Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: T. von Held
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742763129
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zwei Krüge und einen kleinen Krug mit dem Wasser,

       packte sie auf seinen Esel und zog weiter, bis er zum

       Palast des Königs kam. Er ging hinein und sprach

       zum König: »Ich bin Arzt, und will deine Tochter heilen.

       « Der König erwiderte: »Mach dich davon, mein

       Junge! Es wäre schade, dich zu töten.« Er antwortete:

       »Ich verlange nichts Besseres als die andern; ich

       werde sterben, wenn ich sie nicht heile.« Der König

       sprach: »Es ist gut! Wenn du sie heilst, sollst du sie

       heiraten.« Muhammed ging zu ihr hinauf und sah, daß

       man sie schon in die Richtung auf Mekka legte.4 Er

       hieß alle hinausgehen, schloß die Thür zu, nahm den

       kleinen Krug mit Lebenswasser, und goß es über sie

       aus. Da stand sie auf und sprach sofort mit ihm. Die

       Leute, welche draußen waren, hörten ihre Stimme,

       und die Frauen weinten vor Freude. Als er die Thür

       öffnete, begehrte sie zu essen. Ihr Vater ließ sogleich

       den Kadi holen, der Heiratskontrakt wurde geschlossen

       und die Hochzeit gefeiert. Vierzig Tage blieb er

       bei ihr. Dann ließ er ihr einen Krug mit Lebenswasser

       zurück und sprach zu ihr: »Ich ziehe aus, um meine

       Angehörigen zu besuchen und komme dann wieder.«

       Darauf stieg er auf seinen Esel, nahm einen Krug für

       seine Schwester mit und wanderte, bis er zu ihr kam.

       Als ihn seine Schwester sah, sprach sie zu dem

       Neger: »Mein Bruder, der Unglücksmensch, ist wiedergekommen.

       Ich will ihn mit Worten hinhalten,

       schleich' dich hinter ihn und schlag' ihm den Kopf

       ab!« Ihr Bruder stieg ab, begrüßte sie und sprach zu

       ihr: »Ich bringe dir das Wasser des Lebens.« Sie

       sprach: »Es ist gut, mein Bruder; mein Leben hängt

       an deinem Blut in dieser Welt.« Der Neger schlich

       sich heimtückisch von hinten heran, durchbohrte ihn

       mit dem Dolch und schnitt ihm den Hals ab. Als die

       Löwen den Kopf ihres Herrn fallen sahen, liefen sie

       heulend in die Wüste. Der Neger schnitt den Leichnam

       in Stücke, steckte sie in einen Sack, legte diesen

       auf den Esel und jagte den Esel davon. Die Löwen

       aber trieben den Esel vor sich her, bis er zum Palast

       der Königstochter kam. Sie kletterten auf den Esel,

       nahmen den Sack herunter und gingen zur Königstochter

       hinauf, während ihnen die Thränen über die

       Wangen rollten. Die Königstochter sprach zu ihnen:

       »Warum weint ihr? Hat euch euer Herr geschlagen

       oder was giebt's?« Darauf steckte sie die Hand in den

       Sack, um herauszuziehen, was darin wäre, und sein

       Kopf kam in ihre Hände. Da schlug sie sich die Brust

       und rief: »Ist es ein Feind oder ein Freund, der dich

       getötet hat?« Sie nahm die Stücke, trug sie in ein

       Zimmer und paßte sie solange aneinander, bis sie sie

       gelegt hatte, wie sie zusammengehörten. Darauf holte

       sie den Krug mit Lebenswasser und goß es darüber.

       Da fing das Blut in den Adern wieder an zu laufen,

       und das Leben kehrte zurück. Und so fuhr sie fort,

       acht Tage lang Lebenswasser auf ihn zu gießen, bis er

       gesund war und stärker als zuvor. Nun frug sie ihn:

       »Wer hat dich getötet?« Er antwortete: »Übermacht

       überwindet den Mut. Vierzig Räuber haben mich auf

       dem Wege zu meinen Eltern überfallen. Ich habe sie

       getötet bis auf einen, der hat mich heimtückisch überfallen.

       « Als er sich anblickte, fand er seine Gesundheit

       besser als vorher. Darauf schloß er die beiden

       Löwen ein, damit sie ihm nicht folgen könnten, und

       sprach zu seinem Weibe: »Ich will meine Eltern besuchen.

       « Darauf reiste er ab, färbte sich schwarz wie ein

       Neger, kaufte einige Ringe und ein wenig Harz und

       ging an den Ort, wo seine Schwester sich befand. Er

       rief: »Kauft Ringe und Harz (zum Räuchern), ihr

       Jungfrauen!« Da sprach seine Schwester zu dem

       Neger: »Herr, kauf mir Harz und Ringe, die wir unsern

       Kindern anstecken wollen.« Der Neger rief ihn

       heran und sprach: »Hast du Harz und Ringe?« Er

       sagte: »Ja, Landsmann!« Das Weib beugte sich über

       ihn und sprach zu dem Neger: »Beim Propheten!

       Herr, wenn wir meinen Bruder nicht zerstückelt und

       in den Sack gesteckt hätten, so würde ich sagen, daß

       die Augen dieses Negers meines Bruders Augen

       sind.« Er aber antwortete: »Wo ist dein Bruder jetzt!«

       »Er ist tot, die wilden Tiere werden ihn gefressen

       haben.« Und während sie sich zu einander neigten,

       zog Muhammed seinen Dolch, stieß den Neger mitten

       in den Leib und hieb ihn in zwei Stücke. Darauf ergriff

       er die drei Kinder, schnitt sie in Stücke und warf

       sie in die Wüste. Endlich ergriff er seine Schwester.

       Sie aber flehte um Erbarmen. Er antwortete: »Hast du

       Erbarmen mit mir gehabt?« Und er grub ein Loch und

       begrub sie lebendig. Darauf kehrte er zum König zurück

       und erzählte: »Meine Eltern sind gestorben; gieb

       mir hundert Kamele, um ihre Habe zu holen.« Darauf

       nahm er hundert Kamele und brauchte acht Tage, um

       die Schätze aus der Höhle zu schaffen, die früher den

       Räubern gehört hatten.

       Fußnoten

       1 Aufgezeichnet von W. Spitta-Bey

       2 D.i. eine Art Kobold

       3 Friede (sei) mit dir (arab. Gruß)

       4 Die Muhammedaner legen die Sterbenden so, daß

       das Antlitz nach der Gebetsrichtung, nach Mekka,

       schaut.

       Poesien

       Wohlthun1

       Dem freien Mann ist Wohlthun heil'ge Pflicht,

       Unedlen Schwäche! Merk, Gevatter!

       In Muscheln werden Wassertropfen Perlen

       Und gährend Gift im Leib der Natter.

       Fußnoten

       1 Aus der Sammlung Katâ'ìf ellatâ'ìf.