Ströme von Wasser hatten nichts genutzt. Von der Kirche blieben verkohltes Holz und reichlich Asche. Sie wurde zu Odas Grab. Wollten die alten Götter ihre Stärke beweisen? Hatte der Sachsenjunge die teuflischen Kräfte heraufbeschworen? Verwirrt standen die Bauern um die Ruine, während ein Mädchen mit versenktem schwarzen Haar, mit Brandlöchern in der bäuerlichen Tracht, mit ausdruckslosem Gesicht am Boden hockte und Tränen voll Scham, Wut, Trauer und Angst über ihre Wangen rollten.
"Er war dein Bruder", sagte Altje und rüttelte Frysunth an den Schultern. "Und du bist unser gewählter Vorsteher. Du musst dich um seine Familie kümmern. Du musst den Leuten sagen, was zu tun ist."
Frysunth wusste selbst, dass er all dies machen musste. Allein er wusste nicht, wie das alles zu bewerten war. Sollten sie die Stärke der alten Götter anerkennen, sich wieder unter ihren Schutz stellen, den sicheren Konflikt mit den neuen Herrn, mit deren bisher so starkem Gott suchen? Oder sollte er das Ganze ein Unglück nennen, dem fremden Jungen die Schuld geben, ihn an die Franken ausliefern und auf deren Verzeihen hoffen? Frysunth atmete tief durch und zog sein Messer aus dem Gürtel. Ein Raunen ging durch die Umstehenden, als er in Gis Richtung trat. Den Blick zum Boden gerichtet, die Zehen in den verrußten Boden gekrallt, die Hände auf dem Rücken verschränkt, wartete dieser auf das Kommende, egal wie es ausfiele. Er hatte Unglück über diese fremden Menschen gebracht. Er hatte Unglück über alle ihm bekannten Menschen gebracht. Er hatte getötet, gegen seine Überzeugung gehandelt. Es wäre nur rechtens, wenn die blanke Klinge seine Kehle aufschlitzte.
Doch Frysunth ging vor Gis Füßen in die Hocke, schnitze an einem der Kirchenbalken herum und schnitt einen Splitter von dem dunklen Holze.
"Mach eine Schatulle dafür, nicht zu unterscheiden von der, die du für Bonifatius Splitter machtest", sagte er im Aufrichten zu Tahnker, der sich besonders auf die Zimmerei verstand und lachte dabei verschmitzt. Auch Tahnker lachte, verstand er des Vorstehers Plan doch sofort, war er doch nur allzu gern Teil des Spiels, welches den neuen Herrn Gehorsam vorgaukelte und die alte, die wahre Tradition im Herzen behielt.
"Die Kirche bauen wir wieder auf, schöner und größer als zuvor. Bonifatius wird uns loben", sprach Frysunth weiter und ließ seinen Blick über die Bauern, Mägde, Knechte und ihre Kinder, über das ganze Dorf, welches sich inzwischen versammelt hatte, schweifen. "Odas Kinder werden Teil meiner Familie, sollen aufwachsen, wie meine eigenen Söhne, wie meine eigenen Töchter."
Wieder ging ein Raunen durch die Reihen der Umherstehenden.
"Er wird den fremden Jungen verstoßen, jetzt wo er eigene Söhne hat", flüsterte eine Magd und drückte aus, was die Mehrheit dachte. Tahnker, der neben ihr stand, biss sich auf die Lippen. Falls das passierte, wollte er lieber mit dem Kleinen fliehen, als ihn, das Zeichen der Götter, auf dem Christenaltar zu opfern.
"Und sie werden meinem Sohn Gis gute Geschwister sein. So wollen es die Götter, auch wenn dieses Wissen geheim bleiben muss, unsere Reihen nicht verlassen, den fremden Besatzern und ihren christlichen Helfershelfern nicht bekannt werden darf." Frysunth legte sich fest, streifte die heilige Taufe ab, gab sein Leben und das seiner Leute zurück in die Hände der alten Götter des Landes. Er wusste, nicht alle waren seiner Meinung. Doch sie hatten ihn gewählt, als Vorsteher, als Richter, als den, dessen Wille anzuerkennen war. Sie würden es nicht wagen, gegen ihn aufzustehen.
Jeder kürzer werdende Tag zeigte es. Der morgendliche Reif in den Spinnenweben zeigte es. Die lauten Gesänge der Grillen verkündeten es. Der Sommer ging zu Ende. Es war Zeit zu ernten, Zeit Vorräte anzulegen, sich auf den Winter, auf Kälte und Entbehrung vorzubereiten. Die Ernte fiel besonders üppig aus. Es schien, als wollten die alten Götter zeigen, dass noch immer sie es waren, die über das Land herrschten. Bonifatius, der vor einigen Tagen unverhofft auftauchte, lobte den Bau der neuen Kirche außerordentlich, zeigte sie ihm doch, dass des Satans schändliches Wirken keinen Erfolg hatte, aus dem Bösen immer mehr Gutes erwuchs. Besondere Freude empfand der Geistliche bei der Vorstellung, dass einer der von ihm Bekehrten sein Leben opferte, um den heiligsten Besitz des Dorfes, den Splitter vom Kreuze Christi, zu retten. Andernfalls, das sprach er jedoch nicht aus, wäre die gesamte Gemeinde allerdings auch in Verdammnis gefallen. Das Grab des Helden fand den würdigsten aller Plätze, wurde neben dem Eingang zum Hause Gottes angelegt. So sollte jeder an Odas Mut und starken Glauben erinnert werden. Und mit jedem Balken, den die Kirche in die Höhe wuchs, schwand die Angst der Menschen vor des Christengottes Rache, verblasste ihre Erinnerung an das Geschehene, holte sie der Alltag mit seiner Gleichförmigkeit, seiner Mühe und mit den seltenen, dafür umso intensiver gefeierten Festen, in das zurück, was ihnen normal war. Kaum einer, der von da an nicht wieder Wöda, Frigga, Fosite und all den anderen Göttern des Landes, den Geistern und Feen gedachte, ihnen zumindest heimlich opferte, ihre Zeichen an versteckten Plätzen anbrachte und kaum einer, der nicht weiterhin in die Lobpreisungen des Christengottes einstimmte. Es war gut, sich mit allen gut zu stellen. Und zumindest in diesem Jahr gab ihnen die reiche Ernte Recht.
Kaya trug die Garben vom Feld ihres Onkels, der seit Odas Tod die Vaterstelle an ihr versah. Trotzig blickten ihre dunklen Augen zwischen den schwarzen Haarsträhnen hervor, die über ihr, von der sommerlichen Sonne noch stärker als sonst gebräuntes Gesicht fielen. Sie schleuderte den Kopf nach rechts, befreite ihren Blick, ging schnellen aber doch vorsichtigen Schrittes, die nackten Zehen vor jedem Zusammenstoß mit Stöcken oder Steinen bewahrend, Stacheln und Dornen geschickt ausweichend. Oft genug machten sich die Brüder lustig. Als Tochter eines Großbauern hätte ihr ganzjährig Schuhwerk zugestanden, hätte sie bestimmt nicht wie eine gewöhnliche Magd in einem kaum knielangen derben Kleid daherkommen müssen. Kaya ärgerte sich über die groben Scherze der Kerle. Ändern wollte sie dennoch nichts an ihrem Aussehen. Sie war wild und frei, und das würde sie immer bleiben. Sie musste nicht durch Äußerlichkeit gefallen, musste keinen Wert auf künstliche Schönheit legen. Sie fand sich schön, wie die Göttin Frigga sie erschaffen hatte. Weit wichtiger waren ihr ohnehin die Fähigkeiten, welche ihr die Göttin verlieh, Fähigkeiten, die bei den anderen Bewohnern des Dorfes auf Ablehnung stießen, da sie sich für ein Weibsbild wenig schickten, als da sind Schwertkampf, Bogenschießen, Reiten und Ringen. Ihr Vater hatte sie dafür geliebt. Doch ihr Vater war auch schuldig am Tod der Mutter. Und sie hatte sich an ihrem Vater schuldig gemacht. Ohne ihre Brandstiftung würde er noch leben. Diese Zerrissenheit verdunkelte Kayas Gemüt, ließ sie noch aufsässiger, noch ungehorsamer, ihr Aussehen noch unschicklicher werden. Ihre Ziehmutter gab sich alle Mühe, der Kleinen standesgemäßes Benehmen beizubringen, sie auf den wundervollen Weg christlichen Lebenswandels zu leiten. Höre auf Vater Bonifatius. Es wird dein Glück sein. Deine Augen blicken so freundlich wie seine. Nimm seine Lehre an. Die Worte klangen so bekannt in Kayas Ohren. Und darum konnte sie Altje nicht einmal böse sein. Auch in ihrer eigenen Familie wurde der Christengott verehrt. Auch ihre richtige Mutter wollte sie zum rechten Glauben, zur wahren Frömmigkeit erziehen. Die Frauen meinten es sicher nicht böse, litten wohl beide unter dem Widerspruch von Traum und Sein. Das Leiden der Einen, der Mutter, fand sein frühes Ende. Die Andere, die Tante, trachtete, das Werk bestmöglich fortzusetzen. Und da Kaya sie nicht verletzen wollte, fand sie sich zumindest regelmäßig zu Bonifatius Belehrungen und Zeremonien ein, ebenso wie der Onkel und Ziehvater, der sich zwar öffentlich zu den alten Göttern bekannt, in seinem Innersten ihnen erneut zugewandt hatte, der dennoch nicht den Konflikt mit den neuen Herren und dem von ihnen mit aller Strenge durchgesetzten Glauben suchte. Kaya mühte sich, auch dies zu achten. Wenn Tammo, ihr