Am Anfang war das Bücken mit der Kiepe auf dem Rücken ungewohnt, nachher ging es dann. Man schnitt die Weintraubenbündel ab und warf sie in seine Kiepe, die natürlich allmählich an Gewicht zunahm. War die Kiepe voll, lief man den Hang hinunter und kippte sie auf den LKW. Die Arbeit war anstrengend, die Sonne brannte vom Himmel. Am Mittag machten wir eine Pause.
Liangs Mutter, die, wie auch sein Vater, genau so hart am Hang arbeitete wie wir anderen, hatte Brote für jeden dabei, auch hatte sie ein Reisgericht gekocht. Jeder bekam einen Teller und einen Löffel und aß, ohne viel zu sprechen. Dann gab es Wasser und wer wollte, konnte auch Bier trinken. Bei der Hitze aber Bier zu trinken, würde ungemein ermüden und sofort zu Kopf steigen. Es waren vierzig Reihen Wein von jeweils fünfzig Metern Länge, die zu ernten waren, wir mussten dreimal mit dem LKW zum Hof fahren und den Kipper leeren. Anschließend fuhren wir zum Hang zurück, legten die Folie wieder aus und die Arbeit ging weiter. Am Abend, als wir endlich fertig waren, hatten wir viereinhalb LKW-Ladungen Weintrauben zum Hof gebracht. Die letzte Ladung beließen wir auf dem Kipper, weil der Bottich voll war und erst einmal gepresst werden musste. Mit dem Pressen warteten wir aber bis zum nächsten Tag, den LKW stellten wir beladen ins Gerätehaus. Wir gingen alle zum Abendessen und waren ziemlich geschafft.
Ich freute mich auf ein Bier, das ich schon zum Essen trank. Nach dem Essen fragte ich Liang, was mit dem Trester geschähe. Den Trester würde er dem Vieh zu fressen gegeben oder untergegraben, so würde er als Dünger für die Weinstöcke dienen. Ich sagte ihm, dass wir in Deutschland Tresterschnäpse kannten, in Italien würde man den sogenannten „Grappa“ herstellen und in alle Welt exportieren, der „Grappa“ hätte zwischen siebenunddreißig und fünfzig Prozent Alkohol.
Liang sagte, dass er einen Teil des Tresters zurückbehalten und destillieren wollte, er müsste sich nur noch um eine Destille kümmern. Liang hatte sich aus Deutschland ein Refraktometer mitgebracht, mit dem man das Mostgewicht des Traubenmostes bestimmte. Dieses Verfahren war relativ modern, man maß die Zuckerkonzentration optisch. Ein anderes Verfahren war die Messwaage oder das Aröometer mit angepasster Skalenteilung. Nach Archimedes sank ein Körper so tief in eine Flüssigkeit ein, bis das Gewicht der von ihm verdrängten Flüssigkeit dem Eigengewicht des Körpers entsprach. Da der Most wegen des Zuckers und anderer gelöster Stoffe ein höheres spezifisches Gewicht hatte als Wasser, ergab sich als Formel für die Oechsle-Grad: (d-1)*1000. Ein Most mit einem Gewicht von 1.083 kg/l hatte also 83° Oechsle, was einem erwartbaren Alkoholgehalt von zwölf Prozent entsprach. Am nächsten Tag würde Liang die Oechsle-Grad seines Traubenmostes bestimmen.
Ich fand es wieder merkwürdig, bei einem Weinbauern in der Stube zu sitzen und Bier zu trinken. Wir waren am nächsten Morgen früh an der Presse, sprühten die Trauben mit Wasser ab und pressten den ersten Most. Wir hielten die Spindelgriffe zu zweit und holten aus den Trauben den letzten Tropfen heraus. Das war das erste Mal, dass aus den Trauben des Weinhofs Most gepresst wurde. Am Mittag hatten wir die letzten Trauben gepresst und Liang hielt von dem Trester etwas zurück. Wir ließen den Tresterrest zwei Tage lang leicht an gären. Dazu hatte Liang in Turpan Gärhefe besorgt, die während des Gärprozesses den vorhandenen Zucker in Alkohol und Kohlendioxid verwandelte, sodass die Maische entstand. Diese Maische füllten wir in eine Brennblase, die nichts anders war als ein Kessel. Beim Erhitzen der Maische verdampften die Methanole und Fuselöle. Beim sogenannten „mittleren Durchlauf“ entstand die Spirituose. Es kam darauf an, Alkohol und Wasser zu trennen, was wegen der unterschiedlichen Siedetemperaturen möglich war. Wir ließen uns überraschen, wir hatten kein Alkoholmeter, um den Alkoholgehalt zu überprüfen, wir mussten einfach probieren. Wenn der Schnaps brannte, war er vermutlich zu stark. Wir hatten bei unserer Tresterdestillation ungefähr 0.7 l Schnaps erzeugt und hofften, dass man ihn trinken konnte. Wir stellten ihn zur Seite und widmeten uns dem Most. Wir hatten circa achttausend Liter gepresst und füllten den Most in Stahltanks, die im Gerätehaus standen. Dort würde er ohne Zuckerzusatz oder Gärhefe gären und zu Wein werden. Wir reinigten den Pressbottich wieder, denn wir brauchten den Bottich noch für Liangs deutschen Wein, jedenfalls für den Weißwein. Liang und ich gingen wieder zu dem Hang, Akuma war mitgekommen, um zu helfen, außerdem fuhr er den LKW.
Wir setzten unsere Kiepen auf und schnitten die Traubenbündel ab. Wir ernteten zuerst die beiden Rieslinge und dann den Müller-Thurgau. Auf der Ladefläche des LKW hatten wir drei Fächer bereitet, um die Trauben getrennt voneinander transportieren zu können. Es kam in der Phase der Bearbeitung darauf an, die Trauben nicht zu vermischen und klar zu kennzeichnen. Liang hatte Zettel in die Fächer gelegt, auf denen die Sorten beschriftet waren. Dann fuhren wir zum Weinhof und pressten die Trauben, jede Sorte für sich. Wir füllten so drei Stahltanks, die wir jeweils mit einer Sortenangabe versahen. Dann fuhren wir zum Feld zurück und begannen mit der Ernte der beiden roten Weine, dem Dornfelder und dem Spätburgunder. Es kam beim Transport der Trauben immer darauf an, dafür zu sorgen, dass sie unversehrt blieben. Bei einer Beschädigung der Beerenhaut begänne im kleinen Umfang eine ungewollte Maischengärung, der Most nähme Farbe und Aroma der Beerenschale an und der Wein neigte zur Oxidation. Wir packten die Trauben deshalb in kleine Kisten, damit die unterem nicht durch die Last der oberen zerquetscht würden. Vom Rotwein hatten wir nicht so viel wie vom Weißwein, es waren ja auch nur zwei Sorten. Zu meinem Erstaunen wurden die Rotweintrauben nicht gepresst, sondern nur ganz oder in Teilen entrappt und zerdrückt.
Entrappen nannte man den Vorgang, bei dem die Trauben von den Stielen getrennt wurden. Während der Rotweingärung verblieben die Schalen, Kerne und übrigen Stiele im Most. Dadurch lösten sich Phenole und Tanine aus den Schalen und wurden so dem Most zugeführt. Der Gehalt an Taninen war ein ausschlaggebender Faktor bei der Qualität des Rotweins. In unserer Zeit kannte die Önologie dreißig verschiedene Tanine. Bei Rotweinen spielten sie eine größere Rolle als bei Weißweinen, da mit den Farbstoffen immer auch Gerbstoffe aus den Beerenhäuten extrahiert wurden. Späte Weinlese und hohe Reife sorgten für als weich und angenehm empfundene Tanine. Einfache Rotweine hatten eine Maischestandzeit von zwei bis drei Tagen. Es kam darauf an, während des Angärens den Trester immer wieder in die Maische zu drücken, er wurde durch die Kohlensäurebildung an die Oberfläche gespült. Das geschah mit Stangen oder langen Löffeln. Nach der Gärung wurde der Most abgelassen, geschwefelt und in Tanks gefüllt. Manche bauten ihren Wein in Barriques aus, was ihn in seinem Aromaspektrum beeinflusste. Liang dachte aber gar nicht an Barriqueausbau, er füllte den Most in zwei Stahltanks, die im Gerätehaus standen und neben den Weißweintanks untergebracht waren. Dann hieß es warten.
Liang wollte jungen Wein verkaufen, er musste mindestens drei Monate alt sein. Er musste immer wieder kosten, bis er der Ansicht war, dass der Wein genießbar war. Nachdem der Wein nun in den Stahltanks ruhte nahmen wir uns unseren Tresterschnaps vor. Ich hielt eine Flamme an ein mit Schnaps gefülltes Gläschen, der Schnaps brannte nicht, das hieß, dass sein Alkoholgehalt unter fünfzig Prozent lag und er damit genießbar war. Zu Hause hatten wir gelegentlich Feuerzangenbowle gemacht, dabei musste man einen Rum nehmen, der mindestens vierundfünfzig Prozent Alkohol hatte, damit er brannte und dabei den Zucker zersetzte. Liang hatte auch ein Gläschen vor sich stehen und wir prosteten uns zu. Ich nippte an meinem Schnaps und merkte sogleich, dass er stark und kratzig und nicht lieblich vollmundig war. Liang bestätigte meine Einschätzung und sagte, dass er bei nochmaligem Brennen auf Reinheit und eine gute Brennvorrichtung achten würde. Der Schnaps war aber nicht schlecht, er erinnerte mich stark an Grappa, um den für meine Begriffe viel zu viel Wirbel gemacht wurde. Er war und blieb ein Tresterschnaps, der also aus Abfallprodukten hergestellt wurde. Aber ich war nie ein Schnapsfan gewesen und konnte deshalb auch nicht als Maßstab dienen. Liang fand den Schnaps auch nicht schlecht, mit den gängigen Reis- und Pflaumenschnäpsen konnte er allemal konkurrieren.
Er wollte sich in der Folgezeit nach einer anständigen Brennanlage umsehen. Nachdem der Wein in den Stahltanks etwas zur Ruhe gekommen war, so nach ungefähr zwei Wochen, ging ich mit Liang ins Gerätehaus und nahm Verkostungen vor, wir hatten jeder ein Glas in der Hand, das sehr sauber gespült war und ließen aus dem jeweiligen Fass einen Schluck hinein laufen.