Mitgefühl kann tödlich sein. Henning Marx. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henning Marx
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742760906
Скачать книгу
Vor Jahren hat es mal einen ähnlichen Unfall im Mittelmeer gegeben. Die beiden Segler konnten mit Mühe die Küste erreichen, wo sie von einem Fischerboot in Schlepp genommen wurden. Sehr unschöne Sache.«

      »Da haben Sie recht. Könnten Sie mir den Bericht zufaxen?«

      »Wenn Sie mir die Nummer durchgeben, kein Problem.«

      Thomas Sprengel diktierte ihm die Faxnummer seiner Sekretärin, bevor er sich freundlich verabschiedete: »Ihnen einen guten Rutsch! Und danke vielmals.«

      »Rutschen tue ich mal lieber nicht, aber Ihnen auch alles Gute.«

      Heiko und Susanne hatten sich keine Gedanken darüber gemacht, ob die Stadt an dem Tag voll werden könnte oder nicht. Sie genossen die Zeit, in der sie nicht wie sonst um sechs Uhr aufstehen mussten, wenn um sieben Uhr Heikos Dienst im Sportinstitut begann. Gemütlich frühstückten sie in ihrer Küche mit Blick auf den Hof und konnten derweil beobachten, wie doch tatsächlich seit Tagen zum ersten Mal ein Sonnenstrahl den Weg bis durch ihre Balkontür zu ihnen in die Wohnung fand. Sie nutzten die Zeit, um eine Liste der Dinge zusammenzustellen, die sie noch für den Silvesterabend besorgen wollten.

      »Hast du schon eine Vorstellung, was es zu essen geben soll?«, bot Heiko Susanne die Initiative an.

      Schlingel. Er wusste genau, dass sie sich den Ideen ihres gelernten Kochs in den meisten Fällen fügte. Insbesondere wenn es darum ging, für mehrere zu kochen beziehungsweise einzukaufen. Aber sie freute sich dennoch über sein Bemühen, so zu tun, als sollte sie an der Entscheidung nicht nur per Akklamation beteiligt werden. Eine Partnerschaft zeichnete sich schließlich durch Effizienz aus, wenn derjenige mit der größeren Erfahrung in der entsprechenden Situation auch das Ruder übernahm. Da konnte sie geradezu konservative Züge annehmen. Wie üblich hatte sie ihre Füße auf die Stuhlkante gestellt und balancierte ihre Teetasse auf den Knien. Durch den Henkel der Tasse linste sie zu Heiko rüber, auf dessen konzentriertem Gesicht sich prompt ein Lächeln zeigte. »Ich dachte, ich höre mir mal die Menüvorschläge von unserem Meisterkoch an«, antwortete sie der Wahrheit gemäß und linste weiter durch den Henkel auf ihr unrasiertes Gegenüber.

      »Bist du dir sicher? Du kannst gerne auch einen Vorschlag machen.«

      »Ich weiß, aber ich habe kein Problem damit, dass wir nicht die klassische Rollenverteilung leben«, lächelte sie ihn nun charmant über die Tasse hinweg an. »Außerdem bin ich beim Meckern kaum zu schlagen.«

      »Ganz wie du willst, Susi«, fügte er sich in sein Schicksal und zauberte sprachlich zwei vollständige Menüs in ihre Phantasie, die Susanne kurzerhand unter größtem Protest seitens des Chefkochs mischte.

      »Dann sollten wir mal losschieben«, kommentierte sie ihre Einkaufsliste. »Für Lene müssen wir ja auch noch in den Bioladen.«

      »Stimmt, also sollten wir vielleicht gemeinsam duschen, um Zeit zu sparen«, schlug er pragmatisch vor.

      »Das soll Zeit sparen?«, wunderte sich Susanne, während sie aufstand und ihre Tasse in der Spüle abstellte.

      Heikos Blick fiel dabei auf ihren knackigen Po, der sich in der weiten Pyjama-Hose ausgesprochen werbewirksam präsentierte – oben aufliegend, nach unten frei fallend, so dass er mit seiner Vorstellungskraft die Formen zu Ende zeichnen musste. Wie weise Frauen doch sein konnten.

      Er hatte bereits am frühen Nachmittag sein Büro in Frankfurt verlassen und stand in einem Stau, der sich durch einen Unfall hinter der Anschlussstelle Bensheim entwickelt hatte. Im Gegensatz zu sonst blieb er an diesem Tag gelassen, weil er die Zeit dazu nutzen konnte, sich zu überlegen, ob er für seine Verabredung alles hatte: Handschellen, Tropfen, Champagner ... Latexhandschuhe. Er fühlte, wie sich alleine bei der Vorstellung dessen, was er sich ausgedacht hatte, um das Jahr für sich erfreulicher zu beginnen, als das andere endete, ein erregendes Kribbeln in seinem Körper ausbreitete. ... Gleitmittel. Vaseline bekam man bestimmt in einer Drogerie. Er ließ sein Smartphone in Bensheim danach suchen, wo ihm gleich mehrere angezeigt wurden. Perfekt. Die Ausfahrt war nicht mehr sehr weit. Um nicht noch länger im Stau zu stehen, nutzte er kurzerhand den Standstreifen.

      Seine Aufmerksamkeit schweifte wieder zu dem geplanten Abend mit Ekaterina ab, wodurch sich das Kribbeln aufs Neue einstellte. War er pervers? ... Sie war nur eine billige Nutte, wenn auch teuer. Die war doch dafür da, unerfüllte Phantasien auszuleben. Wozu brauchte man die sonst und er bezahlte schließlich seit Langem mehr als gut. Geld bedeutete Macht. Und die Vorstellung von unkontrollierter Macht beim Sex törnte ihn an diesem Nachmittag wieder mächtig an.

      Kapitel 17

      Heiko stand in der Küche, um bereits die eine oder andere Vorbereitung für das gemeinsame Essen zu treffen, als es klingelte. Nachdem Susanne an die Tür gegangen war, konnte er überrascht hören, wie Stimmengemurmel immer lauter bis zu ihm nach hinten schallte. Es war doch erst kurz nach sechs, dachte er noch, bevor Ariane und Kai ihn umarmen wollten.

      »Was macht ihr denn schon hier?«, wunderte er sich, während er darauf achtete, seine verschmierten Hände von den beiden fernzuhalten.

      »Tja, Alter«, klopfte ihm Kai kräftig auf die Schulter, »wir kennen dich inzwischen besser als dir recht sein mag. Da haben wir gedacht, wir kommen mal, solange es noch etwas zu tun gibt.«

      Heiko schüttelte den Kopf. »Ihr könnt euch gerne an den Tisch setzen und mich unterhalten«, zeigte er sich nicht übermäßig euphorisch.

      »So siehst du aus«, erhielt er prompt von Ariane eine Abfuhr. »Meinst du vielleicht, du kannst das alles besser, oder wie?«

      »Schon gut, schon gut«, gab er sich lieber gleich geschlagen. Es hätte ohnehin keinen Sinn, Ariane davon abhalten zu wollen.

      Kurz darauf kam Susanne ebenfalls wieder in die Küche, gefolgt von Lene und Thomas.

      »Wollt ihr jetzt auch noch helfen?«, sah er sich allmählich mit sich und seinen Aufgaben überfordert.

      »Was soll das für eine Begrüßung sein?«, beschwerte sich Thomas lautstark. »Ich setze mich gerne an den Tisch und schaue euch zu, wenn dir das lieber ist«.

      Heiko wirkte richtiggehend erleichtert: »Das ist doch eine ausgesprochen gute Idee.«

      Nach einem großen Begrüßungsgerangel liefen die Vorbereitungen für das Abendessen endlich wieder auf Hochtouren. Zwischenzeitlich hatte es ein letztes Mal geklingelt. Thomas war zur Tür gegangen, weil er der Einzige mit zwei freien Händen gewesen war. Er hatte es sich tatsächlich nicht nehmen lassen, am Tisch sitzend die Anderen zu unterhalten und wertvolle Tipps zu geben. Nicht lange und er kam mit Heike und Horst zurück in die Küche, die erst gar nicht den Versuch unternahmen, ihrerseits noch in das Gewusel einzugreifen, zumal es sich nicht unbedingt um eine Großküche handelte. Immerhin hatte der Raum eine gute Größe, so dass der Esstisch selbst ausgezogen für acht Personen noch genügend Platz ließ. Heike stellte zwei Flaschen »Asti Cinzano« auf den Balkon, den sie mitgebracht hatte, weil ihr trockener Sekt nicht schmeckte, und wurde wie üblich von Thomas aufgezogen.

      »Na, hast du mal wieder deinen leckeren Traubensaft dabei?«

      »Ich gebe dir gerne ein Glas ab!«, erwiderte sie honigsüß, während sie ihm im Vorbeigehen einen Klaps gegen den Hinterkopf verpasste.

      »Hee!«

      Lene mischte sich sofort ein. »Keine Gewalt gegen mein gutes Stück! Sonst setzt es was.«

      »Schluss!«, fuhr Susanne lauter dazwischen. »In meiner Küche wird sich nicht geprügelt.« Kai mischte sich ein, während Horst Heike unterstützen wollte, Gealber, das den Schüsseln und Töpfen bedenklich näherkam.

      Heiko sah Schreckensszenen auf sich zukommen. »Sofort aufhören oder alle fliegen raus!«, versuchte er sich durchzusetzen, erntete aber nur Gelächter. »Wie willst du das denn bewerkstelligen?« An dem Punkt lag wohl die Schwachstelle seiner Drohung.

      Sorgfältig hatte er alles vorbereitet. Ihm war noch eingefallen, dass es blaue, eckige Pillen gab, damit er das