Zwerge der Meere. Michael Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749567
Скачать книгу
nur gerecht.“ Er teilte das Brot aus. „Bist du mit deiner Arbeit vorangekommen?“

      „Das Kleid ist fast fertig. Es ist noch genug Stoff geblieben, so dass ich Torbjong noch eine neue Brottasche machen kann.“

      „Sehr gut. Aus der alten verliert er schon die Krümel.“ Fennegman stieß seinen Sohn an und musste sich dazu ordentlich recken. „Im Dorf sagt man schon, man könne seiner Spur am Geschrei der Seevögel folgen.“

      Torbjong erwiderte nichts und löffelte eifrig vor sich hin. Schließlich hielt er inne und sah seinen Vater fragend an. „Sollte ich nicht langsam etwas vom Handel lernen, Vater? Die Vorbereitung der Fische beherrsche ich nun und im Fang bin ich auch nicht schlecht.“

      „Das ist wahr“, stimmte Fennegman zu. „Und nun willst du ein wenig am Handel schnuppern?“

      Torbjong grinste breit und nickte eifrig.

      Henafraw räusperte sich. „Ich würde vermuten, er will eher am Bier schnuppern.“

      Fennegman sah seinen Sohn streng an. „Ist das so?“

      Vor acht Jahren hatte es in Benderskart die letzte öffentliche Auspeitschung gegeben. Einer der Fischer hatte versucht, einen Nachbarn zu übervorteilen. Sechs Hiebe hatte es ihm eingebracht, denn Diebstahl, Betrug oder Lüge wurden in den Dörfern des Reiches nicht geduldet. In den großen Städten mochte das anders sein, aber nicht in den kleinen Gemeinschaften, in denen alle aufeinander angewiesen waren. Wer die Unwahrheit sagte, bekam dies zu spüren und es geschah öffentlich, auf dem Platz vor dem Gemeindehaus.

      Torbjong nickte ernsthaft. „Ich hörte, das gehört zum Handel.“

      „Auch das ist wahr.“ Fennegman strich ein paar Krümel aus seinem struppigen roten Bart. Er sah seine Frau an, die verständnisvoll lächelte, dass aber zu verbergen suchte. Da der kleine Mann keine Ablehnung in ihrer Haltung erkennen konnte, nickte er langsam. „Gut, du sollst heute einen kleinen Einblick in den Handel bekommen.“ Er lachte leise auf. „Und einen kleinen, sehr kleinen Schluck vom Bier.“

      Torbjong stimmte in das Lachen der Eltern ein. Er wusste, dass sein Vater mit sich reden ließ. Zudem sprach Fennegman nach abgeschlossenem Handel gerne dem Bier zu. Oft in einem Maße, dass er den Weg nach Hause nicht auf die kürzeste Weise nahm. Henafraw nahm es hin, denn die Händler kamen nicht oft und das einzige Übel, welches Fennegmans Trunkenheit begleitete, war die Tatsache, dass er dann oft die Balladen der Fischer sang, nicht unbedingt zur Erbauung von Henafraws Ohren.

      „Schön, ihr Zwei, dann solltet ihr euch nun auf den Weg machen“, sagte die hübsche Frau entschieden. „Ich werde mich dem Abwasch widmen und euch dann folgen.“

      Torbjongs Gesicht wurde etwas länger. Mit dem Vater ließ sich verhandeln, aber Henafraw war eisern in ihren Entscheidungen. Er würde wohl nicht viel mehr als etwas Schaum vom Bier abbekommen. Immerhin, es war ein Anfang.

      05 Am Hof des Reiches Telan

      Die Lagune lag an der Westküste des Kontinents und ein hufeisenförmiges Gebirge schloss sie fast vollkommen ein und schützte sie. Zwischen dem Wasser und dem Gebirge gab es einen viele Kilometer breiten Streifen mit fruchtbarem Land und riesigen Wäldern. Nur zwei Pässe führten in das dahinter liegende Land. Vielleicht war die Lagune einst der Krater eines gewaltigen Vulkans gewesen, nun befanden sich hier der große Hafen und die Hauptstadt des Reiches Telan.

      Die schmale Zufahrt zwischen dem offenen Meer und der Lagune wurde von mächtigen Geschützbatterien gedeckt, die den Schiffen und der Stadt Schutz vor jedem Angriff von See boten. Massive Festungswerke deckten die Gebirgspässe und inmitten der Lagune war eine künstliche Insel entstanden, auf der sich eine weitere Festung erhob.

      Lange, gemauerte Kais führten ins Wasser, an denen die Schiffe Telans und der Händler anderer Völker festgemacht waren. Boote verschiedenster Größe und Beschaffenheit wimmelten zwischen den Schiffen umher, beluden und entluden sie, lotsten Neuankömmlinge zu ihren Liegeplätzen und geleiteten andere aufs offene Meer hinaus. Hoch aufragende Masten stolzer Segelschiffe waren ebenso zu erkennen, wie die dünnen Schlote der dampfgetriebenen Schiffe des Reiches Telan. Die mächtigen Rümpfe der Handelsschiffe dominierten, während ein Teil des natürlichen Hafens den tödlichen Kampfschiffen vorbehalten war.

      Um den Hafen herum zog sich ein dichter Ring von Lagerhallen, Werkstätten, Händlern und Schänken, daran schlossen sich die Häuser der Stadt an. Sie waren aus dem weißen Stein errichtet, den man im Gebirge reichlich fand und ihre hohe und grazile Architektur kündete von den Fähigkeiten ihrer Erbauer. Der Handel blühte und die Stadt Alatan war der Umschlagplatz für jene Waren, die über die Meere hinweg, bis in die Provinzen im Hinterland transportiert oder von diesen in die Stadt gebracht wurden.

      Einst war das Reich Telan nicht mehr als ein nomadisierender Stamm gewesen. Einer von vielen Clans, die sich gegenseitig befehdeten. Über viele Jahrtausende hinweg hatten sie von der Hand in den Mund gelebt und der Überlebenskampf gegen andere Clans und die Natur hatte wenig Raum gegeben, um eine hohe Kultur entwickeln zu können. Das Leben war in starren, fast ritualisierten Bahnen verlaufen, bis ein Mann die Clans erstmals vereint hatte. Er war es gewesen, der die Stadt Alatan erbauen ließ, da er den Vorteil des schützenden Gebirges und der Lagune erkannte. Von hier dehnte sich das Reich aus, trieb Handel mit anderen Völkern und wuchs. Nun beherrschte Telan den größten Teil des Kontinents, hatte seine Gegner besiegt und Verbündete gefunden. Es gab keine Feinde, die seine Grenzen ernsthaft bedroht hätten. Wohlstand und ein gewisses Maß an Dekadenz herrschten im Königreich.

      Dennoch gab es Menschen, denen das erreichte nicht genügte und einer dieser Menschen war Grund für die Reise des Königs gewesen, der, nur von einer kleinen Eskorte begleitet, zu den östlichen Grenzen aufgebrochen war. Nun war der König zurück und trieb sein Pferd die lange Straße entlang, die zum Palast führte. Er ritt durch das breite Tor, über den kiesbestreuten Weg, direkt zum Hauptgebäude, wo er absaß und die Zügel einem Bediensteten zuwarf.

      „Führe ihn ein wenig herum, bevor du ihn weiter versorgst“, befahl er dem Mann, nickte den beiden Ehrenwachen am Portal zu und betrat die angenehme Kühle des Gebäudes.

      Achtlos zog er den Helm vom Kopf, warf ihn einer Frau zu und die Absätze seiner Reiterstiefel knallten auf dem Marmorboden der Halle.

      „Wo ist sie?“

      Der Angesprochene verneigte sich hastig. „In Eurer Bibliothek, Hoheit.“

      Erneut salutierten Ehrenwachen, als der Mann durch einen Korridor schritt, kurz vor den beiden Türflügeln aus kostbaren Hölzern verharrte, und sie dann aufstieß. Ein großer Raum wurde sichtbar, an drei Seiten von hohen Regalen umgeben, angefüllt mit Büchern und alten Schriften. An der Stirnseite, gegenüber der Tür, war ein riesiges Fenster zu erkennen. An einer Seite des Raumes stand ein massiger Schreibtisch, daneben eine Ruhegruppe mit Liegen. Auf einer von ihnen lag eine Frau, die ihren Kopf hob und ihm entgegen sah.

      „Du stinkst nach Schweiß und Pferd.“

      Leos-Hod-Telan, König und Herr über das Reich und seine Provinzen, nickte und beugte sich vor, um seiner Frau einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Ein symbolischer und geschäftsmäßiger Kuss, der nichts mehr von der Leidenschaft beinhaltete, die beide einst füreinander empfunden hatten.

      „Ich bin scharf geritten, meine Liebe.“ Der Telan des Reiches schritt zu seinem Schreibtisch und öffnete die Spange seines Umhangs, den er achtlos über die Rückenlehne des Stuhles warf. „Dein Bote erreichte mich auf dem Rückweg und so habe ich mich beeilt.“ Er warf ihr einen forschenden Blick zu. „In deinem Schreiben steht etwas von einer Gefahr für das Reich.“

      „Ich wusste, dass dich das zur Eile antreibt.“

      Er sah in ihr lächelndes Gesicht. Noch immer war Jania-Hoda-Tela eine atemberaubende Schönheit und sie wusste dies auch. „Treib keine Spiele mit mir, Jania.“

      Sie richtete sich halb auf der bequemen Liege auf, nahm zwei Weintrauben und zerdrückte sie genüsslich in ihrem Mund. Eine