Der weibliche Teil der Festgäste hielt sich beim Trinken sehr zurück, die meisten Mädchen und Frauen tranken Erfrischungsgetränke. Dann trat eine Musikkapelle auf und spielte Tanzmusik. Ich forderte ein Mädchen auf, das sich tatsächlich auf einen Tanz mit mir einließ. Die Umstehenden schauten, wie eine der Ihren mit mir Langnase tanzte. Wir tanzten eine Art Foxtrott. Als die Musik aber langsamer spielte und wir enger hätten tanzen müssen, war der Tanz beendet und meine Partnerin lief zu ihrer Freundin zurück. Ich bedankte mich für den Tanz. In der Ecke des Platzes war ein großer Grill aufgebaut, dort bestellten Liang und ich uns Lammkeule. Am Stand daneben gab es Reis und Salat, das war ein Essen, wie ich es mochte. Wir tranken Bier zum Essen, der Wein war als Getränk zum Essen völlig ungeeignet. Liangs Bruder und auch seine Eltern waren völlig in der Menge untergegangen. Am späten Nachmittag liefen Liang und ich nach Hause, seine Eltern waren schon dort, Liangs Vater lag auf seiner Couch und machte ein Schläfchen, seine Mutter trank Tee, Akuma blieb verschollen. Die Musik vom Festplatz dröhnte bis zum Weinhof. Wir wollten am Abend noch einmal auf das Fest gehen.
Liang und ich saßen in der Laube und sprachen über den Wein, den Liang aus Deutschland hatte kommen lassen und auf seinem Weinfeld angebaut hatte. Er hatte fünf verschiedene Reben geschickt bekommen, zwei Rieslinge aus dem östlichen und mittleren Rheingau, von den tieferen Lagen, wo er auf sandigen Lehmböden wuchs, einen Dornfelder, einen Spätburgunder und einen Müller-Thurgau. Liang hätte am liebsten den Schwerpunkt auf einen leichten Roten gelegt, wusste aber natürlich nicht, wie ihm der Spätburgunder oder der Dornfelder gelingen würde. Er hatte daran gedacht, den Dornfelder anzubauen, wie das überall in Deutschland geschähe und ihm eine besondere Note zu geben, die ihm die Sonne, der Boden und das Wasser verliehen. Liangs Mutter kam zu uns und fragte, ob wir Akuma gesehen hätten. Wir sagten, dass er irgendwo auf dem Fest herumstromerte. Wir wollten um 20.00 h noch einmal hinübergehen, in dem Moment wäre uns zu viel los. Liangs Mutter bestätigte, was wir sagten, sie hätte sich auf dem Festplatz manchmal doch zu bedrängt gefühlt. Sie hatte sich ihre Tasse Tee mitgebracht. Ich fragte, ob in China nur grüner Tee getrunken würde, Liang sagte, dass das fast ausschließlich der Fall wäre. Liangs Mutter sah nicht alt aus, jedenfalls nicht alt im Sinne von verbraucht. Ihr Gesicht hatte etwas Edles, ihr Gang war aufrecht und wenn sie lachte, sah man ihre Zähne, die fast alle vorhanden schienen. Das war in China keineswegs selbstverständlich, wie ich mich oft selbst überzeugen konnte. Sie fragte uns, ob wir etwas essen wollten, aber wir lehnten dankend ab. Wir waren von dem Grill auf dem Fest noch pappsatt. Liang und ich tranken unser Bier, und Liang fantasierte über seine Zukunft im Weinbau. Ich fragte ihn, wie er sich den Weinverkauf vorstellte und er antwortete, dass er das noch nicht genau wüsste, mit Sicherheit würde es aber nicht beim Ausschank in Weinstuben bleiben, er könnte sich bei einer entsprechenden Menge durchaus auch einen Weinexport vorstellen. Er dächte auch an weitere Weinfelder, vieles wäre möglich, man müsste es nur angehen.
Um 20.00 h gingen wir noch einmal zum Weinfest. Die Musik schallte uns schon entgegen, als wir den Hof verließen. Es war aber nicht dieses Remmidemmi, das man von unseren Schützenfesten und sonstigen Veranstaltungen kannte, es war dieser chinesische Singsang, der mir auf den Wecker ging, Liang ließ ihn über sich ergehen. Als wir am Platz ankamen, standen zwei Schönheiten auf der Bühne und sangen, Akuma tanzte mit einem Mädchen aus Putaogou, Liang kannte es. Wir gingen zum Getränkestand und kauften Bier. Liang sagte, dass das alles viel professioneller ablaufen müsste, es könnte doch nicht sein, dass man in einer der produktivsten Weingegenden Chinas stünde und dort ein Fest gefeiert würde, auf dem man Bier tränke, weil der Wein, der verkauft würde, ungenießbar wäre und Musik gespielt würde, die auf keiner Schul-Abschlussfeier geduldet würde. Er war richtig zornig geworden, man sah Liang an, wie es in ihm arbeitete. Trotz der spießigen Idylle fühlte ich mich auf dem Fest wohl, aber ich war ja auch nur ein Tourist, der bald wieder abreisen würde. Liang machte das Weingeschäft zu seinem Lebensinhalt und da bedurfte es schon einiger Zukunftsüberlegungen.
Gegen 22.30 h war das Fest zu Ende und die Musik hörte auf, es wurde noch ein letztes Bier herausgegeben, einige Leute tranken auch Schnaps, Reisschnaps, um es genau zu sagen. Es gab in ganz China keinen Weinbrand aus eigener Herstellung und wenn sich niemand um dessen Produktion kümmerte, würde es ihn auch in absehbarer Zeit nicht geben. Liang dachte an eine Brennerei, später einmal, zuerst müsste vernünftiger Wein produziert werden. Wir liefen nach Hause und setzten uns noch auf ein Bier in die Laube. Akuma kam angewackelt und setzte sich noch einen Augenblick zu uns, dann torkelte er ins Bett. Um 23.30 h gingen Liang und ich auch ins Bett, ich hatte eines seiner zwei Zimmer zur Verfügung gestellt bekommen. Am nächsten Morgen mussten wir zum Elternhaus hinüber, Liangs Mutter hatte Frühstück für uns gemacht. Sie hatte selbst gemachte Marmelade und Honig, sehr lecker! Brot hatte sie im Dorf gekauft, gut, frisch, fast noch warm. Dann kam Akuma, er hatte einen brummenden Schädel. Woher er denn die Kopfschmerzen hätte, wollte seine Mutter von ihm wissen, wenn er den Schnaps nicht vertrüge, dann sollte er doch die Finger davonlassen. Nach dem Frühstück gingen Liang und ich in sein Weinfeld. Es lag auf der anderen Straßenseite am Hang. Es gab am Hang Lößboden, der hervorragend die Wärme und das bisschen Feuchtigkeit speicherte, die von den sechzehn Millimeter Niederschlag pro Jahr herrührte, aber natürlich würden die Hänge auch aus dem Karez-System bewässert. Es gab in China Lößmächtigkeiten von bis zu vierhundert Metern, zum Beispiel am Gelben Fluss, wo sich die Sedimente ablagerten. Doch im „Grape Valley“ stammte der Löß von den „Flammenbergen“, von wo er durch Winderosion an den Hängen aufgeschichtet wurde. Löß war ein ausgesprochen fruchtbarer Boden, für den Weinbau hervorragend geeignet.
Liang hatte auch im Rheingau Lößboden kennengelernt und dessen Fruchtbarkeit erfahren können. Ich sah die voll hängenden Weinstöcke, rote dicke Trauben hingen an ihnen, die nur auf die Lese warteten. Daneben hingen gelblich-weiße Trauben, die stammten von den Rieslingen und vom Müller-Thurgau, die Roten waren Dornfelder und Spätburgunder. Liang hatte von jeder Weinsorte genug Trauben, um jeweils circa fünfzig Flaschen zu ziehen. Wenn er den Anbau seiner neuen Sorte in großem Stile betreiben wollte, musste er Käufer gewinnen, mehr Käufer als die Touristen, die in der Saison das „Grape Valley“ bevölkerten, Liang musste Nachfrage schaffen, wie das in der Fachsprache der Wirtschaft genannt wurde. Nachfrage in großem Umfange konnte man nur über Werbung schaffen. Liang dachte dabei nicht nur an Plakate oder Zeitungsannoncen, Liang dachte an Fernsehwerbung, wie sie jeden Tag über den Sender lief, den Millionen von Chinesen sahen. Er musste sich einen Werbeclip überlegen bzw. sich von sachkundigen Leuten dabei beraten lassen. Ich fragte Liang, ob ich seine Trauben probieren dürfte, er sagte, dass ich mir überall ein paar abknipsen dürfte. Ich sollte sie aber in dem kleinen Rinnsal, das durch das Feld floss, abspülen, denn er würde Gift spritzen. Das wäre aber nicht sehr umweltfreundlich, sagte ich Liang.
Er entgegnete, dass man im Weinbau keine andere Möglichkeit hätte, auch in Deutschland würde Gift ohne Ende gespritzt. Es gäbe zu viele Schädlinge, die hüben wie drüben ganze Weinernten zunichtemachten, da blieb ihm gar keine Wahl. Ich wusch meine Trauben gründlich ab und biss hinein, ich merkte schon, dass sie vollmundig, aber nicht in klassischem Sinne süß waren. Ich fragte Liang, wann er denn seine Weinlese durchführen wollte, und er antwortete, dass er erst die weißen kernlosen Trauben ernten wollte, die Trauben, die seit Jahrhunderten