Mitgefühl kann tödlich sein. Henning Marx. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henning Marx
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742760906
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und Lene am Flughafen abgeholt. Das war für sie kein Problem gewesen, weil das Sportinstitut der Universität Weihnachtsferien hatte. Sie waren sehr beeindruckt von der gesunden Bräune gewesen, die die beiden Urlauber in das nasskalte Heidelberg mitgebracht hatten. Hinsichtlich Silvester hatten sie Lene und Thomas darüber in Kenntnis gesetzt, was sie mit den anderen bereits vor Weihnachten beschlossen hatten: Treffpunkt war um acht Uhr bei Susanne und Heiko. Der Plan sah vor, etwas zusammen zu kochen und bei entsprechendem Wetter vielleicht das Feuerwerk vom Philosophenweg aus anzuschauen.

      Die ersten Arbeitstage waren glücklicherweise recht harmlos für die beiden Kommissare verlaufen. Allerdings hatte es sie beträchtliche Mühe gekostet, morgens im Dunkeln erst das Bett und schließlich auch noch die Wohnung zu verlassen. Dunkelgrau hingen die Wolken dicht über den Dächern der Weststadt. Es war unmöglich vorherzusehen, ob es mal wieder regnete oder vielleicht Schneefall einsetzen könnte. Dieser Morgen war besonders unerfreulich: leichter Schneeregen, der eine feine Schicht auf dem Gehsteig hinterließ, auf der es sich ganz schnell mal ausrutschen ließ.

      »Mein Gott!«, entfuhr es Thomas, dem die Füße unvermittelt nach vorne weggerutscht waren. Weil ihn Lene reaktionsschnell am Arm gefasst hatte, konnte er sich zu seiner Erleichterung mit viel Mühe doch noch auf den Beinen halten.

      »Du wolltest nicht fluchen«, erinnerte Lene ihn – immerhin schmunzelnd.

      Schuldbewusst sah er sie an, aber schon blitzte etwas in seinen Augen, das allerdings nur schwer bei dem trüben Laternenlicht zu sehen gewesen wäre. »Aber ich habe doch gar nicht geflucht.«

      »Hmmh, sondern?«

      »Ich habe den lieben Gott darum bitten wollen, die Gehsteige nicht so glatt werden zu lassen. Leider wurde ich in dem Satz unterbrochen, als ich beinahe hingeschlagen wäre«, sah er sie treuherzig an.

      »Und da ging es dir natürlich nur darum, mich vor einem Sturz zu bewahren«, vermutete Lene mal so.

      »Absolut. Du bist eine zarte Frau, ...«

      »... die der Hilfe bedarf und beschützt werden muss«, setzte Lene selbst fort.

      »Du nimmst mir die Worte aus dem Mund.«

      »Dann lass ich dich das nächste Mal eben fallen«, erwiderte sie trocken. »Eine zarte Frau ist ohnehin nicht in der Lage, ihren starken Beschützer aufzufangen. Du fällst ja derzeit ohnehin weicher.«

      Sie überquerten schräg die Straße, auf der es auch nicht angenehmer zu laufen war.

      »Das ist gut gegen die Kälte«, reagierte Thomas ausnahmsweise nicht empfindlich bei dem Thema. »Ich werde aber wieder mehr darauf achten«, zeigte er sich zudem einsichtig.

      Während Thomas seiner Frau die Tür zum Eingangsbereich des Polizeipräsidiums aufhielt, drängte sich Horst Jung noch schnell an seinem Chef vorbei.

      »Rüpel«, murrte der nur halb im Ernst.

      Der junge Mann lachte nur. »Danke vielmals. Wenn ich eine Frau wäre, hättest du jetzt ›gern geschehen‹ gesagt.«

      »Stimmt«, konnte Thomas das kaum leugnen, während Lene sich über die jungsche Schlagfertigkeit amüsierte.

      »Kommt ihr heute Abend mit ins ›Peppers‹?«, wollte ihr Kollege noch von Lene wissen, als diese sich mit einem Kuss von Thomas verabschiedet hatte, um im ersten Stock zu ihrem Büro abzubiegen.

      »Ich dachte schon. Wie sieht es mit dir aus?«, fragte sie zur Bestätigung bei ihrem Mann nach.

      Der nickte kurz. »Vielleicht gehen wir einfach direkt und essen dort noch eine Kleinigkeit?«, schlug er Lene wie Horst vor.

      »Gerne«, zeigte der sich erfreut, weil er sich weitere Urlaubsgeschichten erhoffte.

      »Da gibt es durchaus auch Salat«, stellte Lene nebenbei ihre Sicht zu Thomas´ Speiseplan dar, drehte sich um und winkte mit der rechten Hand nach hinten.

      Thomas schaute ihr noch einen Augenblick nach, bis Horst Jung lachte und seinen Chef die nächsten Stufen hochschob. »Du bist immer noch so paralysiert wie am ersten Tag«, spöttelte sein Mitarbeiter.

      »Ist sie nicht einfach ein Traum?«

      »Sei froh, dass sie aus Fleisch und Blut ist, sonst wäre das wohl eher so platonisch-vegetarisch«, witzelte er weiter.

      Manchmal fragte Thomas sich, wie dieser teilweise noch etwas unreif wirkende Mann zu dem Entschluss gekommen war, seine Freundin zu heiraten. Aber er hatte ihn von Anfang an nicht nur wegen seiner Aufmerksamkeit, sondern auch wegen seiner meist ansteckenden Fröhlichkeit gemocht.

      Der Tag war für alle recht ereignislos verlaufen. Zu dritt saßen sie deshalb sehr zeitig im »Peppers«. Thomas hatte sich zu Lenes Verwunderung tatsächlich einen Salat bestellt. Er schaute aber schon ein wenig neidisch auf Horsts Teller, von dem ihm Pommes und ein riesiger Burger eine Nase drehten. Flugs hatte er sich einen französischen Kartoffelschnitz stibitzt.

      »Hey, Finger weg!«, protestierte der Beklaute wenig nachdrücklich, grinste breit und stopfte sich noch drei in den Mund. »Wirklich lecker heute. Soll ich dir auch eine Portion bestellen?«

      »Elender Blö...«, brach Thomas gerade noch rechtzeitig ab. Das war aber wirklich zu gemein. Der zog ihn ganz absichtlich auf und er konnte nicht einmal zurückschimpfen, weil ihm dann seine liebe Frau sofort wieder im Nacken saß. So hockte er schließlich mit gesenktem Kopf vor seinem Salat, der durchaus ein gutes Dressing hatte. Man konnte sich auch alles schönreden. Oh, da kam doch gerade Beatrice mit einem appetitlich aussehenden Teller Pommes vorbei – direkt an ihm vorbei, das war hart. Vielleicht sollte er einfach nach Hause flüchten?

      Bea beugte sich zu ihm herunter. »Einmal Pommes rot-weiß für unseren unglücklichen Herrn Kommissar«, lächelte sie ihn aufmunternd an, während sie ihm den Leckerbissen direkt neben seinen Salatteller stellte. »Geschenk des Hauses, ist ja quasi noch Weihnachten.« Sie zwinkerte. »Lass es dir schmecken.«

      Thomas schaute sie vollkommen entgeistert an und wusste überhaupt nicht, wie ihm gerade geschah. »Danke. Womit ...« Aber Bea war bereits weiter und hörte ihn gar nicht mehr. »... habe ich das jetzt verdient?« Es war zwar allgemein bekannt, dass die Barfrau einen siebten Sinn für die Wünsche ihrer Gäste hatte, aber ... Naja, einem geschenkten Gaul schaut man erst ins Maul, wenn sichergestellt ist, dass er einem nicht wieder abhandenkommt. Während er die Fritten noch zögerlich auf die Gabel spießte, linste er misstrauisch zu seiner Frau, die allerdings keine Miene verzog. »Warst du das?«, wollte er dann doch von Lene wissen.

      »Wie sollte ich! Ich saß schließlich die ganze Zeit hier«, wiegelte sie unschuldig ab, bevor sie sich wieder einer inzwischen dazugekommenen Kollegin zuwandte.

      Er würde Bea fragen müssen. Kurz darauf glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen. An diesem Abend gab es eine Überraschung nach der anderen.

      Heiner hatte das »Peppers« betreten. Kurz kam er an den Tisch, um alle zu begrüßen, trollte sich aber ganz schnell an die Bar, um sich einen Cocktail zu bestellen, wie er vorgab.

      Verwundert schaute Thomas zu Horst. »Was ist denn mit dem los? Der hat sich ja umgezogen? Habe ich etwas verpasst?«

      Horst schmunzelte. »Pass auf. Gleich bringt Bea ihm eine ›Abendsonne‹.«

      »Was soll das sein?«

      »Warte!«

      Kurze Zeit später stellte die Barfrau einen fliederfarbenen Cocktail vor Heiner ab.

      »Ein Frauencocktail?«, war Thomas ziemlich erstaunt, während Horst ihm die ganze Geschichte dazu erzählte. Außerdem berichtete er seinem Chef, dass Heiner seither immer schick ins »Peppers« kam, fast die gesamte Zeit am Tresen verbrachte und in der Regel der Letzte war, der ging.

      »Ist Bea nicht zu jung für den?«, war der nicht auf Anhieb von der Idee überzeugt. »Aber gut, sie ist schlagfertig, einfühlsam, sehr hübsch, hmmh.«

      Unvermittelt mischte sich der spät gekommene Franz ein, der sich abrupt aus einer anderen Gruppe ausklinkte, der er eben