder stehen