Schmutzige Hoffnungen. Myron Bünnagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Myron Bünnagel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738029437
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stehen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, glitt über seinen Nacken. Er sah in den Flur zurück, aber er lag verwaist da, nichts rührte sich. Langsam ging er weiter.

      Ira stand mit einem Picknickkorb in der einen und einem weißen Sonnenschirm in der anderen Hand vor dem Wagen. Ray vertäute den Koffer sorgfältig auf der Ladefläche, dann stiegen sie ein.

      „Wissen Sie noch, wo es lang geht?“ Ira beobachtete ihn, wie er den Pick-up startete und langsam über die Zufahrt rollen ließ. „Denke schon.“ Bei seiner gemächlichen Fahrt wirbelte der Wagen nur wenig Staub auf.

      Ray bog nach Osten ab und sie folgten dem Asphaltband durch die rotbraune Ebene. Die Straße war kaum befahren, gelegentlich kam ihnen ein einzelnes Fahrzeug entgegen und weit vor ihnen kroch ein Lastwagen dahin. Schließlich schwenkten sie in den unscheinbaren Feldweg ein und hielten an den Ausläufern der Red Hills.

      Die Sonne war den blauen Himmel empor geklettert und schien mit sengenden Strahlen auf die zerrissenen Hügel nieder. Die Luft war heiß und trocken.

      „Es ist jetzt schon unerträglich warm.“ Ira kletterte aus dem Wagen und spannte ihren zierlichen Sonnenschirm auf, ein Gebilde aus luftiger Spitze, den sie kokett rotieren ließ.

      Ray nahm seinen Koffer an sich und stapfte in Richtung der Hügel.

      „Warten Sie auf mich, Ray.“ Sie eilte ihm nach. „Warum haben Sie es so eilig?“

      Ohne sie anzusehen, antwortete er: „Ich habe einiges zu tun.“

      „Sie sind böse auf mich.“

      Er blieb stehen, stellte den Koffer ab und zog seine Zigaretten hervor. „Warum sollte ich das sein?“ Der Tabak begann zu glühen und er sog begierig den Rauch ein. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, aber er beobachtete Ira weiterhin aus den Augenwinkeln.

      Sie schürzte die Lippen und sagte: „Wegen gestern Abend.“

      Seine Antwort kam nicht sofort. „Nein.“

      „Bestimmt. Ich … es ist nicht so einfach, Ray.“

      Er zuckte die Schultern, dann nahm er seinen Koffer und setzte seinen Weg fort.

      „Warten Sie!“ Ihre Hand ergriff seinen Arm und hielt ihn zurück. „Bitte, Ray, seien Sie mir nicht böse.“

      Mit kaltem Blick sah er sie an. „Ich habe zu arbeiten.“

      Langsam ließ sie ihn los. „In Ordnung“, sagte sie schwach und folgte ihm die Anhöhe hinauf.

      Schweigend blieben sie oben stehen und sahen sich das Land vor ihnen an. Die unebene Grasfläche, brüchige Hügel, braunes, lebloses Gras und rote, grobe Erde.

      Sie sprach leise, mehr zu sich selbst als zu ihm: „Ich finde diesen Anblick trostlos.“ Der Wind trug die Einsamkeit über die rotbraune Ebene.

      Ray entspannte sich etwas, seine Stimme klang weicher. „Warten Sie hier, Ira. Ich muss ein paar Proben nehmen, dabei können Sie mir nicht helfen. Warum holen Sie nicht den Picknickkorb, wir können danach sicherlich eine Pause vertragen.“

      Ein Lächeln strich über ihr Gesicht. „Gern.“ Sie wandte sich ab und ging zurück zum Wagen. Er schaute ihr einen Augenblick nach, sah, wie der Wind in ihrem Haar und dem blauen Kleid spielte, dann zündete er sich eine neue Zigarette an und stieg den Hügel in entgegengesetzte Richtung hinab.

      Unten angekommen, stellte er seinen Koffer ab und wanderte über die Grasfläche, die Hände in den Hosentaschen, den Blick aufmerksam gen Boden gerichtet. Gelegentlich blieb er stehen, ging in die Hocke und grub seine Finger in die Erde oder hob einen Stein auf, den er eingehend untersuchte. Dann setzte er seinen Weg fort, beschrieb dabei einen Kreis, der zu einer nach innen verlaufenden Spirale wurde. Immer wieder von kurzen Pausen unterbrochen, in denen er sich dem Boden zuwandte.

      Schließlich kehrte er zu seinem Ausgangspunkt zurück. Er öffnete den Koffer, in dem Glasröhrchen und glänzende Werkzeuge lagen, allesamt sorgfältig darin verstaut. Die Sonne brach sich im Glas und blitzte auf dem polierten Metall. Ray entnahm einige Gegenstände, die er mit geübten Handgriffen zu einem langen, dünnen Bohrer zusammensetzte, dessen Kern hohl war. Darauf schloss er den Koffer wieder und erhob sich.

      Ira saß auf dem Hügel, den Schirm gegen die sengende Sonne geöffnet, und winkte ihm zu. Er hob kurz die Hand, dann ergriff er den Koffer und begann erneut mit seinem Rundgang. Auch dieses Mal stoppte er an den Stellen, an denen er bereits beim ersten Mal Halt gemacht hatte, öffnete den Koffer und verstaute Gesteins- oder Erdproben in den Gläsern, deren Papieretiketten er in seiner kleinen, unruhigen Schrift kennzeichnete. Manchmal trieb er den Bohrer in die Erde und klopfte sorgfältig die Probe einer tieferen Erdschicht in eines der Reagenzgläser.

      Die Sonne stand nun hoch am Himmel und verwandelte das Tal in eine flimmernde Landschaft. Die Hitze staute sich zwischen dem trockenen Gras und auch der Wind brachte keine Abkühlung mehr.

      Ray stapfte den Hügel hinauf. Sein Hemd war durchnässt, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Er stellte den Koffer ab und ließ sich ins Gras sinken.

      „Hier, trinken Sie etwas, Ray. Diese Hitze ist mörderisch.“ Sie reichte ihm ein Glas Wasser, das er gierig austrank. „Sind Sie fertig mit Ihrer Arbeit?“

      „Für heute. Ich werde die Proben analysieren, aber das dürfte ein oder zwei Tage in Anspruch nehmen.“ Er wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab. „Jetzt könnte ich etwas Schatten vertragen.“

      „Unter dem Schirm ist nicht gerade viel Platz und er bewirkt auch kaum etwas.“

      „Lassen Sie uns zum Wagen gehen, Ira.“

      „Aber wir haben doch noch nichts gegessen.“

      Er winkte ab. „Mir ist zu heiß dazu.“

      „Ich weiß etwas Besseres. Halten Sie noch zehn Minuten durch? So weit ist es nämlich.“ Sie erhob sich und ergriff den Picknickkorb.

      „Von mir aus.“

      „Lassen Sie den Koffer doch da, Ray. Hier draußen ist sonst niemand.“

      „Nein, ich lasse ihn ungern allein. Es ist zwar nur Erde, aber dennoch.“

      Sie zuckte die Schultern und gemeinsam gingen sie den Hügel entlang. „Dort hinten liegt unser Haus.“ Ihre Hand deutete in nördliche Richtung, aber außer den Red Hills war nichts zu sehen. „Ich weiß nicht, warum Jasper sich so in dieses trostlose Stückchen Land verbissen hat. Ich meine, es gibt hier nichts. Nur diese Hügel, Gras und Hitze.“

      „Und Ruhe.“

      „Ruhe? Ich weiß nicht. Mir ist das hier zu ruhig. Es passiert nie etwas.“

      „Jasper, mir und all den anderen Kriegsleuten ist es recht, wenn nichts passiert. Wir haben genug davon für zwei Leben.“

      Sie schwiegen und wanderten weiter.

      „Da ist es“, sagte Ira. Hinter einem zerbröckelnden Hügel tauchte ein verlassenes graues Steinhaus auf. Das niedrige, flache Dach war mit einem Flickwerk aus kleinen, verfärbten Holzschindeln gedeckt. Der breite, kurze Schornstein war halb zerfallen, in den kompakten Fenstern fehlte das Glas, die Läden hingen zum Teil schief in den Angeln. Einige Holzlatten der einst stabilen Tür waren herausgebrochen und lagen auf dem Boden. Im nördlichen Teil des Hauses gab es einen überdachten Anbau.

      Sie wateten durch das hohe Gras zum Eingang. „Es stammt noch aus der Zeit vor dem ersten Boom. Ein kleines Farmhaus oder so.“

      „Es hat keine Scheune.“

      „Was weiß ich. Es gehört niemandem.“ Ira schob die protestierende Tür auf und trat ein. Ray folgte ihr. Im Kamin lagen Aschereste, es gab einen wuchtigen Tisch und zwei Bänke dazu, an der Wand hingen die Überreste eines zerfallenen Bücherregals. Die Luft war stickig, aber bar der gnadenlosen Hitze.

      Sie stellte ihre Sachen auf dem verstaubten Tisch ab und ging zu einem der Fenster, um einen Laden aufzustoßen. Sonnenstrahlen fingen den aufgewirbelten Staub